Ferngläser?
Der Zug ist für mich abgefahren.
Dachte ich, wegen Astigmatismus etc. Mit Brille ist gucken eher nicht mein Fall.
Dann beging ich den Fehler und schaute durch das Zeiss Conquest HD 10x32 von Astrokumpel Stefan und merkte, oha, mit der Austrittspupille komme ich ja doch recht gut zurecht... Zweiter Fehler: bei einem Anbieter das Fernglas etwas günstiger entdeckt und ein 12x42 "zur Ansicht" bestellt...
Meine Begeisterung führt nun zu diesem Bericht...
Kurzversion für Lesefaule
Vorab: ich hab hier nicht den Anspruch eines fachlich fundierten Tests, dazu fehlt mir das Know-How, eines Fernglas-Profis. Mein Ziel ist vor allem, meine Eindrücke zu schildern, auch hier und da in Relation zu dem was ich bisher in anderen Tests las.
Ergonomie / Mechanik/ Haptik
- Dank der schmalen verjüngten Form kann ich je nach Verfassung selbst die 12fach noch hinreichend ruhig halten. Die Finger der Hände blockieren sich nicht beim Umfassen der Tuben. Sehr angenehme Armierung. Wenn ich Hunger habe oder gerade bisl ausser Puste, wackelts deutlich mehr.
- Die Augenmuscheln sind von Material/Form und Abrundung her sehr angenehm am Auge, regelrecht sanft, ähnlich wie die dicken Pentax-XW-Okulare vom Feeling oder das Zeiss Conquest HD. Man kann da insgesamt fast von einem haptischen Erlebnis sprechen...
- Brillentauglichkeit: mit 18 mm Augenabstand ist das Glas für mich mit Brille nutzbar, obwohl ich etwas tiefer liegende Augen habe. Ich kann praktisch das gesamte Sehfeld auch mit Brille überblicken, wenngleich ich das Glas auf die Brille pressen muss. Ohne Brille deutlich bequemer und zum Glück - freihändig gehalten - kaum Einbussen in der Schärfe für mich trotz Astigmatismus. Die Bequemlichkeit ohne Brille wiegt den Verlust an Schärfe dabei für mich auf.
- Knickbrücke angenehm in erforderlicher Kraftaufwendung, perfekt für mich, nicht zu locker, nicht zu starr. Qualitatitv die besten Augenmuscheln die ich bisher am Auge hatte - Das Drehen fühlt sich sehr satt und wertig an, nicht labberig, verstellt sich nix von alleine.
- Fokussierung: sehr leichtgängig. Was mir bei 12fach sehr entgegenkommt, so kann man leicht und schnell die Schärfe anpassen je nach Entfernung des Objekts. Hier und da spühre ich etwas die Mechanik, so kugellagerartig im Feeling, v.a. bei schnellem und weitem Drehen (Fokussierung ist fettfrei). So ganz seicht und ruckellos wie ich es im Internet in Tests las, ist die Fokussierung bei mir in dem Fall also nicht, aber ist im vertretbaren Rahmen, vielleicht muss es sich noch etwas einspielen.
- Abdeckkappen: wie auch in anderen zu findenden Tests auch bei mir okularseitig zu stramm, an den Objektiven schön passgenau und angenehm in der Handhabung
Bildqualität
- Bildschärfe, Kontrast, Farben: Wahnsinn. Völlig neues Fernglas-Seherlebnis für mich. Über praktisch das gesamte Feld scharf, keine für mich erkennbare Feldwölbung oder irgendwas, was den Blick unnatürlich machen würde. Farben sehr intensiv und natürlich. Farbfehler konnte ich bisher nichts feststellen außer direkt am Rand wenn man gezielt draufguckt (lila). Im Jülich-Forum gibt es schon Tests, aller drei Gläser - 8,10,12fach. Das 8fach wurde favorisiert in Sachen Farbfehlerfreiheit/ Brillanz etc.. Die anderen kenne ich nicht, aber das 12fach lässt für mich hier keine Wünsche offen, ich denke eher, tags wäre mir das Bild dann oft zu hell mit 8fach.
