Beiträge von Heljerer im Thema „Erdrotation“

    Hallo Hans,


    das, was du zusammenfassend schreibst ist sicher nicht falsch. Trotzdem habe ich immernoch den Eindruck, dass du die Situation der Zeit (Kopernikus) noch nicht wirklich verinnerlicht hast. Ich kann mich auch täuschen. Dann vergiss meine folgenden Kommentare einfach.


    1. Eine Naturwissenschaft in unserem Sinn existierte damals noch nicht. Man hatte a) die Philosophie und Theologie, mit der die Welt erklärt wurde und b) die Mathematik, mit der man sozusagen die Phänomene reproduzierte.


    2.) Kopernikus stand vollkommen in dieser Tradition. Für den modernen Leser ist oftmals verwirrend, dass das einleitende Buch auf philosophischer Basis geschrieben ist, der Rest aber auf mathematischer Basis. Eine Synthese zwischen beiden gab es nicht.


    3.) Rein mathematisch (heute würden wir sagen: kinematisch) ist es völlig egal, ob Erde-Wasser-Luft rotieren oder der Rest außen herum in entgegengesetzter Richtung. Dies war bereits den Gelehrten des Mittelalters hinlänglich bekannt!


    4.) Mathematisch ist es auf den ersten Blick eleganter, wenn man von der heliozentrischen Theorie ausgeht. Denn dann erklären sich die rückläufigen Bewegungen der Planeten wesentlich schlüssiger. Auch das war schon den Gelehrten des Mittelalters bekannt.


    5.) Zu Kopernikus' Zeit gab es keine philosophische Methode, um sicher zu entscheiden, was nun rotiert und was stillsteht.


    6.) Das etablierte philosophische System Aristoteles' sah stillstehende Erde-Wasser-Luft-Sphären vor.


    7.) Aristoteles Philosophie war von Thomas von Aquin aufs Engste mit der Theologie verbunden worden und fester Bestandteil der universitären Lehre. Eine vorschnelle Aufgabe zu Gunsten einer wie auch immer gearteten neuen oder anderen Philosophie war nicht denkbar und auch aus damaliger Sicht nicht sinnvoll.


    8.) Die Vorstellung der gemeinsam rotierenden Sphären Erde-Wasser-Luft war geradezu absurd. Vor allem weil die Erde als ein exzentrischer Ball innerhalb einer großen Wasserkugel gesehen wurde.


    9.) Für die ursächliche Bewegung der Erde-Wasser-Luft-Sphären gab es keine Erklärung. Für die Bewegung der äußeren Sphären sehr wohl. Der Beweger saß außen - Gott.


    10.) Was war jetzt an Kopernikus neu? Er war der erste, der folgende extreme Fleißarbeit geleistet hat: Er hat das ptolemäische System genommen und die Mittelpunktsposition der Erde durch die Sonne ersetzt. Er hat alle Parameter neu angepasst und schließlich ein neues mathematisches (heute würden wir sagen) Modell entwickelt. Eine Leistung, vor der man nur den Hut ziehen kann. (Wer die Leistung nicht würdigen kann, sollte mal versuchen das mit Excel nachzumachen.)


    11.) Kopernikus ist eindeutig ein Kind seiner Zeit. Da ist nichts Seherisches oder Revolutionäres. Revolutionär erscheint das höchstens im Rückblick, weil er zufällig richtig lag.


    12.) Nach Kopernikus: Das Buch hatte es äußerst schwer, Anhänger zu finden. Es blieb bei einer Auflage. Ganz anders das Standardwerk der Astronomie, Johannes Sacroboscos "De Sphaera Mundi". Dieses Werk und damit das geozentrische Weltbild wurde noch etwa 100 Jahre lang an den Universitäten verwendet.


    Gruß
    Wolfgang

    <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote"><i>Original erstellt von: Kalle66</i>
    <br />Mir fällt als neue wissenschaftliche Erkenntnis zum heliozentrischen Welt jetzt nur die Rehabilitierung Galileos am 31.10.1992 durch Papst Johannes Paul II ein. [:D][:D][:D]
    <hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">


    Warum wohl? Weil du nur Vorkriegsliteratur liest. [:D]

    Hallo Kalle,


    kostenlos ist das natürlich nicht. Aber wer käme z.B. auf die Idee seine Kenntnisse über die Weimarer Republik aus einem Buch von 1940 zu entnehmen, nur weil das gerade frei verfügbar ist?


    Gruß
    Wolfgang

    Hallo Kalle,


    deinen Kommentar zu Erasmus verstehe ich nicht. Erasmus bezieht sich nicht auf irgendwelche herausgepickten antiken Vorstellungen sondern auf die jahrhundertelange scholastische Vorstellung, wie man sich die Erde im Universum vorzustellen hat.


    Was deine Literaturempfehlungen betrifft:
    Ich würde generell keinem Laien in Sachen Wissenschaftsgeschichte empfehlen, sein Wissen aus Literatur der Zeit von vor 1960 zu beziehen. (Das bezieht sich natürlich nicht auf Originalquellen.)


    Gruß
    Wolfgang

    Vielleicht nochmal ergänzend:


    Im Zusammenhang mit der rotierenden Erde ist ja eine entscheidende Frage:


    Wann wurde das mittelalterliche Konzept der getrennten Erde- und Wasser-Sphären zugunsten des Globus-Konzeptes aufgegeben? Ab wann sah man die Erde als zeklüftete Landschaft, in der einfach die tiefsten Stellen mit Wasser gefüllt sind? Denn nur wenn man die Erde so sieht, kann man sich auch wirklich vorstellen, dass das Ganze tatsächlich rotiert!


