Beiträge von Heljerer im Thema „...und sie bewegt sich doch!“

    Hallo Kalle,


    am Ende der hellenistischen Kultur (ca. 150 v. Chr.) war die wissenschaftliche Entwicklung etwa so weit, wie in Europa im Jahr 1600. Die technische Entwicklung war in den meisten Bereichen sogar weiter fortgeschritten. Die Analphabetenrate war in der Antike wesentlich geringer. Der Zugang zu Literatur war deutlich einfacher dank der vielen großen Bibliotheken, deren Buchbestand erst wieder im 19. Jahrhundert erreicht wurde. In den großen Städten hatten die Bibliotheken ca. 100000 Bücher, in Alexandria ungefähr 500000. Insgesamt schätzt man die Anzahl auf einen zweistelligen Millonenbetrag. Fordergründig erscheinen die Bedingungen also als sehr gut. Leider ist praktisch keine wissenschaftliche Originalliteratur erhalten.


    Vieles wurde von späteren Autoren neu verfasst, die aber im Grunde nicht mehr genügend Fachwissen hatten. Auf diese Weise ist ein verzerrtes Bild aus lächerlichen Anekdoten entstanden. Tatsächlich war die hellenistische Kultur an einem Punkt angekommen, der durchaus in einer wissenschaftlichen Revolution hätte enden können. Warum dies nicht geschehen ist, wird kontrovers diskutiert. Hier gibt es viele Interpretationen. Russo geht einfach von der römischen Invasion aus. Cohen intepretiert es als Normalfall, dass eine Zeit der Blüte natürlicherweise zu Ende geht. Cohen sieht vor allem das Problem, dass es in der Antike nicht gelungen ist, die Synthese zwischen Philosophie und Mathematik zu vollziehen. Aber das war bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts auch noch nicht gelungen.


    Ich hab mir das mit dem "Durchhänger" ab 1640 gerade nochmal bei Cohen durchgelesen (Musste das Buch erst nochmal suchen. Er nennt konkret 1645-1660). Zu dieser Zeit gab es nach wie vor ein Legitimationsproblem. Vieles erschien den Zeitgenossen einfach zu bizarr. Die Universitäten haben immer noch Aristoteles gelehrt. Das politische Klima war schlecht geeignet für die neue Philosophie. Ich will das jetzt aber nicht weiter ausführen. Bei Interesse kann ich dir gerne die entsprechenden Seiten einscanen. (Ist in deutsch geschrieben. Es gibt auch ein englischsprachiges Buch, das aber eher für Wissenschaftshistoriker verfasst und ausführlicher ist. Das habe ich auch als PDF vorliegen.)


    Männer wie Harvey stehen natürlich im Rückblick genauso wie Galilei und Kepler für die wissenschaftliche Revolution. Das heißt aber noch lange nicht, dass der Weg damals schon vorgezeichnet war. Problematisch ist bei allen dreien, dass heute meistens nur von ihren fundamentalen Entdeckungen die Rede ist. Die fundamentalen, bizarren Irrtümer fallen meistens unter den Tisch.
    Ebenso werden heute alle sich damals für modern haltenden Hermetiker und Quacksalber gerne totgeschwiegen, weil nicht ins schöne Bild des linearen Fortschritt passend. Das damalige Establishment an den Universitäten musste zusehen, wie es mit diesem für sie wirren Gedankengut umgesehen sollte.


    Wir hatten auch schon das Thema Religion. Das war ja mit eine der Fragen von Jochen. Es gibt ein Zitat von Gisbert Voetius, ein Theologe der Utrechter Universität, der bereits Mitte des 17. Jahrhunderts hellsichtiger als alle damaligen "modernen" Wissenschaftler vorhergesehen hat, wohin letztendlich der Weg der Wissenschaft führt: In den Atheismus. Es stimmt eben nicht, dass Naturwissenschaft und Religion voneinander unabhängig sind und nur unterschiedliche Bereich der menschlichen Existenz behandeln. Daher war Descartes für Voetius - nicht nur für ihn - der Feind schlechthin.