- ergänzt: nach einigen Tagen Nutzung fiel mir verstärkt etwas Kidneybeaning auf. Man sollte nicht zu nah an die Linsen gehen. Wenn man die Augenmuscheln weit genug herausgedreht hat, ist dies aber kein Problem mehr.
- Reflexe: schwierig zu greifendes Thema. Hier und da tauchen ein paar auf, v.a. bei trübem Wetter, so kam es mir vor. Allerdings erstaunlich gering in Extremsituationen, etwa Sonne direkt hinter dem Sehfeldrand. Hab penibel für mich geprüft, ob mich diese stören: nein, tun sie nicht. Gesamteindruck des Bildes bleibt herausragend. Bei grellem Mond stellte ich zunächst keine Reflexe fest, allerdings gestern bei aufgehendem Mond in der unteren Bildhälfte etwas sichelförmig (obwohl M0nd fast voll).
- optionale Stirnstütze ab Werk: hilft mir nicht viel, zu nah an der Stirn, hab testweise den Effekt mit einer Bastelei aber getestet: mit dem dritten Auflagepunkt (neben Augenhöhlen) halte ich es wirklich etwas ruhiger. Gut genug der Effekt, dass ich mir eine eigene passende Stütze zurechtmodifiziere.
Langversion fürs Wochenende
Ich komme zu Hause am Dorf an, der Himmel blitzeblau, freigeblasen und ausgewaschen vom wechselhaften Frühlingswetter. IDie Sonne würde sich bald dem Horizont neigen, noch hatte ich jedoch ca. 2 h bis dahin Zeit. Ich marschierte schnellen Schrittes Richtung offene Flur, kam an der Flüchtlingsunterkunft vorbei und irgendwann bemerkte ich jemand hinter mir, der mindestens so schnell war wie ich. Ich blickte mich um: es war der hinkende Kumpel, den ich schon öfter auf den Feldern gesehen habe. Trotz Handicap liebt er offenbar die Bewegung und sicher auch die schöne Umgebung. Da ist er einer der wenigen der Flüchtlinge, denen ich in der Flur begegnet bin bisher. Wahnsinn, der ist ja bald schneller als ich, obwohl das rechte Bein hinter sich herschleifend... Ich ließ mich jedoch nicht irritieren, denn es gab sogleich was am Himmel zu bestaunen: ein Turmfalke im Rüttelflug. Toll! Wie geschaffen, um mal die 12fache Vergrößerung an fliegenden Vögeln auszuprobieren. Es klappte hervorragend. Selbst als etwas später der Vogel schon weiter weg war, wo ich sonst gar nicht mehr ein Fernglas angesetzt hätte, war er noch gut zu beobachten.
Als ich mich zum Dorf zurück umdrehte, schaute ich fast genau Richtung Sonne. Ich blickte mit dem Fernglas bewusst unterhalb der Sonne, um die Reflexe zu ertesten. Es gab erstaunlich wenig Einflüsse. Natürlich gab es ein paar Effekte, aber keinesfalls so flächig und störend, wie man es hätte erwarten können bei der Sonne quasi knapp vorm Sehfeldrand. Selbst im Gegenlicht waren Personen auf dem Weg noch klar definiert.
Die Welt sah irgendwie anders aus in dem Fernglas, ein bisl wie eine andere Welt – aber klar, scharf, farbenfroh, kontrastreich. Ohne es beschreiben zu können, es wirkte etwas surreal aber nicht im negativen Sinne. Die Farben in der Landschaft wurden durch die grelle aber langsam gelbliche Sonne intensiv, das Fernglas bildete dies genauso ab, vielleicht gar einen Ticken intensiver aber genau in dem Farbton. Bald zeigte sich in ein paar 100 m Entfernung ein filigran schwebendes Wesen: kurzer Blick mit dem Fernglas: Kornweihe! Toll. In so großer Entfernung deutlichst zu erkennen. Ein Blick Richtung Ammersee zeigte die vorgelagerten Äcker und Wiesen mit diversen Krähen drauf. Nicht spannend? An sich richtig – aber in einem wirklich flächendeckend scharfen Bild ist selbst sowas interessant. Man musste das Fernglas gar nicht mehr bewegen, um abseits der Mitte zu beobachten, es genügte, die Augen zu bewegen... Beim Umherschweifen sieht man Dinge, die man erst gar nicht anvisiert oder mit bloßem Auge gesehen hat. So hockte ein Turmfalke am Boden eines Feldes, den ich sonst nie gesehen hätte, so aber fiel er mir auf. Ja verflixt, sogar ein ferner Stein im Acker hat mich fasziniert! Warum? Weil ich ihn als solchen klar und deutlich, eindeutig erkannt habe, obwohl gefühlt ewig weit weg.
