Beiträge von Caro im Thema „Mehr Scheibengalaxien als die Theorie erlaubt“

    Hallo Günter,


    von der Umfrage, die du erwähnst, habe ich leider noch nie gehört, aber ich denke in der heutigen Zeit von Social Media Bubbles ist uns allen klar, wie leicht es ist, dafür zu sorgen, Umfragen zum gewünschten Ergebnis hin zu verzerren. Schaue ich mich in meinem wissenschaftlichen Umfeld um, sind es ganz bestimmt nicht 50% sondern eher 1% der Leute, die das Konzept Dunkle Materie für grundsätzlich falsch halten. Die Frage ist: Wer von uns beiden hat eine verzerrte Wahrnehmung der allgemeinen Stimmung unter den Wissenschaftler*innen?


    Auch auf die exakte Formulierung kommt es an. "Hältst du Dunkle Materie für einen guten Erklärungsansatz für die Struktur unseres Universums?" ist was anderes als "Dunkle Materie gibt es nicht."


    Im öffentlichen Verständnis kommt noch ein anderes Problem hinzu: Der Name Dunkle Materie impliziert etwas Stoffliches, Greifbares, das sich mit der Materie vergleichen läßt, die uns umgibt. Daß das schon mit "normaler" Materie nicht immer funktioniert, zeigen uns ja zum Beispiel die Neutrinos ganz hervorragend, die den menschlichen Körper ständig in immenser Anzahl durchdringen, ohne daß wir in irgendeiner Form etwas davon mitbekommen - sie entziehen sich unserer Wahrnehmung. Wie soll das dann erst mit etwas werden, von dem wir nicht wissen, wie es beschaffen ist und das sich nur durch seine Schwerkraft bemerkbar macht, ansonsten aber nicht wechselwirkt? Der Mensch tut sich naturgemäß schwer damit, komplexere Dinge nachzuvollziehen, die nicht in seine Alltagserfahrung passen. Was mir hingegen schleierhaft ist, warum das Narrativ von MOND für so viele Laien attraktiv ist.


    Viele Grüße

    Caro

    Hallo Thomas,


    das hier sind die Astronews und nicht die Allgemeinen Astronomischen Themen - ich stelle hier Pressemitteilungen deutschsprachiger Forschungseinrichtungen mit Astronomiebezug ein, ohne jede Wertung. Wenn ich ein Lehrbuch schreiben würde, und sei es nur, damit die vielen Fehler im Demtröder entlich korrigiert werden, hätte ich im Zweifelsfalle auch genug anderes, was ich dort eher unterbringen würde als MOND. Aber mal mit deinen Worten, aus einer anderen Perspektive: Du erwartest überspitzt gesagt, daß ich in diesem Lehrbuch dann auch Flacherdler gleichberechtigt zu Wort kommen lasse, weil auch die Vorstellung von einer flachen Erde einzelne Beobachtungen erklären könnte. Nicht besser wohlgemerkt, denn das tut auch MOND mit unserem Universum nicht, aber halt bequemer für diejenigen, für die der topfebene Horizont vor ihrer Nase das einzig Wahre ist.


    Der Witz an der Sache ist, tatsächlich passiert das sogar, als Außenstehender bekommst du es nur selten mit. Um sich mit den Arbeiten von drei MOND-Anhängern auseinanderzusetzen, braucht es nämlich nicht die gesamte Kosmolog*innen-Gewerkschaft, es reicht wenn sich immer mal wieder drei Leute die Zeit dazu nehmen. Da aber auch in der Bildzeitung bestenfalls auf Seite 14 in drei Zeilen steht, daß der gestern angekündigte Asteroideneinschlag doch leider ausfallen muß, erregt das Widerlegen von Behauptungen selten große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Meinen Studierenden hingegen bringe ich in der Tat bei, was es mit Crackpottery a la flache Erde auf sich hat - und wie sie Flacherdler in Grund und Boden argumentieren können. In diesem Sinne weiß jede*r Astrophysik-Studierende zumindest grob, was es mit MOND auf sich hat - und die Entscheidung, selbst diesen Pfad einzuschlagen, steht allen offen. Macht halt kaum jemand, denn die meisten, die sich damit näher beschäftigen, sehen sich da schnell in einer Sackgasse.