    Gruß,
    Wolfgang

    Hallo Kalle,


    die Krise der Wissenschaft, die ich meinte war noch vor der Zeit, die du beschreibst. Ich meinte die 1640er Jahre.


    Ich möchte hier betonen, dass es sich nicht um meine eigene amateurhafte Beurteilung handeln, sondern um ein Ergebnis der historischen Forschung. Google einfach mal nach "Floris Cohen". Das ist ein niederländischer Wissenschaftshistoriker, der sich sehr intensiv mit der sogenannten "Needham Question" beschäftigt hat. Das ist die Frage: Warum fand die wissenschaftliche Revolution gerade in Europa zur frühen Neuzeit statt und nicht schon früher oder woanders (hellenistisches Griechenland oder Islam oder China oder Indien)?


    Cohen behandelt in der Nachfolge einer langen Reihe von Wissenschaftshistorikern und Soziologen genau das, was du in deinem Beitrag anschneidest: Die Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und der Entwicklung der Wissenschaft. Das Thema ist außerordentlich komplex und bis heute nicht umfassend erforscht. Von Cohen gibt es auch ein bibliographisches Buch, das einen Überblick über den Stand der Forschung gibt.


    Inwiefern der Durchhänger der 1640er Jahre die wissenschaftliche Revolution ernsthaft gefährdet hat, ist natürlich schwer zu beurteilen. Man wird hier keine sichere Antwort finden.


    Sehr spannend ist auch der Teil der Needham-Frage, die sich mit der hellenistischen Zeit beschäftigt. Warum gab's es im hellenistischen Griechenland keine wissenschaftliche Revolution? Dies ist besonders schwer zu erforschen, da fast alles an Büchern verschwunden ist, was damals existiert hat. Lucio Russo, eine italienischer Historiker, beantwortet die Frage so, dass die aufkeimende Naturwissenschaft lediglich durch die römische Eroberung im Keim erstickt wurde. Die Römer haben uns sozusagen 1700 Jahre Entwicklungsgeschichte geklaut. Nach dieser Theorie wären wir unter Umständen heute schon auf dem Entwicklungsstand, den wir tatsächlich erst im Jahr 3700 erreichen werden. Das ist natürlich kontrafaktische Spekulation, wirft aber trotzdem ein wenig Licht auf die historische Beurteilung unserer heutigen Lebenssituation.


    Gruß,
    Wolfgang

    Hallo Jochen,


    ich sehe nicht unbedingt, dass das heliozentrische Weltbild ein Quantensprung für die weitere Entwicklung war. Zumindest nicht in dem Sinn, dass sozusagen schon die kritische Masse erreicht wurde, um der wissenschaftlichen Revolution zum Durchbruch zu verhelfen. Wenn man unter dem Quantensprung versteht, dass damit die Revolution initiiert wurde, dann ja! Aber wie auch bei politischen Revolutionen gilt: Nicht jede Revolution hält sich am Leben. Manches wird im Keim erstickt oder hält sich nur kurze Zeit. Die wissenschaftliche Revolution wäre beinahe nach 50 Jahren zum Erliegen gekommen. Die kritische Masse wurde erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts überschritten. Seitdem läuft das Perpetuum Mobile.


    Gruß,
    Wolfgang

    Hallo Hubertus,


    gerade hab ich den 10 Jahre alten Thread gelesen. Was mir besonders an deinem Beitrag gefallen hat, ist der ganzheitliche Ansatz. Ich interessiere mich vor allem für die Geburt der Naturwissenschaften. Was für historisch spätere Zeiten noch einigermaßen klappt - nämlich isoliert durch die Brille der Astronomie zu blicken - funktioniert für die frühe Neuzeit gar nicht. Hier vermischt sich alles: Wissenschaft, Philosophie, Kultur, Esoterik u.s.w.


