Wir schreiben das Jahr Anno Domini 1990. Es gibt eine Spiegelschleif Materialzentrale in der Wilhelm Foerster Sternwarte im Berlin, die vom inzwischen längst verstorbenen Werner Nehls (Montierungen Witte und Nehls) betrieben wird. Man konnte dort die fetten alten Schott Duran Rohlinge kaufen und kriegte immer nur eine Körnung Schleifpulver pro Treffen mit, damit man auch jede Woche wiederkommt.
Dieser Herr Nehls weigerte sich, mir einen 25 cm Rohling rauszurücken, das sei viel zu groß für einen Anfänger. So zog ich etwas enttäuscht mit zwei 15 cm Duraniern (einer als Spiegel, der zweite als Tool) und lediglich K80 wieder nach Hause, freundete mich mit dem Kleinen trotzdem zunächst an und fing an zu schleifen, damit ich nächste Woche die nächste Körnung ergattern konnte. Als ich das tat und mit der Trophäe - der K120 Tüte - wieder abziehen wollte, kam ein älterer drahtiger Herr mit markantem Gesicht und ruhiger Stimme in den Werkstattkeller und zog aus einem ledernen Schulranzen einen 25 cm Rohling heraus. Ich starrte abwechselnd auf diese große dicke Glasscheibe und auf dieses Gesicht, das mir irgendwie sagte, ich kann so was Großes und du kannst es auch. Wer war das? Wie kam er zu diesem Rohling? Die Faszination wich der Empörung: "Herr Nehls, ich will auch so was, Sie MÜSSEN mir einen 10- Zöller verkaufen". Ich muss ihn so eingeschüchtert haben, dass er alle Gegenwehr aufgab und mir zwei dieser dicken Duranscheiben übergab. Ich kann mich an diese Begegnung erinnern, als sei es gestern erst passiert. Ich radelte triumphfierend nach Hause, als hätte ich das Casino von Monte Carlo gesprengt und fing SOFORT an, diesen Glasklotz zu schleifen, der kleine 15 cm landete in der Ecke.
Und dieser Typ mit der Schultasche? Das war kein geringerer als Klaus Jünemann, eine langjährige Freundschaft begann. Wir wurden gleichzeitig fertig, schlugen mit unseren 10 Zoll Dobsons auf dem ITV auf und schockten die Zeissianer und Parallaktiker mit hellen scharfen Bildern aus damals noch exotischen Holzkisten.
Warum schreibe ich das gerade jetzt hier rein? Weil ich gestern diesen 257 mm f/5,4 Spiegel per Interferometer nachgemessen habe.
Hier zunächst das finale original Messprotokoll von 1990 mit graphischer Auswertung nach Jean Texereau: Ca. 10% Unterkorrektur vor allem in der Mitte (Berg in der Bitte)
In geradezu grenzenloser Naivität hatte ich aus einen Stück Gardinenstange + Fahrradglühbirne + Loch in Alufolie einen Foucaulttester gebastelt, das Messen erfolgte durch schieben der Messerschneide auf Millimeterpapier - nix Messschieber schon gar keine Messuhr. Zu dem primitiven Messmittel gesellte sich die mangende Ahnung, was mir diese Foucault Schatten zu sagen hatten.
Füttert man Foucault XL mit diesen Originaldaten, sieht man wieder die leichte Unterkorrektur vor allem in der Mitte (Berg in der Mitte):
Und hier die moderne DFT- Fringe Auswertung der Interferometer Messung. 12% Unterkorrektur (CC= -0,883). Verlauf, wie damals gemessen, insgesamt immer noch deutlich besser als beugungsbegrenzt:
Es war das erste Mal, dass ich überhaupt ein scharfes Bild durch ein Teleskop zu sehen bekam. Der "Archimedes" wurde eines der damals am meisten genutzten Teleskope im Berliner Umland. Ich entdeckte Pluto, sah die Jupitermonde als Scheiben, erwischte die Einschläge des Shoemaker Levy auf Jupiter 1994 noch vor der Tagesschau, unzählige Deep Sky Objekte, schloss lebenslange Freundschaften.
Und der Kleine? Den machte ich anschließend mit dem sehr guten historischen Foucault Tester, den Klaus damals nutzte, und verbaute ihn als 2 Stangen Reisedobson.
Hier das original Protokoll mit 4 Zonen von 1991 - inzwischen hatte ich ja mehr Checkung im Spiegelschleifen:
Und hier die moderne Nachmessung:
Ich glaube, das ist nach wie vor einer der genauesten Spiegel die ich je gemacht habe - ok... ist auch einer der kleinsten. Er reiste unzählige male auf dem Motorrad nach Griechenland, 1994 zur Sofi nach Bolivien, im Rucksack in die Berge...
Ich hoffe, ich habe euch nicht zu sehr mit ollen Geschichten gelangweilt.