    Dieser Wandel trat offensichtlich im späten 15. / frühen 16. Jahrhundert ein. Durch die ausgedehnten Seefahrten hatte man festgestellt, dass die Landverteilung so ganz und gar nicht dem entsprach, wovon man zuvor jahhundertelang ausgegangen ist. Zudem hat sich mit Renaissance und Humanismus eine neue, offenere Geisteshaltung herausgebildet, die die Theorieversessenheit der Scholastiker offen kritisiert hat. 1533 gab der Humanist Ermausmus von Rotterdam die "Kosmographie des Ptolemäus" von Johannes Froben heraus. In der Einleitung hierzu schreibt Erasmus:


    "Früher gab es mehr Schwierigkeiten, als man zweifelte, ob der Himmel sphärische
    Gestalt habe, als manche meinten, der Erdkreis schwimme auf die gleiche Weise im
    Ozean, wie ein Ball im Wasser schwimmt, der nur mit der Spitze herausschaut und im
    übrigen von Wasser bedeckt ist."


    Gruß
    Wolfgang

    Hallo zusammen!


    Diskussionen über das geozentrische Weltbild begeben sich leider regelmäßig auf Irrwege. Das liegt daran, dass die Dinge häufig mit dem heutigen Wissen aus der heutigen Sicht betrachtet werden. Dieser Ansatz ist aber falsch. Man muss sich auf den anstrengenden Weg begeben und das historische Weltbild wirklich aus der damaligen Sicht interpretieren. Daher haben Menschen ohne naturwissenschaftliche Vorbildung ironischerweise bessere Chancen das mittelalterliche Weltbild wirklich zu verstehen.


    Beim Thema "rotierende Erde" fängt das Dilemma schon an, wenn man davon ausgeht, dass man unter "Erde" im Mittelalter das gleiche verstanden hat wie heute. Mit "Erde" hat man wirklich nur die feste Kugel gemeint und eben nicht den gesamten Globus. Das mag auf den ersten Blick wie ein unbedeutender Unterschied aussehen. Das war es tatsächlich aber nicht. Man hat sich gemäß aristotelischem Weltbild die Elemente als konzentrisch geschichtet vorgestellt, wobei alles Schwere in Richtung Mittelpunkt des Universums strebt. In der Mitte die Erdkugel, dann außen herum wie ein riesiger wabbeliger Tropfen im Universum die Wassersphäre. Damit trat für die mittelalterlichen Gelehrten eine schwierige Frage auf: Warum ist dann nicht die gesamte Erdkugel von Wasser umschlossen? Man ging davon aus, dass der Erdmittelunkt und der Mittelpunkt des Universums doch nicht zusammenfallen. Das konnte man aber nur so erklären, dass die Erdkugel nicht überall die gleiche Dichte hatte. So war der Schwerpunkt der Erde im Mittelpunkt des Universums, der Volumenmittelpunkt war ein Stück davon verschoben. Der Erde schwamm also wie eine dicke runde Boje im großen kugeligen Wassertropfen. Eine Konsequenz dieser Sichtweise war, dass nur die eine Seite der Erde (nicht vergessen: hier nicht "Globus" gemeint) bewohnt war, denn die andere Seite war ja permanent unter Wasser.


    Nur zur Frage der rotierenden Erde:
    Diese Frage war im Mittelalter seit der Scholastik absolut präsent. Dass man statt einer rotierenden Fixsternsphäre die Sichtweise einfach umdrehen und sich eine drehende Erde vorstellen kann, war den Gelehrten ganz klar bewusst. Dies hat z.B. Nikolaus von Oresme diskutiert. Eines war natürlich auch klar: Eine drehende Erde alleine war unsinnig, denn dann wären ja die Bewohner einmal am Tag unter Wasser getaucht worden. Also müsste sich der große wabbelige Wassertropfen in gleicher Geschwindigkeit mitdrehen. Und nicht nur das. Auch die große Luftblase unterhalb der Mond- und Planetensphären müsste sich in exakt gleicher Geschwindigkeit mitdrehen. Sonst hätten wir permanent heftigsten Ostwind. Die mittelalterlichen Gelehrten waren sich bewusst, dass aus kinematischer Sicht nicht zwischen ruhender und drehender Erde unterschieden werden konnte. Man kann aus dieser Sicht aber auch sagen: Es gab keinen Grund das aristotelische Weltbild der ruhenden Erde über Bord zu werfen. Und jeder der sich auch heute einfach mal die Zeit nimmt und ins mittelalterliche Weltbild eintaucht und versucht sich das Universum bildlich vorzustellen, der ist beeindruckt von der wunderbaren Konsistenz und Harmonie. Drei sich zufällig im gleichen Rhythmus drehende Sphären (Erde-Wasser-Luft) sind nach diesem Weltbild zwar theoretisch möglich, aber für die Praxis nutzlos und intuitiv unsinnig.


    Also, zurück zur Eingangsfrage: War die Erdrotation schon vor Kopernikus bekannt und ist das dokumentiert?


    Ja! Wobei "bekannt" vielleicht das falsche Wort ist, denn "bekannt" war auch Kopernikus die Erdrotation nicht.


    Gruß
    Wolfgang