Beiträge von JSchmoll im Thema „Der längste Refraktor der Welt“

    Hi Ralf und Andre,


    hier liegt eine Verwechselung vor: Potsdam hat im Abstand von 3 km zwei grosse Observatorien mit 2 grossen Linsenrefraktoren.


    Der "Grosse Refraktor" auf dem Telegrafenberg ist der kuerzlich restaurierte. Optik von Steinheil, Mechanik von Repsold. Trotz aller Berechnungen waren beide Objektive nicht gut, vor allem die chromatische Aberration des fotografischen 80ers war wesentlich groesser als erwartet, da half keine Retusche. Grund war ein Gradient der optischen Eigenschaften (Brechzahl, Abbezahl) im Rohling, da Schott damals noch keine Erfahrungen mit solchen Brummern hatte. Gegossen wurde das Teil ja schon um 1890 herum ... -- Der 50er war auch nicht ideal, aber Bernhard Schmidt hat ihn zurechtgebogen, nachdem er schon Hamburgs 60er Refraktor "getuned" hatte.


    Der andere Refraktor (den ich meinte) ist der Refraktor vom Babelsberg, 65 cm Durchmesser bei 11 m Brennweite. Das Instrument daselbst ist ziemlich gut in Schuss, nur das Drumherum ist diffizil. Es gab Probleme mit dem Hubboden und mit der Kuppeldrehung. Meines Wissens ist in den 6 Jahren seitdem ich dort nicht mehr bin nicht viel passiert. War vor einigen Monaten noch mal kurz dort, es sah aus wie immer. Und dabei ist dieser Refraktor, der um 1910 von Zeiss als erster einer Serie gebaut wurde, optisch angeblich sehr gut. Mit ihm wurden in den 20ern regelmaessig die Marsmonde gesehen. Anbetrachts der Tatsache, dass diese vom scharfaeugigen Asaph Hall in Kalifornien an einem aehnlich grossen Instrument erst 1874 entdeckt wurden, eine Referenz der optischen Guete.


    Interessant auch die Historie des Geraets. Gleiche Instrumente gingen von Zeiss nach Belgrad, Athen, Indonesien (andere Mechanik) und ich glaube auch Japan. Viel spaeter (50er oder 60er) wurde von Zeiss (West?) noch ein 65er nach Suedamerika geliefert, zusammen mit einem 1m-Spiegel.


    Kurz nach dem Krieg haben die Russen einige Instrumente demontiert und in die SU ueberfuehrt - als Reparation fuer die bei Simeis (1m Spiegel Grubb) und Pulkovo (0.7m Refraktor Grubb) zerstoerten Instrumente. Es war geplant, das 1.25er Zeissteleskop, den Toepfer-Astrografen (um 0.4m) und den 65er Refraktor in Babelsberg zu demontieren. Was im Falle der Erstgenannten auch geschah. Als mit der Demontage des 65er Refraktors angefangen wurde, bekamen die Russen die Nachricht, dass im besetzten Jena im Zeisswerk ein nagelneues in Kisten verpacktes 60cm-Refraktorteleskop lagerte. Dies war urspruenglich ein Geschenk von Hitler an Mussolini - nun ging das Teleskop stattdessen nach Pulkovo, und dem Babelsberger Refraktor blieb die Demontage erspart ...


    Der Refraktor war nach Angaben von Kollegen noch bis nach der Wende im Einsatz, unter einer ziemlich verrosteten Kuppel. Ironischerweise steht das Instrument seit der Kuppelrenovierung still.

    Hallo,


    und danke auch von mir fuer den schoenen Bericht.


    Der Refraktor stammt uebrigens von 1896 - EDIT - sehe gerade, dass es die Gewerbeausstellung 1896 war und keine Weltausstellung, loesche das mal hier raus. Da er erst verspaetet fertig wurde (kennt man ja ...) [:)], war er erst im zweiten Teil der Ausstellung nutzbar.


    Im englischsprachigen Buch "Unusual Telescopes" (sehr lesenswert !) ist dieses Geraet auch erwaehnt. Mit dem Hinweis, es haette einige kleinere Treffer im Krieg abbekommen, weil es die Aliierten in der Tat fuer eine gigantische FLAK gehalten haetten. Glaube ich weniger - wenn die Angst vor dem Ding gehabt haetten, haetten die das Geraet aus der Luft professionell zerlegen koennen wie den Rest von Berlin.


    Auch las ich, dass die Aussenhuelle den Wind aufnimmt, also im Wind schwankt, ohne dies an die Innenroehre weiterzugeben. Wie das im Einzelnen funktioniert, weiss der Geier - irgendwo muessen beide Tuben doch verbunden sein, und doch sicher nicht nur am unteren Ende ?!


    Der Refraktor ist mit 21 m Brennweite das laengste frei bewegliche Teleskop der Erde. Der Potsdamer "Grosser Refraktor" vom Telegrafenberg hat "nur" um 15m, nicht 22m. Er zaehlt jedoch als groesster Doppelrefraktor und als groesster fotografisch korrigierter Refraktor der Erde - Lick und Yerkes sind ja visuell korrigiert.


    Uebrigens gibts auf dem Nachbarberg (Sternwarte Babelsberg) einen theoretisch intakten 65cm-Zeissrefraktor von um 1910, der leider nicht zur Beobachtung eingesetzt werden kann, weil sich die Kuppel nicht mehr drehen laesst ... [:(]