Hallo zusammen,
Ich finde auch die Videos von Michael Wright sehr interessant, der den Mechanismus mehrfach, d.h. in verschiedenen Versionen nachgebaut hat. (Sein letztes Modell verwendet für die Planeten noch Zeiger statt Ringe.) Es ist sehr schön anzusehen, wie die inneren Planeten mal vor der Sonne laufen, mal dahinter zurück fallen, und dann wieder vor laufen.
Es gibt auch einen Aufsatz von Wright über Erwähnungen solcher Mechanismen in der antiken Literatur. Siehe hier:
http://hist.science.online.fr/…IUM%20OF%20ARCHIMEDES.pdf
Man sieht, daß in der Antike auf solche Geräte über Jahrhunderte hinweg immer wieder Bezug genommen wurde, das letzte Mal im 5. Jh., also mehr als 500 Jahre nach dem Untergang des Schiffes bei Antikythera. Cicero (1. Jh. v. Chr.) ist die ergiebigste Quelle. Er schreibt, daß bei der Plünderung von Syrakus durch die Römer (212 v. Chr.) zwei astronomische Geräte nach Rom gebracht wurden: erstens eine Himmelskugel mit Sternbildern darauf, und zweitens ein Planetarium. Die Himmelskugel, deren Erfindung er Thales zuschreibt, wurde in einem Tempel platziert und war somit öffentlich zugänglich. Die Erfindung des Planetariums schreibt Cicero dem Archimedes zu, der in Syrakus gewirkt hat und bei der Eroberung der Stadt bekanntlich von einem römischen Soldaten getötet wurde („Stör mir meine Kreise nicht!“). Cicero beschreibt auch eine Vorführung der Funktionsweise des Planetariums. Der Mechanismus muß also funktioniert haben.
Weiterhin erwähnt Cicero noch ein zweites Planetarium, das sein Freund Poseidonios auf Rhodos nach den Prinzipien des Archimedes konstruiert hat. Während Ciceros Bericht über das erste, aus Syrakus geraubte Planetarium nur aus zweiter Hand stammt, hat er das Planetarium des Poseidonios selbst gesehen. Die Beschreibung der Funktionsweise ist in beiden Fällen gleich. Sie impliziert, daß die Planetenbewegungen durch ein Zahnradgetriebe realisiert wurden.
Cicero bezeichnet aber beide Planetarien als „sphaera“, also als kugelförmig, wobei nicht ganz klar ist, ob das scheibenförmige Design des Antikythera Mechanismus nicht auch unter „sphaera“ fallen könnte. Wahrscheinlich aber nicht. Dann müßte man den Antikythera Mechanismus als vereinfachte Version des kugelförmigen Planetariums betrachten, denn die Darstellung in zwei Dimensionen ist mechanisch leichter zu realisieren als die räumliche Darstellung. Insgesamt hätte man dann Zeugnisse über drei antike Planetarien: erstens das des Archimedes aus Syrakus (ca. 200 v. Chr.), zweitens das des Poseidonios aus Rhodos (ca. 100 v. Chr.) und drittens das von Antikythera (ca. 100 v. Chr.). Man sieht also, daß der Antikythera Mechanismus in der Antike nicht einzigartig ist.
Die nachfolgenden Erwähnungen der archimedischen Planetarien, wie Wright sie aufführt, sind alle durch die pagane Theologie geprägt. Bereits Cicero führt in seiner Abhandlung über die Götter folgendes Argument: Wenn schon für die Konstruktion eines Planetariums, das ja bloß ein Modell der astronomischen Wirklichkeit darstellt, ein Genie wie Archimedes nötig war, ein um wieviel größeres Genie war dann nötig, um diese Wirklichkeit selbst zu konstruieren. Dieses Argument für den göttlichen Weltbaumeister wird in den folgenden Jahrhunderten oft wiederholt, und in diesem Zusammenhang wird stets das Planetarium des Archimedes erwähnt.
Insgesamt entsteht folgendes Bild: Die ganze Antike hindurch bis 700 Jahre nach seinem Tod weiß man noch, daß Archimedes ein Planetarium konstruiert hat. Aber Cicero ist der letzte Autor, von dem man annehmen kann, daß er ein solches Gerät wirklich gesehen hat. Es scheint also, daß man in der Zeit nach Antikythera das Interesse am Bau dieser Apparate verloren hat, so daß es einfach keine mehr gab. Nur das Wissen darum, daß es einmal welche gegeben hat, wurde tradiert. Aber das ist natürlich nur eine Vermutung. Sollte man demnächst in einem Schiffswrack aus dem 3. Jh. ein Planetarium finden, ergäbe sich ein anderes Bild der historischen Zusammenhänge.
Viele Grüße
Johannes