    Was hat uns Kopernikus aus heutiger Sicht gebracht? Hierzu wurden in dem 10 Jahre alten Thread Antworten gegeben. Interessant ist, dass die wissenschaftliche Revolution in der Mitte des 17. Jahrhunderts beinahe zum Erliegen gekommen wäre. Was hätte Kopernikus uns dann gebracht? Wahrscheinlich nichts von bleibender Bedeutung. Dann hätten wir trotz Kopernikus und Kepler wahrscheinlich heute noch das geozentrische Weltbild. (Und keine Autos, keinen Strom, keine Kunststoffe, noch nicht einmal Dampfmaschinen) Nur die erfolgreiche wissenschaftliche Revolution des 17. Jahrhunderts konnte den Arbeiten von Kopernikus und Kepler zu einer langfristigen Würdigung verhelfen.


    Gruß,
    Wolfgang

    Hallo Jochen!


    Der Effekt der Drehung um den Polarstern lässt sich entweder durch die Drehung der Erde oder durch die Drehung der gesamten Fixsternsphäre erklären. Das haben schon Aristarch von Samos in der Antike und Nikolaus von Oresme im Mittelalter so beschrieben. Jeder klar denkende Mensch hatte das auch damals schon verstanden.


    Die Frage war aber:
    Welche der beiden Möglichkeiten entspricht der Realität? Was dreht sich tatsächlich?


    Ein Gelehrter des Spätmittelalters würde dich fragen:
    Warum soll sich die Erde drehen, wenn es umgekehrt viel widerspruchsloser zu erklären ist, dass sich die Fixsternsphäre dreht?


    Gruß,
    Wolfgang

    Hallo Gerry,


    <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote"><i>Original erstellt von: Gerry</i>
    <br />


    Die einzige logische Erklärung für diese Erscheinung kann doch nur darin zu finden sein, dass sich die Erde zusammen mit den anderen Planeten um etwas bewegt.


    <hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">


    Dass diese Erklärung das Phänomen der Oppositionsschleifen locker erklärt, war auch schon Ptolemäus bewusst. (Ich werde morgen mal nach einer entsprechenden Textstelle im Almagest suchen.) Selbst den mittelalterlichen Gelehrten war das klar. Die Kenntnisse der mittelalterlichen Gelehrten werden heute häufig extrem unterschätzt. Und obwohl - oder vielleicht sogar weil - die Kenntnisse weit höher waren als heute meist gedacht, wurde das heliozentrische System als nicht akzeptabel verworfen.


    2 wesentliche Dinge müssen hier bedacht werden:


    - Die Naturwissenschaft, die gewissermaßen die Synthese aus Naturphilosophie und mathematischem Modell bildet, war damals noch nicht "erfunden". Die Wahrheit wurde in Philosophie und Theologie gesucht. Mathematik (und hierzu gehörten auch die Methoden des ptolemäischen Systems) hatte nur beschreibenden aber keinen erklärenden Charakter. Deshalb wurde in Kopernikus' "De revolutionibus orbium coelestium" nachträglich noch der Hinweis eingefügt, dass das Modell nicht die Wirklichkeit darstelle, sondern nur reine Hypothese sei.


    - Die extreme Bedeutung der aristotelischen Philosophie kann kaum überschätzt werden. Daran, dass in der Mitte des Weltalls notwendigerweise nur das Schwere, also die Erde, befinden kann, wurde von niemandem ernsthaft bezweifelt. (Ich habe das ja bereits in einem früheren Beitrag beschrieben.) Aristoteles: Das war viel mehr als nur irgendeine philosophische Schule. Jedes Phänomen, das sich in der Natur beobachten ließ, konnte gemäß Aristoteles' Philosophie erklärt werden. Mehr noch: Auch Fragen der Theologie (z.B. die Unsterblichkeit der Seele) wurden auf Basis von Aristoteles' Philosophie diskutiert. Die ganze universitäre Bildung basierte darauf. Alles bildete ein harmonisches Ganzes ohne erkennbare Widersprüche. Das konnte man nicht aufgeben, ohne komplett den Boden unter den Füßen zu verlieren.



