Das versteckte Innenleben des Orionnebels

  • <b>Im Weltall können in vergleichsweise kurzer Zeit ganze Sternhaufen entstehen. Aus einer Untersuchung eines Gas- und Staubfilaments, zu dem auch der bekannte Orionnebel gehört, schlagen Amelia Stutz und Andrew Gold vom Max-Planck-Institut für Astronomie einen neuen Mechanismus für diese ultraschnelle Sternentstehung vor. Ihren Untersuchungen nach ist das Filament eine flexible Struktur, zusammengehalten durch Gravitation und stabilisiert durch Magnetfelder, die hin und her schwingt. Dies und die Lage der Sternhaufen rund um das Filament legt nahe, dass Instabilitäten, wie sie aus der Plasmaphysik bekannt sind, für die schnelle Bildung von Sternhaufen verantwortlich sein könnten.</b>


    Der Orionnebel, als hellrote, komplex gemusterte Gaswolke bekannt aus zahlreichen Teleskopbildern, ist eines der bekannten astronomischen Objekte überhaupt. Amelia Stutz und Andrew Gould vom Max-Planck-Institut für Astronomie sind überzeugt, dass der Orionnebel noch sehr viel mehr sein dürfte, nämlich das Schlüsselobjekt um zu verstehen, wie große Molekülwolken binnen weniger Millionen Jahre (also auf astronomisch gesehen kurzen Zeitskalen) ganze Sternhaufen auf einmal bilden können.


    Ausgangspunkt für die Überlegungen von Stutz und Gould sind Karten der Massenverteilung in einer Struktur, die „integralförmiges Filament“ genannt wird und zu der auch der Orionnebel-Sternhaufen gehört, sowie Studien zu den Magnetfeldern in und um dieses Filament. (Seinen Namen verdankt das Filament dem Umstand, dass es aussieht wie ein langgezogenes S, also wie das Integralzeichen der Mathematiker.) Diese Daten zeigen, dass der Einfluss von Magnetfeldern und Gravitation auf das Filament ungefähr gleich groß ist. Die zwei Astronomen haben darauf aufbauend ein Szenario entwickelt, in dem das Filament ein flexibles, hin- und her schwingendes Gebilde ist, deutlich anders als die üblichen Modelle von Gaswolken, die unter ihrer eigenen Schwerkraft kollabieren.



    Bild des Sternentstehungsgebiets Orion A. Zu erkennen sind das integralförmige Filament, die zwei Sternhaufen oberhalb des Filaments sowie im Süden die Wolke L1641. Linkes Bild: (Säulen-)Dichtekarte aus Daten des Weltraumteleskops Herschel. Rechtes Bild: Infrarotbild des Weltraumteleskops WISE (Lang 2014). Mitte: Kombination der zwei Bilder. Bild: A. M. Stutz / MPIA


    Wichtiger Beleg für das neue Bild ist die Verteilung von Protosternen und von jungen Sternen in und um das Filament. Protosterne sind noch im Entstehen begriffen: Sie ziehen sich noch weiter zusammen, bis ihre Kernregionen genügend hohe Dichten und Temperaturen erreicht haben, dass dort im großen Stil Kernfusionsreaktionen einsetzen können. Protosterne sind leicht genug, um mitgenommen zu werden, wenn das Filament hin und her schwingt. Junge Sterne sind deutlich kompakter, und werden vom Filament schlicht zurückgelassen oder wie aus einer Steinschleuder in den umgebenden Raum katapultiert. So kann das Szenario erklären, was die Beobachtungsdaten in der Tat zeigen: dass sich nämlich die Protosterne nur entlang des dichten Rückgrats des Filaments finden, junge Sterne dagegen vor allem außerhalb des Filaments.


    Die potenziell wichtigste Folge des neuen Szenarios ist, dass sich daraus ein neuer Mechanismus für die Entstehung ganzer Sternhaufen auf (astronomisch gesehen) kurzen Zeitskalen ergeben könnte. Die Positionen der Sternhaufen in und um das integralförmige Filament legen nahe, dass das Filament ursprünglich in nördliche Richtung deutlich weiter ausgedehnt war als heute. Über Millionen von Jahren scheint sich dann von Norden aus ein Sternhaufen nach dem anderen gebildet zu haben, und jeder fertige Sternhaufen hat das ihn umgebende Gas-Staub-Gemisch mit der Zeit zerstreut. Daher sehen wir heute drei Sternhaufen in und um das Filament: der älteste davon am weitesten von der heutigen Nordspitze des Filaments entfernt, der zweite näher und noch von Filamentresten umrankt, während der dritte, der Orionnebel-Haufen mitten im integralförmigen Filament, gerade noch im Wachsen begriffen ist.


    Das Wechselspiel von Magnetfeldern und Schwerkraft ermöglicht bestimmte Arten von Instabilitäten, die zum Teil aus der Plasmaphysik bekannt sind und für die schnelle Entstehung eines Sternhaufens nach dem nächsten verantwortlich sein könnten. Allerdings ist bislang lediglich eine Hypothese, dass tatsächlich solche Instabilitäten hinter der schnellen Sternhaufenbildung stecken. Die Hypothese beruht auf Beobachtungsdaten für das integralförmige Filament, aber es handelt sich bei weitem (noch) nicht um ein ausgereiftes Modell für einen neuen Modus der Sternentstehung. Bis dahin müssten zum einen Theoretiker entsprechende Simulationen durchführen, zum anderen Astronomen weitere Beobachtungen vornehmen: zum einen des integralförmigen Filaments selbst, zum anderen von Kandidatenobjekten, in denen ähnliche Prozesse ablaufen könnten. Erst nach diesen Vorarbeiten wird sich herausstellen, ob die Orion-A-Molekülwolke ein Sonderfall ist oder ob die Geburt von Sternhaufen in einem Reigen magnetisch eingeschlossener Filamente der übliche Weg ist, wie in unserem Kosmos rasch ganze Haufen neuer Sterne entstehen.


    Weitere Infos und Bilder auf den Seiten des MPIA unter http://www.mpia.de/news/wissenschaft/2016-08-orion-a

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