Verzeichnung von WW-Okularen

  • Die Deformation des Bildfeldes insgesamt (=ungleicher Abbildungsmaßstab im Bildfeld) wird als Verzeichnung bezeichnet. Verzeichung hat nichts Unschärfe zu tun, wie es oft von Unkundigen verwechselt wird. Wächst der Abbildungsmaßstab zum Bildfeldrand hin an, so spricht man von positiver oder kissenförmiger Verzeichnung im umgekehrten Fall von negativer oder tonnenförmiger Verzeichnung. So habe ich es im Astrotreff Lexikon unter Verzeichnung geschrieben und so ist es auch in der Wikipedia erklärt. soweit alles richtig?, gut!


    Harrie Rutten unterscheidet in seinem Buch Telescope Optics im Zusammenhang mit Verzeichung von Okularen auf Seite 163 "Rectilinear Distortion" = Rektilineare Verzeichnung und "Angular Magnification Distortion", was ich mit Verzeichnung der Winkelvergrößerung übersetzten würde (oder gibt es einen besseren Deutschen Begriff?). Das Ganze ist auch bei Uncle Al unter dem 13 mm Ethos unten auf der Seite zusammengestellt.


    Meine Fragen:
    - Welcher Zusamenhang besteht zwischen Rektilinearer und Winkelvergrößerung Verzeichnung einersetis und kissenförmiger und tonnenförmiger Verzeichnung andererseits
    - Welche Sorte Verzeichnungsfreiheit braucht man, damit ein Runder Mond auch am Rand des Okulargeschichtsfeldes rund erscheint?
    - Wer kann mir die Bedingungen für Null Rektilinearer Verzeichnung y=f*tan(beta) und Null Winkelvergrößerung Verzeichnung y=f*beta erklären. Wie kommt man auf diese Gleichungen?
    - Warum kann man nicht beide Bedingungen gleichzeitig erfüllen? Mathematisch weil tan(beta)nicht gleich beta ist, schon klar, aber wie könnte man das bildlich erklären?
    - Warum kann man bei einem Okular Astigmatismus und rektilineare Verzeichnung nicht gleichzeitig korrigieren?


    Beim Versuch, die Geschichte zu verstehen, bin ich auf folgende Webseiten gestoßen:
    http://home.att.net/~binofan/WABino.pdf
    http://www.cloudynights.com/item.php?item_id=1338
    http://www.holgermerlitz.de/globus.pdf
    http://www.akoehler.de/basics/verzeichnung/index.htm


    Trotzdem will der Groschen nicht fallen. Wer kann es erklären oder hat eine Webseite bzw. Buch, wo das erklärt wird?

  • Hallo Stathis,


    die Formeln der Ethos-Seite sind leicht zu verstehen:


    y=f*tan(beta) bzw. tan(Offaxisbildwinkel) = Offaxistabstand/Okularbrennweite ist einfach die Abbildung der idealen einfachen Linse.
    Zeichne mal die Brennebene und den Mond genau die Achse berührend. Wenn du ihn jetzt auf der Brennebene von der Achse wegschiebst, wird der Blickwinkel immer kleiner. Das ist die 'normale' Verzerrung der 'idealen' Linsenabbildung.


    Die zweite Formel ist der Wunsch der Astronomen:
    y=f*beta bzw. Offaxisbildwinkel=Offaxisabstand/Okularbrennweite heisst, dass der Winkel direkt proportional zum Achsenabstand ist, und damit Winkelabstände über das gesamte Gesichtsfeld konstant sind (runde Objekte bleiben dann rund). Dies ist nur möglich, wenn die 'ideale' Linsenabbildung verzerrt wird, achsferne Abstände müssen gedehnt werden, Kissenverzerrung muss erzeugt werden, um die zweite Formel zu erhalten.