    Gruß,
    Wolfgang

    Hallo Jochen,


    ich habe mir gerade nochmal deine Fragen durchgelesen und habe - vielleicht auch irrtümlich, dann korrigiere mich - unterschwellig die Ansicht herausgelesen:


    geozentrisch: rückständige Kirche - Inquisition - böse


    heliozentrisch: fortschrittliche Wissenschaft - Opfer der Kirche - gut


    Das wird so immer gerne erzählt. Aber vom häufigen Erzählen wird's nicht wahrer. Die Frage "geozentrisch oder heliozentrisch?" hat zweifellos auch eine religiöse Dimension. Sie lässt sich aber nicht auf eine einfache Formel bringen. Meines Wissens wurde dieses historische Zerrbild durch Verfasser naturwissenschaftlicher und vor allem populärwissenschaftlicher Bücher im 19. Jahrhundert geprägt. Das ist besonders schlimm, da jeder Wissenschaftler nicht nur auf seinem eigenen Fachgebiet methodisch vorgehen sollte, sondern auch dann wenn es sich um Nachbargebiete handelt. Und die Geschichtswissenschaft ist eben auch eine Wissenschaft.


    Gruß,
    Wolfgang

    Hallo Tobi,


    ja, das sehe ich auch so. Die Umstände, unter denen Kepler gearbeitet hat, waren alles andere als leicht. Zudem war er von seiner Persönlichkeitsstruktur her ganz anders als Galilei. Galilei war karrierebewusst, strebsam, arrogant. Vielleicht wäre er mit anderer Persönlichkeitsstruktur nie verurteilt worden? Wer weiß?


    Jochen:
    Zu deiner Frage: Welche Erkenntnisse ergaben sich denn durch Beobachtungen der aufkommenden Fernrohre?


    Die Fernrohr-Beobachtungen haben zu einem ganz wesentlichen Teil zur Demontage des geozentrischen Weltbildes beigetragen. Allerdings manchmal nur auf indirekte Art und Weise. Beispiele:


    1.) Mond: Der Mond besitzt offensichtlich Krater und Gebirge. Er scheint also genau wie die Erde aus Gestein zu bestehen. Das passt aber nicht zu Aristoteles' System, wonach das Element Erde da oben nichts verloren hat.


    2.) Venusphasen: Die Venus zeigt ähnliche Phasen wie der Mond - inkl. "Vollvenus". Wenn aber die Venussphäre unterhalb der Sonnensphäre ist, dürfte dies nicht der Fall sein. Die Venus dürfte nie voll beleuchtet sein. Das System von Tycho Brahe erklärt das so, dass sich zwar die Venus um die Sonne dreht, diese sich aber wieder um die Erde.


    3.) Jupitermonde: Die Jupitermonde drehen sich um den Jupiter. Das beweist zumindest, dass die Erde nicht das einzige Zentralgestirn ist.


    Andere Beobachtungen, ohne Fernrohr, trugen außerdem zur Demontage der aristotelischen Physik bei:


    4.) Kometen waren keine atmosphärischen Erscheinungen. Sie schienen die vermeintlich undurchdringlichen kristallenen Sphären zu durchdringen.


    5.) Es wurden mehrere Novae beobachtet, die offensichtlich innerhalb der Fixsternsphäre stattfanden. Die ewig unveränderliche Sphäre unterlag also doch sichtbaren Veränderungen.


    Ganz wesentlich war aber: Am Anfang des 17. Jahrhunderts wurde ein Mechanismus in Gang geworfen, der bis heute ungebremst weiterläuft: Dieser Mechanismus wird in Gang gehalten durch die positive Rückkopplung zwischen Mathematik, Experiment, philosophischer Reflexion, Handwerk, Technik und Kapitalismus. (Hab ich noch irgendwas vergessen?)


    "Die Wissenschaft sucht nach einem Perpetuum mobile. Sie hat es gefunden: sie ist es selbst." (Victor Hugo)


    Gruß,
    Wolfgang

    Hallo Tobi,


    die große Bedeutung, die wir Kepler heute zu Recht beimessen, hat er bei seinen Zeitgenossen nicht erlangt. Selbst Galilei hat Keplers Ergebnisse, obwohl sie ihm bekannt waren, in seiner Argumentation für das heliozentrische Weltbild weitgehend ignoriert. Das geozentrische Theoriegebäude hat über sehr sehr lange Zeit gebröckelt bis es endgültig in sich zusammengestürzt ist.


