In letzter Zeit habe ich manches hin- und herprobiert und überlegt zum Spechteln mit Brille. Meine Erfahrungen dabei und meine derzeitigen Folgerungen daraus möchte ich hier zur Diskussion stellen.
Im Mittelpunkt steht die Frage, wie eine Brille aussehen sollte, die zur visuellen Beobachtung am Teleskop optimal geeignet ist. Dies schließt nicht unbedingt aus, dass eine solche Brille auch alltagstauglich sein kann - dies soll aber zweitrangig sein.
Vorbemerkung: Man braucht einen geduldigen Optiker, das wird im Rest dieses Texts noch klar werden. Es hilft sicher, vorher einen Termin zu vereinbaren - und es hilft erst recht wenn der Optiker zufällig selbst Sterngucker ist. Ich gehe mit Beobachtungstuch, Okular, Sternkarte und Rotlichtlämpchen zum Optiker (siehe unten), da kommt nicht jeder mit klar.
Noch eine Vorbemerkung: Alltags-Brillenträger müssen nicht unbedingt mit Brille beobachten. Falls nur sphärische Korrektur nötig ist kann man sie einfach ausfokussieren, wenn aber ein Zylinder (Astigmatismus) mit drin ist geht der so nicht weg. Am Planeten (sehr kleine Austrittspupille bei Hochvergrößerung) mag der Asti keine Rolle spielen (so dass die Brille ebenfalls überflüssig sein kann). Ansonsten gibt es noch DIOPTRX, einen Vorsatz für manche Okulare der den Asti ausgleicht. Macht sich aber nicht so gut am Drehfokussierer. Bei mir ist Gucken mit Brille die richtige Lösung.
Die richtige Glassorte:
Hier liegt die Sache aus meiner Sicht einfach, jedenfalls solange man nicht eine wirklich starke Brille braucht. Man will möglichst geringe chromatische Aberration, also eine hohe Abbe-Zahl. Gläser mit einer
Brechzahl von ca. 1.5 erreichen leicht eine Abbe-Zahl über 50, stärker brechende nie. Dies gilt für Mineralglas genauso wie für Kunststoff. Mein Favorit: Zeiss Mineralglas 1.53 (den Namen Punktal hat Zeiss wohl aufgegeben?!) mit einer Abbe-Zahl von 58.3. Kunststoff mit Brechzahl 1.5 mag ebenfalls infrage kommen, aber ich bin etwas skeptisch bzgl. Vergilbung über längere Zeiträume (habe das mal zufällig beobachtet: Brille im diffusen Sonnenlicht auf eine weiße Tischdecke gelegt ergibt einen gelblichen Hof). Polycarbonat scheidet komplett aus: die Abbe-Zahl von 30 (bäääh) spricht für sich. Die Entspiegelung darf natürlich die beste verfügbare sein.
Die Korrekturstärken:
meine Augen sind nicht mehr die jüngsten, und eine Korrektur mit der ich sowohl den Sternenhimmel sehen als auch die Sternkarte lesen kann gibt es nicht (mehr). Andererseits möchte ich keineswegs ständig mit Handschuhen und unter der Wintermütze zwischen Nah- und Fernbrille wechseln. Meine Lösung: das Beobachtungsauge bekommt ein auf Unendlich korrigiertes Einstärkenglas, das andere Auge ein Zweistärkenglas für Himmel/Karte. Um dessen Stärke im Nahbereich zu bestimmen habe ich eine Sternkarte und eine Rotlichtlampe mit zum Optiker genommen und ihn gebeten, die Korrektur unter diesen Bedingungen zu ermitteln. (Versucht habe ich früher auch, einfach das Beobachtungsauge auf Unendlich und das andere auf Nah zu korrigieren, also mit zwei völlig unterschiedlichen Einstärkengläsern. Dies hat sich aus meiner Sicht aber NICHT bewährt: der freiäugige Blick an den Himmel leidet dabei zu sehr. Telrad!) Man kann die Nah/Fern-Kante am Karten-Zweistärkenglas ziemlich weit hochziehen, der Fernbereich darf durchaus erst oberhalb der Mitte anfangen.