Bussarde tauchten auf, die sich mit anderen Vögeln behakten, ich meine es waren Krähen, kann mich aber nicht mehr recht erinnern. Etwas später eine ähnliche Situation, diesmal Bussard mit Turmfalke. Gerade solche Situationen zeigen die Stärke des großen Sehfeldes. Wo man sonst hektisch hinterhereilt mit dem Sehfeld, kann man sich jetzt in Ruhe auf die Szene konzentrieren, sie einfach genießen. Im Hintergrund tauchte ein Silberreiher auf. Auf einmal stand ein weiterer in der Wiese. Sehr nah, vielleicht 50 m entfernt. Im Fernglas sah es aus, als würde ich einen Naturfilm anschauen. Gestochen scharf in tollem Licht blickte ich in seine Augen. In der Ferne schwebte wieder etwas am Himmel entlang – wieder eine Kornweihe! Dieses mal das Männchen. Ich komme aber schon fast etwas durcheinander, ich glaube später kam nochmal das Weibchen in die Szenerie bei der ersten Sichtung der Kornweihe war es wohl auch das Weibchen.
Meine Güte, was hier in dieser einen Stunde los ist! WAS für ein Einstand für das Fernglas! Was für eine Einweihung! Ich blickte ein paar Minuten zuvor zu einem hiesigen Hügelchen, es passte komplett ins Sehfeld hinein und ein paar Leute waren klar und deutlich vor mir, als würde ich am Fuß vom Hügel stehen, dabei war er grob geschätzt 400 m weit weg. Keinerlei Beeinträchtigungen durch irgendwelche Bildfehler. Kürzlich las ich, sei es Review oder Werbung gewesen, keine Ahnung, jedenfalls sehr treffend: das NL Pure BEAMT einen regelrecht in die Szenerie hinein. Wie soll man das auch anders nennen, wenn nichts die Sicht trübt, beeinträchtigt: es ist ja so, als wäre man auf einmal dort, weil nichts einen ablenkt und dran erinnert, dass man durch irgendwas vergrößerndes durchsieht. Ich schob ein paar Spaziergänger bewusst an den äußersten Sehfeldrand. Ja gibt’s das denn, die blieben wirklich scharf, bis an den Rand! Dort, am äußersten Rand, gab es deutlich violette Falschfarben, aber nur, wenn man direkt auf den Rand guckt. Auch meinte ich, einen purpurnen Touch an der Kleidung im zentraleren Bereich wahrzunehmen, aber das ist extrem schwer zu sagen, ob es ein Effekt chromatischer Abberation, der eigenen Augen oder einfach der grellen Farben des Tages lag. In keinem Fall jedenfalls störend.
Ich blickte zurück Richtung Waldrand und verfolgte dabei einen Mäusebussard, der schon die ganze Zeit gekreist ist auf Höhe des erhabenen Friedhofs. Einfach toll, ein so hoch fliegendes Tier so gut beobachten zu können. Deshalb wählte ich 12fach. So ist der Sprung doppelt gegenüber meinen bisherigen 10fadh-Gläsern: die Qualität vom Glas UND die erhöhte Reichweite. Bei Vögeln hat mir oft etwas Vergrößerung gefehlt. 10fach war schon immer meine Lieblingsvergrößerung, aber irgendwann merkte ich, ein bisl näher dran bräuchte es oft schon. Auch mit Blick auf die zusätzliche Verwendung als Astrogerät, wäre bisl näher dran schon prima, etwa bei Kugelsternhaufen. Für alte Anblicke und altgewohnte Vergrößerung geb ich nicht soviel Geld aus. Da würde das tolle kleine Kowa 10x22 genügen.