    Das Ganze ist einfach das Problem, fast ebene Flächen auf eine Kugelfläche zu bringen. Stell dir einen Ball mit 20 cm Durchmesser vor. Du sitzt drin und beobachtest einen Quadratmillimeter vom Zentrum aus 100-fach vergrössert. Da musst du dir einen Ball mit 20m Durchmesser nehmen und einen dann fast ebenen 10x10cm-Fleck herausschneiden und dann versuchen, den über den Originalball zu legen.
    Das geht nicht, die Fleck ist viel weniger gekrümmt.


    Gruss
    Günter

  • Kennt man das Problem nicht schon bei der Kartendarstellung?
    Der Seefahrer braucht winkeltreue Karten, damit sein Kurs eine Linie auf der Karte bildet. Andere wollen flächentreue Karten, damit Kanada nicht größer als Afrika erscheint. Dann gibt es noch streckentreue Karten, damit Entfernungen passen. Oder ein Kompromiss aus allem...
    Nicht zuletzt haben "Orthos" ihren Namen wegen ihrer Abbildungstreue beim Schießen von Vermessungsbildern erhalten oder täusche ich mich da?
    Kurzum, es kommt auf den Zweck an. Weitwinkel wird immer mit Verzeichnung erkauft.
    Gruß

  • Danke für die Antworten, so langsam dämmert's.
    <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote">Das Ganze ist einfach das Problem, fast ebene Flächen auf eine Kugelfläche zu bringen.<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">
    Das (fast) ebene Bildfeld des Objetrivs soll also auf die Kugelfläche der Netzhaut abgebildet werden, richtig?


    In der von Kalle erwähnten Kartographie ist es ja genau umgekehrt. Man versucht die (fast) Kugelförmige Erde auf ein ebenes Blatt Papier darzustellen. Dazu schreibt Wikipedia sehr detailliert: Siehe Kartenprojektion. Bin beeindruckt, wie viele verschiedene Projaktionsarten es gibt.


    Bleibt noch offen, warum man bei einem Okular Astigmatismus und rektilineare Verzeichnung nicht gleichzeitig korrigieren kann. Vermutlich aus demselben Grund?


    Wenn ich das richtig versanden habe, hat das, finde ich, weitreichende Konsequenzen. Man kann somit in der Praxis ein Okular nicht für Astronomie und Tagesbeobachtung gleichzeitig optimieren? Ich habe mich z.B. gewundert, warum es ein Leitz oder Swarowski auch bei Ferngläsern für über 1.300 Europas nicht fertig bringen, astigmatismusfreie Sterne am Gesichtsfeldrand eines 65° Feldes zu schaffen. Antwort wäre: Sie wollen es nicht, da sie für Tagesbeobachtungen die rektilineare Verzeichnung nicht ausufern lassen wollen. Ein Nagler Okular schafft das bei sogar bei 82° scheinbarem Gesichtsfeld, taugt jedoch nicht für Tagesbeobachtung (habt ihr schonmal durch das 31 mm Nagler die Landschaft beguckt?).

  • Hallo Stathis,


    "Das (fast) ebene Bildfeld des Objektivs soll also auf die Kugelfläche der Netzhaut abgebildet werden, richtig?"


    Nicht so ganz. Nicht die Netzhautkugel ist die Ursache, sondern einzig die Himmelskugel und die daraus resultierenden Besonderheiten bei der Beobachtung.
    Wenn du mit dem Teleskop eine ebene Fläche beobachten würdest, wäre jede beliebige Vergrösserung kein Problem.
    Alle Winkel und Abstände würden ihre Verhältnisse beibehalten.


    Das ist bei der Kugelbeobachtung anders. Ursache dieser Verzeichnung ist nur, dass die Krümmung des herangezoomten Beobachtungsauschnitts nicht mehr zur Sphärenkrümmung passt.
    Das Beispiel mit dem Ball ist doch ganz anschaulich:
    Nimm einen Kreis mit 20cm Durchmesser und einer mm-Teilung auf dem Umfang. Schneide ein 4cm langes Stück aus, vergrössere es 100-fach und lege diesen Bogen mittig am Kreis an. Vom Kreismittelpunkt aus siehst du am Berührpunkt die Urspungsteilung ebenfalls 100-fach vergrössert, die Teilung am den Rändern des herausgeschnittenen Stücks, die weit ausserhalb des Ursprungskreises liegen (bei fast +-90° Blickwinkel), sind dagegen vom Kreismittelpunkt aus gesehen stark gestaucht.


