Thomas,
die Quantenphysiker machen auf ihren Tagungen immer mal Umfragen, wie viele Kollegen welcher Interpretation der Quantenmechanik anhängen. Dabei schneidet die Viele-Welten-Deutung erstaunlich gut ab. Wenn man „many worlds“ googelt, erfährt man die großen Namen auf internationaler Ebene. Die deutsche Universitätsphysik ist in diesem Punkt wohl eher konservativ eingestellt – jedenfalls ist das mein Eindruck und Deiner offenbar auch. Mit konservativ meine ich: operationalistisch. Den Studenten wird gezeigt, wie man was ausrechnet. Aber was die Rechnung bedeutet für die Frage nach der Wirklichkeit, wird nicht mehr thematisiert, obwohl dieses Thema für die Begründer der Quantenphysik (Bohr, Heisenberg, Born etc.) sehr wichtig war. Ich kenne zwei deutsche Professoren für theoretische Physik, die durchaus nach dem Wirklichkeitsbezug der Quantenmechanik fragen und die sich für die Viele-Welten-Interpretation stark machen: Claus Kiefer (Köln) und Heinrich Paes (Dortmund). (Wahrscheinlich gibt es noch ein paar mehr.) Mit dem Aufkommen der Dekohärenztheorie (Hans Dieter Zeh, Zurek) hat die Viele-Welten-Interpretation zahlreiche neue Anhänger gefunden, und auch Kiefer und Paes verbinden beides.
Einer der Haupteinwände gegen die Viele-Welten-Interpretation ist derjenige der „Extravaganz“. Ständig spaltet sich der Kosmos auf und immer neue Welten entstehen jeden Augenblick – das empfindet man als unglaubwürdige Vervielfachung des Kosmos. Daß ich selbst, bzw. leichte Abwandlungen meiner, in unendlich vielen dieser Welten vorkommen, klingt ebenfalls merkwürdig. „Ich selbst“ darf man aber eigentlich nicht sagen, sondern eher: ein Wesen so (ähnlich) wie ich. Denn da es keine kausale Verbindung zwischen mir und diesem Wesen im Paralleluniversum gibt, kann man nicht sagen, daß es sich hier um ein einziges Ich handelt. Es sind halt zwei Wesen, die einander sehr ähnlich sind, aber für mich bin nur ich ich; der andere ist er; und wir werden niemals etwas miteinander zu tun haben.
Viele Grüße
Johannes
P.S. Offenbar haben wir die gleiche Leseliste. Ich lese auch gerade Ian McEwan: Machines like me.