Ich schweife ab... genau wie der gerade benannte Mäusebussard... er flog zum Waldrand, verschwand über den Bäumen, Verschwand aber nicht wirklich, denn die noch blattlosen Bäume ließen einen Blick in den Wald zu. Ich sah, wie der Bussard sich herniederließ auf einem Ast und ich stellte fest: es saßen dort nun 2 Bussarde! Er hat sich genau neben einen anderen gesetzt, offenbar Partner. Das habe ich so noch nie gesehen. Bei 10fach, da bin ich mir recht sicher, und auch bei weniger guter Bildqualität, hätte ich entweder längst vom Vogel abgelassen und die Szene verpasst, oder es überhaupt nicht so weit verfolgen können.
Firstlight am Nachthimmel
Als es dunkel war, ging´s auf den Balkon. Da eine Zirrenbank aus Westen zu kommen schien, nutzte ich die Zeit auf dem Balkon fürs Erste, um keine Zeit zu vertrödeln. Orion samt seiner Nebel war erstmal das Ziel, ebenso M 41 unterhalb von Sirius und den Puppis-Haufen.
Die Transparenz war gerade recht gut und warum nicht mal mit Hbeta-Filter testen, was so geht. Barnards loop keine Chance. Zuviel Störlicht rundrum. Aber IC 434 vom B33-Dunkelnebel: der war einäugig (nur ein Filter vorhanden) zweifelsfrei und eindeutig zu sehen mit dem Filter. Die leicht schräge Lage unter dem Stern habe ich exakt so gesehen und hinterher geprüft in Skysafari. Ja krass, mal eben vom Balkon ein Objekt gesehen, wo ich mich früher am Berg im Dobson schwer tat...Flammennebel komischerweise nicht oder nur seeeehr knapp zu sehen (ohne Filter).
Die Wolken kamen, die Wolken gingen, und ich ging bzw. fuhr tatsächlich doch noch raus auf den Acker. Hier war M 41 endlich gscheit zu beobachten, schön! Balkon ist eben doch bisl suboptimal. Da sieht man auch wie wertvoll die Randschärfe ist, wenn man Sirius und den Haufen gleichzeitig schön scharf sehen möchte. Am eindrücklichsten war M 35 und der Affenkopfnebel, der problemlos und auffällig im gleichen Sehfeld am start war. Der Doppelcluster im Perseus war schön, aber noch nicht so brillant, da freu ich mich auf alpine Bedingungen mit dem Fernglas. In Leo zeigt das Triplett trotz München-Siff im Nordosten schon beide M-Objekte deutlich, was an der hohen Vergrößerung liegen dürfte. Bzw. dem erhöhten Kontrast gegenüber höherer AP.
Es folgen nun ein paar Bilder, welche näherungsweise zeigen sollen, was dieses Glas zeigen kann.
Achtung! Hier ist zu beachten, dass ich einfach ganz primitiv meine SonyRX100 hinter das Okular gehalten habe, während das FG auf einem Tisch lag. Die Schärfe übers Feld anhand der Bilder exakt zu beurteilen, wird nicht funktionieren, da bei der recht primitiven Foto-Technik immer irgendwo was schief ist, obwohl Kameraobjektiv auf das Okular gedrückt. Zudem ist die Tiefenschärfe bei 12fach sehr gering, sodass nur ein bestimmter Bereich richtig scharf sein kann. Die Kamera ist nicht die beste im Zeigen der realen Brillanz, tags eher flau. Die Bilder sind gänzlich unbearbeitet, lediglich auf 1600 Pixel Breite reduziert.
und den Turm noch extra an den Rand positioniert:
Fazit
Seit ich das Glas habe, bin ich ganz hibbelig, raus in die Natur zu gehen. Was gäbe es wohl heute zu entdecken? Ich fühle mich hier 100% wie ein Werbetexter (nein, ich bekomme hier nix ;-)), aber das ist einfach der Effekt: Ein Effekt, den ich zwar ein wenig erwünscht, aber niemals so erwartet hätte. Dass dieses Fernglas das Naturerleben dermaßen pushed, fast die Liebe zur Natur neu erweckt : das ist mein Fernglas fürs Leben.
CS!
Norman