    Der weit verbreitete Irrtum ist halt die Vorstellung, daß der Rest der Kosmolog*innen-Welt mit dem Standardmodell bis ins letzte Detail glücklich und zufrieden ist und es täglich rauf-und runterbetet. Der zentrale Begriff ist hier der des Modells - ein Modell ist in der Naturwissenschaft etwas, das bestimmte Aspekte der Welt beschreibt, aber ein Modell ist immer eine vereinfachte Beschreibung der Welt, und es hat Grenzen. Modelle werden verworfen, wenn ihnen andere überlegen sind, insbesondere wenn es einzelne Bereiche betrifft. Es käme niemand auf die Idee, die einfachere Newtonschen Bewegung für den Alltag zu verwerfen, bloß weil Einstein allgemeingültiger ist - aber man wird zu recht kritisiert, wenn man Newton auf relativistische Bedingungen anwendet. Genauso ist man auf der Suche nach einer möglichst allgemeingültigen Kosmologie - und da sind bei MOND die Einschränkungen halt größer als anderswo, also nimmt mans normalerweise nicht.


    Viele Grüße

    Caro

    Hallo Thomas,


    ohne hier in gewisse OT-Bereiche abdriften zu wollen - ich denke mit Themen gegen den wissenschaftlichen Mainstream ist es ähnlich wie mit Vorgängen, wie wir sie in der Politik aktuell oder in den letzten Jahren beobachten konnten. Die Medien widmen lauten Schreihälsen wie Pegida oder "Spaziergängern" viel zu viel Aufmerksamkeit und als Folge bekommt die Öffentlichkeit den Eindruck, ein viel größerer Anteil der Bevölkerung als in Wirklichkeit würde hinter dem entsprechenden Gedankengut stehen und solchen Unsinn unterstützen. Gewisse populärwissenschaftliche Medien greifen Themen wie MOND ebenso gerne auf wie Paralleluniversen, Zeitreisen, Aliens (Avi Loeb läßt grüßen...) usw., wodurch in der interessierten Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, daß da ständig neue überzeugende Beweise gegen die Dunkle Materie vorgebracht werden und die Leute sich wundern, "warum die Wissenschaft ihr immernoch anhängt". Ider Realität ist MOND dagegen nur ein Randthema in der Kosmologie, weil sie sich in zentralen Voraussagen leicht widerlegen läßt.


    Das heißt nicht, daß damit das letzte Wort in Sachen Dunkle Materie gesprochen ist, und Wissenschaftler wie Kroupa oder McGaugh sind wichtig wenn es darum geht Alternativen aufzuzeigen, denn so funktioniert wissenschaftlicher Diskurs. Man hört sich gegenseitig an, diskutiert, zeigt Widersprüche auf. In anderen Bereichen der Wissenschaft haben Protagonisten mit kruden Theorien enormen Schaden angerichtet, man denke nur an Andrew Wakefield oder Henrik Svensmark. Soweit sind wir bei Dunklen Materie vs. MOND dankenswerterweise nicht.


    Was halt leider nicht funktioniert, ist die Einordnung der Bedeutung von Außenseiterheorien im Bewußtsein der nichtwissenschaftlichen Öffentlichkeit - gerne befeuert durch die Presseabteilungen der Institutionen, an denen entsprechende Protagonisten tätig sind.


    Viele Grüße

    Caro

    Hallo Ralf,


    das ist halt eine Pressemitteilung, deren Hauptprotagonist seine gesamte wissenschaftliche Karriere gegen den wissenschaftlichen Mainstream auf MOND aufgebaut hat. Da erwarte ich nichts anderes. Die in der Meldung gemachten Statements a la "MOND sagt alles richtig voraus" und "Mond löst alle kosmologischen Probleme" halte ich für ziemlich dreist, dabei wird nämlich fleißig unter den Tisch gekehrt, was mit MOND alles falsch herauskommt. Aber ja, spannend bleibt das Thema Dunkle Materie auf jeden Fall. Man ist allerdings weit davon entfernt, sich von ihr zu verabschieden.


    Viele Grüße

    Caro

    Das Standardmodell der Kosmologie beschreibt, wie das Weltall nach Ansicht der meisten Physikerinnen und Physiker entstanden ist. Forschende der Universität Bonn haben nun auf seiner Basis die Entwicklung der Galaxien untersucht. Dabei sind sie auf erhebliche Abweichungen zu tatsächlichen Beobachtungen gestoßen. An der Studie waren auch die Universität von St. Andrews in Schottland sowie die Karls-Universität in Tschechien beteiligt.