    Interessant ist hier, dass noch bis weit ins 17. Jahrhundert hinein der Astronomie-Klassiker des Mittelalters schlechthin, Sacroboscos Tractatus de Sphaera von 1230 an den Universitäten als verbindliches Elementarlehrbuch verwendet wurde.


    Gruß,
    Wolfgang

    Hallo Jochen,


    wenn du von „vor unserer wissenschaftlich fortgeschrittenen Zeit“ schreibst, ist das ein bisschen ungenau.


    Aber unabhängig davon, von welcher Zeit du genau sprichst, gilt Larrys Antwort: Das geht nicht! Man hätte die Skeptiker nicht überzeugen können.


    Larry hat ja schon deine diffuse Zeitangabe ins späte 16. Jahrhundert versetzt (Tycho Brahe). Ich will noch ein paar andere Beispiele aus der Geschichte geben.


    1.) Antike
    Bereits in der Antike hat Aristarch von Samos (* ca. 310 v. Chr.) das heliozentrische Weltbild als Hypothese diskutiert. Ihm war damals schon klar, dass in diesem Fall eine jährliche Sternparallaxe auftreten muss. Der Nachweis einer Parallaxe wäre schon damals von Aristarchs Zeitgenossen als Experimentum Crucis akzeptiert worden. Eine stichhaltige Messung der Parallaxe und das heliozentrische Weltbild hätte schon damals das geozentrische Weltbild abgelöst. Das ist aber nicht passiert. Wir wissen heute, dass die Parallaxe verschwindend gering ist. Der Nachweis ist erst 1838 gelungen. Aristarchs Zeitgenossen hatten also keinen Grund am geozentrischen Weltbild zu zweifeln. Im Gegenteil: Die nicht gefundene Parallaxe hat das geozentrische Weltbild bestätigt.


    2.) Hochmittelalter
    Für die mittelalterlichen Gelehrten war das heliozentrische Weltbild mittlerweile noch absurder geworden als für Aristarchs Zeitgenossen. Dieses Weltbild widerspricht nämlich jeglichem fest etabliertem Wissen der damaligen Zeit. Vereinfacht gesagt gab es für die Scholastiker des Hochmittelalters zwei Autoritäten: Die Bibel für Glaubensfragen und Aristoteles für die Naturphilosophie. In der Bibel ist alle Schöpfung auf den Menschen ausgerichtet. Die Bedeutung der Bibel für die Ablehnung des heliozentrischen Weltbildes wird aber landläufig überschätzt. Viel wichtiger für diese Frage war die aristotelische Naturphilosophie. Nach Aristoteles hat das Universum eine Kugelgestalt, wobei alles Schwere dem Zentrum des Universums zustrebt. Nun ist wichtig, dass Aristoteles diese Kosmologie mit der Vier-Elemente-Lehre des Empedokles verbunden hat. Die vier Elemente Erde – Wasser – Luft – Feuer sind unterschiedlich schwer bzw. leicht. Gemäß ihrer größten Schwere strebt die Erde dem Zentrum des Universums zu. Gemäß seiner Leichtigkeit steigt das Feuer nach oben (außen). Wasser und Luft ordnen sich dazwischen an. Die vier Elemente bilden also konzentrische Schalen mit der kugelförmigen Erde in der Mitte. (Wenn man im Mittelalter gemäß der aristotelischen Lehre von Erde gesprochen hat, meinte man übrigens wirklich nur die Erde, also ohne Wasser und Luft. Erde im Sinne von „Globus“ inkl. Wasser und Luft ist eine spätere Lesart des beginnenden 16. Jahrhunderts.) Alles was außerhalb dieser vier Sphären liegt, ist nicht aus den vier Elementen zusammengesetzt. Man hat sich die nächsten Sphären als kristallene Schalen vorgestellt, die aus einem fünften Element, der Quintessenz, bestehen. Jeder Planet und auch Mond und Sonne liegen jeweils in ihrer eigenen Sphäre. Am Ende kommt dann die Fixsternsphäre. Dahinter kommen die Engel und Gott.
    Wie kann man sich innerhalb dieses Weltbildes jetzt die Sonne im Zentrum vorstellen? Gar nicht. Die Sonne kann nicht im Zentrum stehen, da sie ja nicht schwer ist.


