Hallo in die Fernglasguckerrunde,
schönes Plädoyer für die Fernglasbeobachtung, die Du da geschrieben hast, lieber Rene. Bei mir hat das Fernglasfieber 1965 angefangen – mit einem Noctovist 8 x 30 von Ruhnke Rathenow, das meine Eltern und ich eines Abends im Schaufenster eines bereits geschlossenen Dorf-Fotoladens gesehen hatten. Mein Vater ist dann am Folgetag mit dem Bus dorthin gefahren (wir hatten kein Auto) und hat es für 156 Ostmark geholt. Es war das einzige Exemplar, das der Laden seit Jahren bekommen hatte. DDR-Mangelwirtschaft sagen wir heute dazu, damals war das für uns normal …
Innerhalb des folgenden halben Jahrhunderts hat das Noctovist viele (schönere) Geschwister bei mir bekommen. Einige benutze ich regelmäßig, vor allem das Canon 10x42 IS WP, für das man dank Bildstabilisierung kein Stativ braucht und mein optisch bestes Glas, das Nikon 8x32 EGD. Aber auch die anderen dürfen in größeren Abständen mal an die Luft und können sich dann miteinander messen. Gewisse Seheindrücke müssen immer wieder aufgefrischt werden, damit man sie nicht vergisst.
So genial einfach die Fernglasbeobachtung auch ist, es gibt zwei Dinge, die mich von Anfang an gestört haben: die Geradsichtigkeit und das unvermeidbare Gezitter, wenn man kein Stativ verwendet. Als junger Kerl hab ich es ja noch irgendwie geschafft, beim steilen Blick nach oben die Augen einigermaßen vernünftig hinter die Okulare zu bekommen. Aber mit zunehmendem Alter und stärker werdender Minusbrille, die irgendwann unerlässlich wurde, um ein scharfes Bild zu haben, wurde das immer schwerer. Hinzu kommt, dass mir das bildstabilisierte Canonglas eindrucksvoll gezeigt hat, wie viel an Wahrnehmung man beim freihändigen Beobachten (mit nicht stabilisierten Gläsern) verschenkt.
Also klar, es muss ein Stativ drunter. Aber das ist nur bis etwa 30 Grad Höhe komfortabel, danach wird‘s anstrengend, vor allem, wenn man mit großen Schritten auf die 70 zugeht und sich nie so recht für sportlich-akrobatische Kompensationsübungen begeistern konnte. Irgendwie musste sich die 90-Grad-Abwinkelung, die am Teleskop so einfach ist, doch auch für geradsichtige Ferngläser verwirklichen lassen. Um es abzukürzen: Ich hab mir einen Fernglaszenitspiegel gebaut. (Hier beschrieben: Endlich gebaut: Zenitspiegel für Ferngläser) Und der hat meine Beobachtungsfreude mit diesen binokularen Miniteleskopen enorm gesteigert. Alles, was dazu gehört, passt in einen kleinen Alukoffer. Im Feld ist der Spiegel in 5 Minuten auf dem Stativ montiert. Das Fernglas noch drauf, und schon kann es losgehen.
Einziger Haken, der Spiegel zeigt gnadenlos die kleinen Schwächen und Macken der Gläser, die ja primär für den freihändigen Gebrauch konzipiert sind. Dafür laufen Premiumgläser wie meine oben genannten Favoriten zu Höchstform auf. Es ist wirklich frappierend, wieviel Detail ein im astronomischen Sinn winziges 8x32 zeigen kann. Das war auch für mich – nach fünf Jahrzehnten als Beobachter – eine völlig neue Erfahrung.
CS, Jörg