    Die meisten Galaxien, die von der Erde aus sichtbar sind, ähneln einer flachen Scheibe mit verdicktem Zentrum. Sie gleichen also in etwa dem Sportgerät eines Diskuswerfers. Laut Standardmodell der Kosmologie sollten solche Scheiben aber eher selten entstehen. Denn ihm zufolge ist jede Galaxie von einer Art Heiligenschein aus dunkler Materie umgeben. Dieser Halo ist unsichtbar, übt jedoch aufgrund seiner Masse eine starke Anziehungskraft auf Galaxien in der Umgebung aus. „Daher kommt es immer wieder dazu, dass Galaxien miteinander verschmelzen“, erklärt Prof. Dr. Pavel Kroupa vom Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik der Universität Bonn.


    Dieser Crash bewirke zweierlei, erläutert der Physiker: „Zum Einen durchdringen sich die Galaxien dabei, wodurch die Scheiben-Form zerstört wird. Zum Zweiten verringert sich durch ihn der Drehimpuls der durch die Fusion entstandenen neuen Galaxie.“ Vereinfacht gesagt, nimmt dadurch ihre Rotationsgeschwindigkeit stark ab. Die Drehbewegung sorgt normalerweise dafür, dass sich durch die dabei wirkenden Fliehkräfte eine neue Scheibe formiert. Ist der Drehimpuls dazu zu schwach, passiert das jedoch nur sehr langsam oder unterbleibt ganz.

    In der aktuellen Studie hat Kroupas Doktorand Moritz Haslbauer eine internationale Forschungsgruppe geleitet, um den Werdegang des Universums anhand der aktuellsten Superrechner-Simulationen zu untersuchen. Die Berechnungen basieren auf dem Standardmodell; sie zeigen, welche Galaxien sich bis heute hätten bilden müssen, sollte diese Theorie korrekt sein. Ihre Ergebnisse verglichen die Forscher dann mit den momentan wohl genauesten Beobachtungsdaten des von der Erde sichtbaren Universums.


    „Dabei sind wir auf eine erhebliche Diskrepanz zwischen Vorhersage und Realität gestoßen“, sagt Haslbauer: „Es gibt augenscheinlich deutlich mehr flache Scheibengalaxien, als sich durch die Theorie erklären lässt.“ Allerdings ist die Auflösung von Simulationen auch auf heutigen Supercomputern begrenzt. Es kann daher sein, dass die Zahl der Scheibengalaxien, die im kosmologischen Standardmodell entstehen würden, unterschätzt wurde. „Selbst wenn wir diesen Effekt berücksichtigen, bleibt aber ein gravierender Unterschied zwischen Theorie und Beobachtung“, betont Haslbauer.


    Anders sieht es bei einer Alternative zum Standardmodell aus, die ohne Dunkle Materie auskommt. Nach der sogenannten MOND-Theorie (das Kürzel steht für „Theorie der MilgrOmscheN Dynamik) wachsen Galaxien nicht, indem sie miteinander verschmelzen. Stattdessen entstehen sie aus rotierenden Gaswolken, die sich mehr und mehr verdichten. Auch in einem MOND-Universum werden Galaxien immer größer, indem sie Gas aus der Umgebung aufnehmen. Fusionen ausgewachsener Galaxien wie im Standardmodell sind aber selten. „Unsere Bonn-Prag-Forschungsgruppe hat die weltweit einzigartige Fähigkeit aufgebaut, diese Alternative ebenfalls durchzurechnen“, sagt Kroupa, der auch Mitglied in den Transdisziplinären Forschungsbereichen „Modelling“ und „Matter“ der Universität Bonn ist. „Die Vorhersagen von MOND entsprechen dem, was wir tatsächlich sehen.“


    Allerdings sind die genauen Mechanismen des Galaxien-Wachstums auch bei MOND noch nicht vollständig verstanden. Zudem haben in MOND die Newton’schen Gravitationsgesetze unter bestimmten Umständen keine Gültigkeit, sondern müssen abgeändert werden. Das hätte weitreichende Konsequenzen auch für andere Bereiche der Physik. „Dennoch löst die MOND-Theorie alle bekannten extragalaktisch-kosmologischen Probleme“, sagt Dr. Indranil Banik, der maßgeblich an diesen Untersuchungen beteiligt war. „Unsere Studie belegt, dass junge Physikerinnen und Physiker auch heute noch die Chance haben, bedeutende Beiträge zur fundamentalen Physik zu leisten“, ergänzt Kroupa.


    Weitere Infos auf den Seiten der Uni Bonn unter https://www.uni-bonn.de/de/neues/021-2022