Hallo Kurt, Gerd und Michael,
ich hatte schon seit längerem in diesem interessanten Thread mitgelesen und mitgedacht und möchte mich jetzt auch mal zu Wort melden.
(==>)Kurt:
zu allererst auch von mir begeistertes Lob zu Deinem neuen Paukenschlag! Ich habe inzwischen versucht, sowohl anhand Deiner numerischen Daten, als auch mit der OpenFringe-Version 8.10 von Dir Deine Entwicklungen nachzuvollziehen. Das ist mir mit OpenFringe auch überraschend gut gelungen, obgleich ich nur Deine hier eingestellten Bilder mit geringer Auflösung benutzt habe. Die grundsätzliche Vorgehensweise bei Deiner Berechnung scheint mir völlig in Ordnung zu sein. Ich habe aber einige Anmerkungen dazu, die die Umrechnung bei Aberrator für Defocus von Gangdifferenz in mm, sowie die Bedeutung der Zernike-Polynome für Defokus und Öffnungsfehler betreffen. Bezüglich der Berechnung durch Aberrator hattest Du ja schon selbst einige Zweifel. Falls meine Überlegungen stichhaltig sein sollten, führen sie zu kleinen Änderungen des Rechengangs (der leider etwas komplizierter werden würde) und damit natürlich auch zu geringfügig anderen Ergebnissen. Den komplizierteren Vorgang sollte man meiner Meinung nach aber in Kauf nehmen, um unangreifbare Ergebnisse zu erhalten, wenn meine Annahmen denn richtig sind.
Aberrator:
Die Umrechnung von Focus(Wave) auf Focus(mm) erfolgt wahrscheinlich mit
Fokus(mm) = Focus(Wave) * 0.00055mm * (ApertureRatio)^2 * 8
Für Deinen ED mit ApertureRatio=9 komme ich dann ungefähr auf Deine Tabellenwerte, die Abweichungen liegen wahrscheinlich an Rundungsungenauigkeiten. Die gleiche Formel benutze ich auch in meinem Programm PointSpread, allerdings <b>nicht</b> mit fester Wellenlänge von ca. 550nm wie hier bei Aberrator, sondern natürlich mit der jeweils aktuellen Wellenlänge. Diese Beziehung lässt sich einfach geometrisch für die Gangdifferenz der Achs- und der Randstrahlen bei einer Defokussierung herleiten, also für den PV-Wert in diesem Fall. Durch Vergleich der Ausgaben von OpenFringe und Aberrator komme ich zu dem Ergebnis, dass alle Wave-Eingaben in Aberrator PV-Werte sein müssen und keine Zernike-Koeffizienten. Das hast Du ja in Deiner Auswertung auch genau so gemacht.
Zernike-Polynome:
Die Zernike-Polynome sind so konstruiert, dass sich bei der Zufügung eines weiteren Polynoms zur Berechnung automatisch der kleinstmögliche rms-Wert der Wellenfrontabweichung und damit der größtmögliche Strehlwert für die Summe der gewählten Polynome ergibt. Was bedeutet das in unserem konkreten Fall? Bei Abwesenheit von Öffnungsfehler ergibt sich eine optimaler Fokusposition, die durch die Größe des Koeffizienten Z3 für das Zernike-Polynom Nr.3 2r^2-1 gekennzeichnet ist. Die Größe r ist hierbei der normierte Radius der Eintrittspupille, d.h. für den Achsstrahl gilt r=0, für einen Randstrahl r=1. Die (normierte) Wellenfrontabweichung durch die Defokussierung berechnet sich also für jeden Wert r zu Z3*r^2-Z3. Der Term mit r^2 kennzeichnet die Fokusabweichung, während der konstante Term dafür sorgt, dass der rms-Wert minimal ist.
Der Gangunterschied zwischen Rand- und Achsstrahl, in diesem Fall also der PV-Wert, berechnet sich zu FokusPV(Wave)=Z3*(2-1-0+1)=2*Z3. Um in Aberrator also die gleiche Defokussierung zu erzeugen, muss der doppelte Zernike-Koeffizient für Defokus eingegeben werden. Auch das hast Du ja genau so gemacht, allerdings mit dem Umweg über <Profile>.
Um es noch einmal zu betonen: Das Zernike-Polynom Nr.3 bezieht sich ausschließlich auf die Fokusabweichung bei Abwesenheit von Öffnungsfehler. Nehmen wir jetzt für die Berechnung z.B. den Öffnungsfehler 3. Ordnung hinzu, so ist der optimale Fokus <b>nicht</b> mehr in der Position, der sich aus dem Zernike Fokus-Polynom ergibt, sondern man muss tatsächlich ‚nachfokussieren’. Das wird nach Zernike beim Polynom Nr.8 6*r^4-6*r^2+1 dadurch erreicht, dass in dem Ausdruck ein Term mit r^2 vorhanden ist, der eben einer Fokusverschiebung entspricht. Die Größe dieses Anteils errechnet sich zu Z8*6*r^2. Dass diese Verschiebung auch in der physikalischen Wirklichkeit beobachtet wird, kann man mit jedem Optikprogramm beispielsweise für einen Paraboloidspiegel zeigen, indem man die konische Konstante auf Null setzt und die Veränderung des optimalen Fokus untersucht.
