Das Seeing in der Abenddämmerung

  • Hallo zusammen,


    in Bezug auf die Planetenfotografie lese ich regelmässig das die Abenddämmerung hierfür die beste Zeit ist. Angeblich kommt es in der Abenddämmerung zu einem Temperaturausgleich zwischen Tag und Nacht, was zu einem guten Seeing führen sollte. Gegen Mitternacht sollte es schlechter sein, und erst wieder zur Morgendämmerung besser werden.


    Das war mir so bisher gar nicht bewusst, und ich habe Planeten einfach irgendwann in der Nacht aufgenommen. Das möchte ich in dem Jahr dann gerne optimieren, und zu den passenden Zeiten die Aufnahmen starten.


    Generell wollte ich diesbezüglich einfach mal in die Runde fragen, wie hier so die praktischen Erfahrungen zu dem Thema sind. Welche Anhaltspunkte nehmt ihr euch, um den idealen Zeitpunkt abzupassen?

  • Hallo Dane,


    ruhiges Seeing in der Abenddämmerung – tendenziell ist das richtig. Der Hauptmotor der Luftunruhe ist die Sonne, und wenn die verschwindet, sind immer noch die zuvor von ihr aufgeheizten Flächen und Massen da. Die fangen an zu stören, sobald sich die Luft – mangels geringerer Masse – schneller abkühlt. Das ist aber nur die eine Komponente des Seeings. Sie äußert sich durch extrafokales Wallen, das im Fokus als verschwommene Störung wahrgenommen wird. Man braucht nur mal nach außen zu fokussieren, dann zeigt sich, was in der näheren Umgebung (ca. bis 300 m) an lokalem Seeing stattfindet.

    Die andere Komponente ist die fokal scharf abgebildete Unruhe. Die ist stark von der Wetterlage, und hier besonders vom Jetstream abhängig. Im Fernrohr sieht man dann oft eine gerichtete, fasrige Strömung. Es gibt aber auch fokal sichtbare ungerichtete Turbulenzen. In der Praxis überlagern sich das alles zu einer jeden Tag anderen Mischung. Das Seeing ist sozusagen der unverwechselbare Fingerabdruck der jeweiligen Beobachtungsnacht.


    Alle auf Erfahrung beruhenden Regeln zum tageszeitlichen Verlauf des Seeings sind so relativ wie die Wettervorhersage. Sie taugen bestenfalls für eine Tendenz. Die Ursachen der Luftunruhe sind einfach viel zu komplex, um verlässliche Prognosen zu erstellen. Auch wenn man die lokale Situation an seinem Beobachtungsplatz kennt, gibt es immer wieder Überraschungen. Ich sehe mir nun schon seit Jahren die Seeingprognose auf meteoblue.com an. Dass es die gibt, ist wirklich lobenswert. Doch ihre Trefferquote liegt nach meiner Einschätzung gerade einmal bei 50%.


    Es gibt nur wenige Situationen, in denen man wirklich sicher sein kann, dass es sich nicht lohnt, das Teleskop aufzubauen. – Aber das ist ja gerade das Reizvolle an der Astronomie.


    CS, Jörg

  • Hallo Jörg,


    vielen Dank für deine Erklärung. Die Seeingprognose auf meteoblue.com kenne ich zwar, nutze ich aber ehrlich gesagt nicht wirklich. Zum einen, wie du sagst, ist diese keine hundertprozentige Aussage. Zum anderen sind die wolkenfreie Tage auch nicht deutlich begrenzt. :) Also ich habe ehrlich gesagt eine klare Nacht bisher noch nie gemieden, weil eine Seeingprognose nicht so gut aussah. Ich würde also bei jeglicher Möglichkeit gerne mein Glück versuchen. Wenn ich aber zusätzlich noch die Möglichkeit habe, zu bestimmten Zeiten bessere Chancen zu haben, würde ich das natürlich gerne ausnutzen. Das wäre in dem Fall die Abenddämmerung. Also, auch wenn Voraussagen nicht zuverlässig sind, wenn man eine Chance auf gutes Seeing erhaschen möchte, wird diese eher in der Abenddämmerung sein wie z.B. um Mitternacht. Korrekt?

    Zu deinem letzten Satz muss ich ehrlich gestehen, dass ich das alles andere als reizvoll finde. Im Gegenteil, das macht das Hobby ziemlich frustrierend. Da scheiden sich wohl unsere Geister. :)

  • Hallo Dane,


    ich meinte damit, dass es nie genau vorherzusehen ist, wie die Nacht wird. Stell Dir mal vor, alle Nächte wären gleich und man wäre immer an der Grenze seines Instrumentariums. Dann würde man doch viele Objekte nach einem kurzen Blick abhaken nach dem Motto „Hab ich gestern schon gesehen, was soll‘s.“ So aber muss man vielleicht drei- oder viermal beobachten, bis man den einen engen Doppelstern trennen oder eine besonders schmale Rille auf dem Mond erkennen kann. Die Freude darüber macht für mich den Reiz aus.


    Aber ich kann auch Deine Sicht verstehen. Wenn man dem stressigen Alltag (Arbeit, Kinder, Familie) nur ein paar Gelegenheiten im Monat (oder Jahr) abtrotzen kann, dann nervt es gewaltig, wenn ausgerechnet dann wieder mieses Seeing ist.