    Sehr wohl konnte man aber diskutieren, ob sich die Erde um ihre eigene Achse dreht oder ob sich nach etabliertem Wissen der damaligen Zeit die Fixsternsphäre um die Erde dreht. Dies hat beispielsweise Nikolaus von Oresme (14. Jahrhundert) zumindest als Denkmöglichkeit getan. Die Drehung der Erde alleine reicht natürlich nicht, sondern dann würde ja die ganze Erde einmal täglich vom Wasser überschwappt werden. Daher muss sich auch die Wassersphäre mitdrehen. Und auch die Luftsphäre, sonst hätten wir ja ständig starken Wind. All das erscheint aber doch recht unwahrscheinlich, sodass die Theorie der rotierenden Erde von niemandem ernsthaft vertreten wurde. Man hat sich die Wasser- und Luftsphäre viel zu dick vorgestellt. Wenn man sich das alles einmal ganz in Ruhe vor dem eigenen geistigen Auge vorstellt, kommt man zu dem Ergebnis: Die Erde kann eigentlich nur stillstehen.


    3.) Frühe Neuzeit
    Kopernikus hat bekanntlich als erster das heliozentrische Weltmodell quantitativ ausgearbeitet. Qualitativ war es ja schon mit Aristarch vertreten worden. Kopernikus hatte dasselbe Problem wie Aristarch: Die fehlende Parallaxe. Kopernikus hat richtigerweise argumentiert, dass die Entfernung zur Fixsternsphäre einfach zu groß ist, um eine Parallaxe festzustellen. Das konnte man sich damals aber nicht wirklich vorstellen. Das Argument erschien den Zeitgenossen doch als ziemlich schwaches Verzweiflungsargument. Auch zu Kopernikus‘ Zeit galt noch das aristotelische Weltbild. Das kopernikanische Weltbild war dementsprechend nur eine Gehirnübung, eine reine Spekulation. Eine gewisse Akzeptanz erhielt das Modell nur dadurch, dass die Vorhersagen nach Kopernikus etwas genauer waren als die der geozentrisch basierten früheren Tabellen. Dies lag aber eher an den besseren Beobachtungsdaten als am besseren Modell.


    Nun zu deiner Frage: War man zu sehr auf die bestehende Sichtweise fixiert?
    Ja, man war auf die bestehende Sichtweise fixiert. Aber Naturwissenschaft funktioniert anders als so mancher glaubt.


    1.) Die Naturwissenschaft bildet ein ganzes System verschiedener Theorien, die alle miteinander in komplexer Weise verknüpft sind. Heliozentrisch oder geozentrisch: Das ist keine isolierte Frage, die sich unabhängig von anderen Theorien behandeln lässt. Vor Aufgabe der gesamten aristotelischen Physik war der Weg für das heliozentrische Weltbild nicht frei. Der endgültige Durchbruch kam sogar erst mit Newtons neuer Physik.


    2.) Das, was wir heute Naturwissenschaft nennen, wurde erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts erfunden. Das Denken davor war ganz anders gestrickt. So waren die Gelehrten im Mittelalter Theologen mit erstaunlich großem Interesse an Naturphilosophie und Astronomie. Aber sie waren eben keine Naturwissenschaftler.


    Zum Schluss vielleicht nochmal ein Kommentar zu deinem Wort „Skeptiker“. Jemand der bis zum Ende des 16. Jahrhunderts das geozentrische Weltbild vertreten hat, war kein Skeptiker. Das heliozentrische Weltbild war eine Außenseiteransicht, die sich im Nachhinein merkwürdigerweise als richtig herausgestellt hat.


    Gruß,
    Wolfgang