Zusammengefasst ergibt sich, dass nicht das Zernike Fokus-Polynom allein zu beachten ist, sondern ebenfalls die Summe aller höheren Polynomterme mit r^2. Das hört sich erst mal sehr kompliziert an, meiner Meinung nach kann man sich aber für den hier diskutierten Zweck auf den oben schon beschriebenen Anteil für den Öffnungsfehler 3. Ordnung beschränken. Man würde also folgendermaßen vorgehen:
1. Ermittlung der Zernike-Koeffizienten für die Referenzwellenlänge (546nm) und die Prüfwellenlänge (z.B. 675nm) mit OpenFringe
2. Bestimmung der Gangdifferenz für den optimalen Fokus bei Aktivierung von Defokus und sphärischer Aberration 3. Ordnung mit Z3’_546=(2*Z3_546-6*Z8_546)/2
3. Umrechnung dieses Wertes auf die Prüfwellenlänge mit Z3’_675 = Z3’_546 *546/675
4. Bestimmung des Referenzfokus für die Prüfwellenlänge mit Z3_Ref675=Z3_675-Z3’_675
5. Dieser Wert wird anstelle von Z3_675 in die Zernike-Tabelle eingetragen. Nach Aktivierung von Z8_675 kann die Abbildungsqualität bei der Prüfwellenlänge mit Fokussierung auf die Referenzwellenlänge beurteilt werden
6. Der Defokussierweg in mm wird mit Fokus(mm) = 2*Z3_Ref675 *0.000675*8*(ApertureRatio)^2 bestimmt
Ob der Faktor 2 in der letzten Beziehung wirklich richtig ist, ist für mich ziemlich wahrscheinlich, ich bin mir aber nicht hundertprozentig sicher. Das stelle ich mal zur Diskussion, bzw. das könnte vielleicht experimentell geklärt werden.
Stillschweigend habe ich bei diesen Ausführungen den Beitrag der verschiedenen Polynome zur konstanten Gangdifferenz (Piston) unterschlagen. Ich glaube, dass dieser für unser Problem nicht wichtig ist, da physikalisch nur die Differenz zwischen den Extremwerten der Wellenfrontabweichung (PV) wichtig ist. Bei der Differenzbildung fällt aber der konstante Gangunterschied heraus.
Deine Beispielwerte würden dann für die erste Messserie bei 546nm und 675nm folgendermaßen aussehen:
Lambda / Defokus / Fokusweg / Strehl
546 nm / 0 Lambda / 0mm / 0.99
675 nm / -0.98Lambda/ -0.43mm/ 0.042
Man sieht also schon eine Änderung gegenüber Deinen Werten.
(==>)Gerd:
Deine Berechnung des ‚visuellen Strehl’ wurde bisher ja kontrovers diskutiert, deshalb möchte ich hier auch meine Sicht darstellen. Dein Berechnungsverfahren ist nach meiner Meinung völlig korrekt. Alle mir bekannten Optikprogramme verwenden genau diese Methode, um z.B. eine polychromatische PSF zu berechnen. Der Maximalwert einer solchen polychromatischen PSF ist aber genau Dein ‚visueller Strehl’. Bei gegebener Datenlage (Anzahl der Messwerte bei verschiedenen Wellenlängen) lässt sich keine bessere Aussage über den wellenlängenabhängigen Strehlwert treffen. Daher halte ich es für völlig verfehlt, dieses Vorgehen nur als grobe Näherung anzusehen, im Gegenteil, es wird es von professionellen Programmen so benutzt, weil es keine bessere einfache Aussage zur Abbildungsqualität über einen Wellenlängenbereich gibt. Natürlich wird die Aussage besser, je mehr Wellenlängen vermessen werden, die Verteilung der Messwellenlängen spielt natürlich auch eine Rolle, das hat mit der grundsätzlichen Eignung des Verfahrens aber überhaupt nichts zu tun.
(==>)Michael:
Du hattest ja bezüglich der Umrechnung Defokus in Fokussierweg schon Vorarbeit geleistet.
Unter Anderem hattest Du zuletzt einen Faktor 16 vorgeschlagen, der auch nach meiner Meinung richtig ist. Deine Messungen mit dem Fizeau-Interferometer haben dann aber ergeben, dass der Faktor 8 sein muss. Ich habe lange versucht, dafür eine Begründung zu finden, es ist mir aber nicht gelungen. Einziger Strohhalm: Bezieht sich die Ausgabe deines Programms vielleicht auf die Oberflächenabweichungen des Spiegels und nicht auf die Wellenfrontabweichung? Hast Du inzwischen neue Ergebnisse?
Viele Grüße an alle
Hans-Jürgen
PS.: Ich sehe gerade, dass mein Beitrag sehr unübersichtlich aussieht, habe aber leider keine Zeit mehr, das noch zu ändern