Fortsetzung:
Penrose stellt sich aus Gründen, die teilweise mit seiner eigenen bevorzugten Interpretation der Quantentheorie zusammenhängen, eine Folge endloser neuer Zyklen vor. In der Quantenmechanik existiert ein physikalisches System gleichzeitig in einer Überlagerung vieler verschiedener Zustände und wählt nur zufällig einen aus, wenn wir den messen. Für Penrose beinhaltet jeder Zyklus zufällige Quantenereignisse, die anders verlaufen – was bedeutet, dass sich jeder Zyklus von denen davor und danach unterscheidet.
Das sind eigentlich gute Nachrichten für die Experimentalphysiker, denn es könnte uns ermöglichen, durch schwache Spuren oder Anomalien in der vom Planck-Satelliten beobachteten Reststrahlung des Urknalls einen Blick auf das alte Universum zu werfen, aus dem unseres entstanden ist.
Penrose und seine Mitarbeiter glauben, dass sie diese Spuren möglicherweise bereits entdeckt haben, indem sie die Muster in den Planck-Daten auf die Strahlung supermassereicher Schwarzer Löcher im vorherigen Universum zurückführen. Das wird doch von anderen Physikern angefochten.
Endlose neue Zyklen sind der Schlüssel zu Penroses eigener Vision. Man könnte aber auch die konforme zyklische Kosmologie von einer mehrzyklischen in eine einzyklische Form umzuwandeln. Dann besteht die physische Realität aus einem Umlauf durch den Urknall bis zu einem Zustand maximaler Leere – und dann noch einmal derselbe Urknall, wodurch wieder dasselbe Universum entsteht, usw.
Diese letztere Möglichkeit steht im Einklang mit einer anderen Interpretation der Quantenmechanik, der sogenannten Viele-Welten-Interpretation. Die Viele-Welten-Interpretation sagt aus, dass jedes Mal, wenn wir ein überlagertes System messen, diese Messung nicht zufällig einen Zustand auswählt. Stattdessen ist das Messergebnis, das wir sehen, nur eine Möglichkeit – diejenige, die sich in unserem eigenen Universum abspielt. Die anderen Messergebnisse spielen sich alle in anderen Universen eines Multiversums ab, praktisch abgeschnitten von unserem eigenen. Ganz gleich, wie gering die Wahrscheinlichkeit ist, dass etwas passiert, wenn die Wahrscheinlichkeit nicht gleich Null ist, dann geschieht es in einer Quantenparallelwelt. Es gibt da draußen in anderen Welten Menschen wie wir, die im Lotto gewonnen haben, von einem monströsen Tyfon in die Wolken geschwemmt wurden, krank geworden sind, oder die alles drei gleichzeitig erlebt haben.
Es gibt Physiker, die glauben, dass solche Paralleluniversen auch in kosmologischen Daten zu beobachten sind, als Abdrücke, die durch die Kollision eines anderen Universums mit unserem entstehen.
Die Viele-Welten-Quantentheorie gibt der konformen zyklischen Kosmologie eine neue Wendung, wenn auch keine, mit der Penrose einverstanden ist. Unser Urknall könnte die Wiedergeburt eines einzigen Quantenmultiversums sein, das unendlich viele verschiedene Universen enthält, die alle gleichzeitig auftreten. Alles Mögliche passiert – und dann passiert es immer und immer wieder.
Der philosophische Teil des Ganzen
Für einen Wissenschaftsphilosophen ist Penroses Vision faszinierend. Es eröffnet neue Möglichkeiten zur Erklärung des Urknalls und führt unsere Erklärungen über gewöhnliche Ursache und Wirkung hinaus. Es wäre ein Testfall für die Erforschung der verschiedenen Möglichkeiten, wie die Physik unsere Welt erklären kann.
Und für einen Liebhaber von Mythen ist Penroses Vision noch schöner. In Penroses bevorzugter Mehrzyklusform verspricht es endlose neue Welten, die aus der Asche ihrer Vorfahren entstehen. In seiner Ein-Zyklus-Form ist es eine eindrucksvolle moderne Wiederbelebung der alten Idee des Uroboros, der Weltschlange. In der nordischen Mythologie ist die Schlange Jörmungandr ein Kind von Loki, einem cleveren Betrüger. Jörmungandr verzehrt seinen eigenen Schwanz und der geschaffene Kreis hält das Gleichgewicht der Welt aufrecht. Aber der Uroboros-Mythos ist auf der ganzen Welt dokumentiert – auch schon im alten Ägypten.
Der "Uroboros" des einen zyklischen Universums ist phantastisch. Er enthält in seinem Bauch unser eigenes Universum sowie jedes der seltsamen und wunderbaren alternativen möglichen Universen, die die Quantenphysik zulässt – und an der Stelle, an der sein Kopf auf seinen Schwanz trifft, ist er völlig leer, aber auch sprudelnd von Energie bei Temperaturen von Hunderttausend Millionen Milliarden Billionen Grad Celsius. Sogar Loki, der Gestaltwandler, wäre beeindruckt.