    Der Astigmatismus ist ein anderes Problem bei der Abbildung (Stichwort Abbildungsfehler dritter Ordnung, siehe Wikipedia). Auch er ist blickwinkelabhängig, macht sich also bei Weitwinkelokularen stärker bemerkbar. Zur Abhilfe kann ich nichts sagen, da sind Spezialisten gefragt.


    Gruss
    Günter

  • <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote"><i>Original erstellt von: mkoch</i>
    <br />hast du dafür eine Quellenangabe?<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">
    Hallo Michael,


    Siehe Artikel Evolution of the Eyepiece von E.J. Hysom vom Feb. 1997 Seite 10 und Seite 16. Der Artikel ist leider online nicht mehr verfügbar, zumindest funktioniert der Link http://www.brayebrookobservato…/EVOLUTIONofEYEPIECES.pdf nicht mehr.


    Hallo Günter,
    Danke für die weitere Erklärung, jetzt habe ich es verstanden (hoffe ich).

  • Hallo Stathis,


    &gt; Bleibt noch offen, warum man bei einem Okular Astigmatismus und rektilineare Verzeichnung nicht gleichzeitig korrigieren kann.


    Ich verstehe nicht genug von Okular-Design, daher nur eine Vermutung von mir:
    Vielleicht ist es prinzipiell möglich so ein Okular zu konstruieren, das gleichzeitig Astigmatismus und Verzeichnung (welche auch immer) korrigiert. Aber möglicherweise sprechen praktische Gründe dagegen, beispielsweise dass man dann zu viele oder asphärische Linsen bräuchte.


    Ich schlage folgendes Gedankenexperiment vor:
    Wir packen in die Brennebene des Teleskops ein Bündel parallel ausgerichtete Glasfasern, die das Bild weiterleiten. Das andere Ende des Faserbündels betrachten wir mit einem Okular, bei dem Astigmatismus korrigiert ist.
    Jetzt könnte man theoretisch die Verzeichnung des Okulars dadurch korrigieren, dass man am hinterern Ende des Faserbündels die Fasern geeignet anordnet, nämlich im Zentrum (nahe der optischen Achse) dicht gepackt, aber in den Randbereichen mit etwas mehr Luft zwischen den Fasern. Dann haben wir weder Verzeichnung noch Astigmatismus.


    Gruss
    Michael

  • Hallo Michael,
    <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote">nämlich im Zentrum (nahe der optischen Achse) dicht gepackt, aber in den Randbereichen mit etwas mehr Luft zwischen den Fasern. Dann haben wir weder Verzeichnung noch Astigmatismus.<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">
    müsste es nicht genau anders herum sein, also in der Mitte weiter auseinander und am dichtesten in den Ecken ? Und dann darf man den Kopfnicht drehen, denn die Ecken müssten den kürzesten Abstand der Lichtleiter gegenüber der Waagerechten, Senkrechten und zur Mitte haben.
    Oder habe ich jetzt einen Denkfehler ?
    Viele Grüße
    Jörg

  • Hallo Jörg,


    &gt; müsste es nicht genau anders herum sein, also in der Mitte weiter auseinander und am dichtesten in den Ecken ?


    Das kann schon sein, kommt drauf an welche Art von Verzeichnung das Okular hat. Da habe ich jetzt gar nicht drüber nachgedacht. Es ging mir nur darum zu zeigen, dass man zumindest theoretisch Astigmatismus und Verzeichnung gleichzeitig korrigieren kann. Dass diese Idee an der praktischen Realisierung scheitert ist mir schon klar.


    Gruss
    Michael

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