Das Messverfahren:
Ich schwöre auf das "iS cription"-Verfahren von Zeiss, das mit einem Laser eine komplette Wellenfront des Auges misst und auch anzeigt. Hat natürlich lange nicht jeder Optiker, aber man findet sie. (Abraten muss ich von diesem Verfahren nur dem Sternenfreund, der sich in Kenntnis des Strehls seiner Augen (das Ding zeigt den Augen-Strehl an, und der ist auch bei Adleraugen schlimmer als beim Lidlscope) selbige hinterher ausstechen würde.) Tipp: das Gerät misst bei der Pupillengröße, die man im gut beleuchteten Optikergeschäft halt so erreicht (und gibt sie auch an). Wer Wert darauf legt, dass die Brille auch bei weit geöffneter Pupille passt sollte ein Beobachtungstuch mit zum Optiker nehmen und es bei der Messung über Kopf und Gerät legen. Ich komme ohne Tuch nur auf 3.7mm, mit Tuch leicht über 5mm. Vielleicht will man es aber auch nicht übertreiben - wer die Korrektur seiner Brille konsequent auf eine 6.5mm-Pupille optimiert macht wahrscheinlich Abstriche bei kleinerer Pupille. Andererseits mag das für Kometenspezialisten völlig OK sein...
Abstände und Gestell: Um mit Brille beobachten zu können braucht man Okulare, die einen hohen Pupillenabstand (Eye Relief) haben. In den Kenndaten der Okulare angegeben wird der Abstand von der Mitte der Augenlinsen-Außenfläche zur Austrittspupille des Okulars, also zu dem Punkt an den man seine Augenpupille bringen will um das volle Gesichtsfeld überblicken zu können. "Brillenträger-Okulare" haben einen Pupillenabstand von ca. 18mm und aufwärts. In diesen Abstand muss passen:
1.) der Abstand zwischen Hornhautscheitel und Brillenglas (Brillenpass: HSA)
2.) das Brillenglas in seiner Dicke
3.) der Abstand zwischen Brillenglas/fassung und Okular-Auflagefläche
4.) evtl. die Einbuchtung einer konkaven Okular-Augenlinse (nicht unwichtig: wenn ein Okular zwar 19mm Augenabstand angibt, seine letzte Linse aber tief eingewölbt ist, geht diese Tiefe von den 19mm ab sofern man nicht mit der Brille in die Wölbung hineinkriechen kann).
Viele Forderungen für wenig Platz! Als erstes will man natürlich eine Brille ohne dekorative Aufbauten, die am Okular anecken, und man will auch keinen zentimeterdicken Rand, der das Brillenglas deutlich überragt (Punkt 3). Es ist eine gute Idee, ein Lieblingsokular mitzunehmen und die Passung zu testen. Außerdem aber sucht man ein Gestell, das das Brillenglas recht nah vors Auge setzt (=geringer HSA, Punkt 1). Dieser HSA-Wert ist ebenso vom Gestell abhängig wie von der eigenen Nasenform und ggf. der Einstellung der Pads - es hilft nur Ausprobieren. Mein Optiker hat mir ein Gestell mit lediglich ~9mm HSA gefunden - übliche Formen haben ca. 12-16mm. Dieser gesparte halbe Zentimeter macht bei mir den Unterschied zwischen Beobachtung mit aufliegender Brille bzw. ohne.
Soweit zu meinen persönlichen Meinungen. Über Eure Hinweise auf Eure Erfahrungen, andere Sichten, vergessene Aspekte, insbesondere auch auf Fehler in meiner Beschreibung freue ich mich sehr. Ich hoffe auf eine angeregte Diskussion!
Schönen Gruß!
Werner