Beiträge von Atlas im Thema „Gravitationswellen nachgewiesen!“

    Hallo zusammen,


    es stehen hier wohl immer noch zwei scheinbar entgegengesetzte Auffassungen im Raum. Folgt man der Erklärung, die Kip Thorne für den Nachweis von Gravitationswellen durch Interferometrie gibt, dann zeigt sich, daß sie im Prinzip äquivalent sind.


    Es gibt zwei verschiedene mathematische Beschreibungen von Gravitationswellen. Beide Beschreibungen sind möglich, haben aber verschiedene Vor- und Nachteile. Jedenfalls darf man sie nicht vermischen.


    Die erste Beschreibung („Proper Reference Frame“): Man legt das lokale, als inertial gedachte Bezugssystem eines Beobachters zugrunde, der die GW vorbeiziehen sieht und ihren Einfluß auf die relative Bewegung freier Teilchen beobachtet, also etwa ein Physiker im LIGO. Er wird beobachten, daß zwei solche Teilchen (können z.B. frei aufgehängte Spiegel sein) gegeneinander ausgelenkt werden. Die Ursache liegt im Riemann Krümmungstensor des GW Feldes, man kann sie sich aber auch als Newtonische Gezeitenkräfte vorstellen. Diese Betrachtung ist relativistisch unsauber, aber sie funktioniert innerhalb gewisser Grenzen gut.


    Folgt man dieser Beschreibung, taucht immer wieder die Frage auf, wieso man mit einem Lichtstrahl überhaupt die Auslenkung messen kann. Denn wenn die Auslenkung durch Raumzeitdehnung/-stauchung zustande kommt, müßte man annehmen, daß sich die Geodäte des Lichtstrahls entsprechend mit modifiziert, so daß "netto" keine Veränderung herauskommt. Entfernen sich die Spiegel durch Raumzeitdehnung voneinander, und wird durch die Raumzeitdehnung der in der Raumzeit verlaufende Wellenzug ebenfalls auseinander gezogen, ergäbe sich keinerlei Veränderung der Phasendifferenz von auslaufender und einlaufender Welle – man würde nichts messen.


    Sieht man sich aber die Form der lokalen Metrik in dieser Beschreibung an, so zeigt sich, daß sie (fast) völlig flach ist. D.h. die Raumzeit expandiert oder schrumpft fast gar nicht durch die Welle. Aber nur fast. Es gibt einen Korrekturfaktor zweiter Ordnung, der den Quotienten von Armlänge des Interferometers und Wellenlänge der GW enthält, und zwar zum Quadrat. Bei LIGO ist dieser Faktor sehr klein: 4 km Armlänge dividiert durch 500 km Wellenlänge, und das zum Quadrat gibt ungefähr 1/10000. D.h. die Wirkung der GW auf die Spiegel ist 10000 mal größer als ihre Wirkung auf die Metrik der Raumzeit. Die Änderung der Metrik durch die GW kann man also vernachlässigen und die Raumzeit als durchgängig flach bleibend ansehen. Aber: Bei LISA wird das nicht mehr gehen, weil dort die Armlänge genauso groß oder noch größer sein wird als die Wellenlänge der GW. Dadurch wird der Einfluß der GW auf die Geodäte des Lichtstrahls genau so groß oder noch größer als die auf die Position der Spiegel. Dann ist die Beschreibung im „proper reference frame“ nicht mehr möglich. Newton ade!


    Die zweite Beschreibung nennt sich „TT Eichung“ (TT gauge, wobei TT für „transverse traceless“ steht). Sie ist relativistisch sauberer als die erste, weil sie nicht mehr an das Bezugssystem eines speziellen Beobachters gebunden ist, sondern überall gilt. Schaut man sich hier die Metrik an, errechnet die Geodäten zweier freier Teilchen (oder Spiegel) und daraus ihre Bewegungsgleichung, so stellt man fest, daß sich ihre Orte beim Durchgang der GW gar nicht verändern. Sie bleiben in einem beliebigen Koordinatensystem exakt dort, wo sie sind. Was sich ändert, ist allein die Metrik, also die Krümmung der Raumzeit, und damit die Geodäten der Photonen.


    Die Ergebnisse eines mit Maßstab und Uhr ausgestatteten Beobachters, der die Abstände der beiden Teilchen mißt, kommen in beiden Beschreibungen genau gleich heraus. Nur würde man sie in der ersten Sichtweise eben so erklären, daß die Teilchen ausgelenkt werden, während die Metrik (im Wesentlichen) flach bleibt. In der zweiten sagt man hingegen, daß die Teilchen in Ruhe bleiben, während sich die Metrik unter der GW verändert.


    Bezogen auf das LIGO Interferometer heißt das folgendes: Gemessen wird immer die Veränderung der Phasendifferenz zwischen auslaufendem und eingehendem Strahl. In der ersten Sichtweise entsteht die Veränderung der Phasendifferenz dadurch, daß die GW die Spiegel relativ zueinander beschleunigt und somit deren Abstand ändert, während der Lichtstrahl von der GW im Wesentlichen unbeeinflußt bleibt. In der zweiten Sichtweise hingegen entsteht die Veränderung der Phasendifferenz dadurch, daß die GW die Metrik zum oszillieren bringt, was Veränderungen in den Geodäten der Photonen bewirkt (z.B. Frequenzänderung), während der Ort der Spiegel unverändert bleibt. Die Meßergebnisse sind in beiden Fällen die gleichen.


    Die erste Sichtweise („proper reference frame“) hat den Vorteil, daß man seinen Newtonischen Intuitionen freien Lauf lassen kann und die ART zum Verständnis fast gar nicht braucht. Der Nachteil ist aber, daß sie bei großen Anlagen wie LISA nicht mehr verwendbar ist. Die zweite Sichtweise („TT gauge“) ist dagegen zwar weniger anschaulich, aber universell anwendbar.


    Die letzten Äußerungen von Gert beziehen sich wohl auf die "TT Gauge" Methode, die der anderen dagegen auf den "proper reference frame".


    Viele Grüße
    Johannes