    Falls es die Himmelsmechanik erlaubt, ist es natürlich nicht verkehrt, die sweet hour nach Sonnenuntergang zu nutzen. Aber die Beobachtungsobjekte halten sich nur selten daran. Wenn man aktuell Jupiter und Saturn beobachten will muss man bis deutlich nach Mitternacht warten. Und wer Deep Sky mit etwas längeren Brennweiten fotografiert, hat in der Dämmerung noch keinen dunklen Himmel. Abgesehen davon, dass das Nichtastrovolk meistens erst gegen 0 Uhr die Wohnungsbeleuchtung ausschaltet.


    CS, Jörg

  • Hallo Jörg,


    ich muss mich hier vielleicht noch zu meiner Denkweise erklären. Ich gehöre zu den Astrofotografen welche primär nach Deepsky Objekten jagen. Für mich ist jede Stunde in einer klaren und auch mondlosen Nacht wichtig. Wenn es um mondlose Nächte geht, ist die Hälfte vom Monat schon mal gestrichen. Die andere Hälfte scheint Bewölkungen regelrecht anzuziehen. Auf kurze Nächte wie aktuell will ich nicht einmal eingehen. Wenn ich das Jahr zurückblicke, dann ist mein Equipment fast 95% nicht im Einsatz gewesen. Ich habe zwar teilweise einen stressigen Alltag, aber keine Kinder und Familie und komme mit 4 Stunden Schlaf aus. Ich wäre von dem her gesehen recht flexibel, aber das Wetter lässt es einfach nicht zu, für ein Objekt viele Stunden zu sammeln. 20-30 Stunden für ein Objekt? Das kann richtig für Frust sorgen. Jedenfalls bei mir, andere sammeln Stunden wie die Oma Plätzchen backt. :)


    Aber aus der Sicht eines Beobachters ist das glaube ich auch etwas anders, da kann ich deinen beschriebenen Reiz auch nachvollziehen. Da geht man auch etwas anders heran, und der Erfolg ist hier etwas anders zu erreichen. Naja, jedenfalls nicht unter vielen Stunden der Aufnahme, wenn auch sicher mit vielen Versuchen verbunden.


    Wenn ich das richtig sehe, wird es für Saturn ab Oktober dann interessant, da diese dann noch bei Dämmerung schon eine gute Höhe haben. Davor scheinen sie etwas tiefer zu sein, und erst zu späteren Stunde weiter oben zu sein. Aber ich werde es gegen Ende des Jahres mal versuchen, die Planeten bei Dämmerung aufzunehmen. Vielleicht habe ich da etwas mehr Glück wie bisher, als ich sie mehr in Richtung Nacht aufgenommen habe. Mittlerweile weiss ich ja auch, das man die grellen Planeten Jupiter und Saturn auch noch bei helleren Himmel erwischen kann.


    Meine ersten Versuche von letztes Jahr mit meinem 10" Newton. Ich weiss mittlerweile auch, dass man den Jupiter derrotieren muss, aufgrund seiner schnellen Rotation. Dadurch erhoffe ich mir auch noch bessere Ergebnisse. Zudem habe ich mir ein gebrauchtes 16" Dobson mit EQ-Plattform zugelegt, und will damit mal mein Glück mit Planetenaufnahmen versuchen.



    Und da ich für dieses Jahr schon einiges optimieren möchte, um mich zu steigern, so gehört das Thema Seeing eben auch mit dazu. Deswegen auch die Frage hier. Bei Deepsky ist das Seeing glaube auch nicht so sehr das Thema wie bei den Planeten. Natürlich blähen sich bei schlechten Seeing die Sterne etwas mehr auf, aber das ist glaube ich ein Übel was viele DeepSky Fotografen einfach in kauf nehmen da normalerweise auch vernachlässigbar. Bei Planeten hat das geflackere schon ordentlich rein, und entscheidet deutlich mehr im Endresultat. Da gehen gleich mal deutliche Details flöten.

  • Hallo Dane,


    dass die für Deep-Sky-Aufnahmen geeigneten Stunden rar sind, kann ich bestätigen. Es braucht nicht nur wolkenlosen Himmel und gute Transparenz – auch das Seeing sollte stimmen. Da verstehe ich Deinen Frust.


    Ich bin von den Interessen her ziemlich breit aufgestellt. Zwei Drittel visuell, ein Drittel foto- bzw. videografisch. Dadurch findet sich immer etwas, mit dem man den Abend bzw. die Nacht am Instrument verbringen kann.


    Bei der DS-Fotografie wirkt sich m. E. das Seeing ab etwa 500mm Brennweite auf die Abbildungsqualität aus, bei sehr kleinpixligen Sensoren schon vorher. Nicht nur die Sternabbildung leidet, auch Details in Nebeln werden verschmiert. Bei großen Spiegeln ist der Effekt natürlich besonders stark. Eine Möglichkeit, dagegen anzukommen sind sehr viele, sehr kurz belichtete Einzelframes. Schau Dir dazu mal die Beiträge von Ralf (03sec) hier im Forum an. Da gibt es viele Anregungen, übrigens auch zur Planeten- und Mondvideografie.


    Planeten sollte man trotz aller Überlegungen zum Dämmerungsseeing am besten in der Zeit ihrer Opposition beobachten. Dann stehen sie am höchsten und haben den größten scheinbaren Durchmesser. Letzteres ist vor allem bei Mars, aber auch noch bei Jupiter relevant. Also warte nicht zu lange, Oktober ist womöglich schon etwas zu spät. Auch, weil im Herbst das Seeing tendenziell schlechter wird. Die jahreszeitlichen Schwankungen hab ich nämlich noch gar nicht erwähnt. Am besten ist normalerweise das Frühjahr. Aber wie schon ganz am Anfang gesagt: Beim Wetter – und das Seeing ist ein Teil davon – gibt es immer Ausnahmen.


    CS, Jörg

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!