Naja, das Aufspüren irgendwelcher Reste, wenn er im Dezember wieder vor nachtdunklem Himmel steht, könnte einen sportlichen Reiz haben. Die Trümmerwolke sollte sich schnell ausdehnen, und falls ein paar Fragmente so lange durchhalten, könnte es vielleicht einen Bereich von ein paar Grad geben, wo sich kleine teleskopische Kometchen rumtreiben. Aber sehr optimistisch bin ich da nicht, denn die Aktivität ist inzwischen, wenn ich die C3-Bilder richtig deute, nahe bei 0. Die Staubwolke wird bestehen bleiben und sich ausdehnen, und dann wird sie schwerer und schwerer detektierbar und immer flächenschwächer sein. Aber, wer weiß, vielleicht kann man das mit CCD usw. noch nachweisen.
Irgendwie hatten wir natürlich alle etwas anderes erhofft. Ich muss aber sagen, dass seit Mai eigentlich die Lichtkurvenerwartungen stets nach unten korrigiert wurden. Irgendwann im August und September war absehbar, dass ISON in dem Sichtfenster im November kein "großer Komet" sein würde. Die Einschläge kamen immer näher, als die Aktivität des Kometen sich bis Mitte November trotz Annäherung an die Sonne kaum steigerte. Natürlich konnte keiner bis heute morgen ein Großes-Kometen-Szenario komplett ausschließen, aber die Voraussetzungen für ein solches wurden Tag für Tag immer unwahrscheinlicher. Von Jahrhundertkometszenarien mal ganz zu schweigen! Es gab vielleicht eine gewisse Resthoffnung, als vor 2 Wochen der Ausbruch stattfand. Aber auch der reichte nicht aus, um den Kometen in der Dämmerung im November groß rauskommen zu lassen. Das einzige, was hätte helfen können,war ein Lovejoy-artiges Ereignis, also Fragmentierung und immenser Staubausstoß nach der Sonnenpassage. Das mit dem Staubausstoß hat sich dann nicht materialisiert. Aber im Grunde war das, wenn man mal ehrlich ist, der letzte Strohhalm. Und der ist letzte Nacht umgeknickt.
Dominik hat recht, Kometenwissenschaftler und Amateurkometenbeobachter sind meist auf dem Teppich geblieben. Beide sind aber auch besser in der Lage, mit einem Helligkeitsverlust umzugehen, als ein Normalmensch. Wenn der Komet + 5. Größe hat statt -5., fluch ich wie ein Rohrspatz, aber ich habe ein Fernrohr und das nötige Knowhow. Die Wissenschaftler haben mehr Technik, haben eine ganze Menge Daten gesammelt und sind wohl ganz happy mit der Ausbeute. Der typische Medienkonsument, der auf einen Monsterkometen eingestellt war, hat diese Möglichkeiten aber nicht. Er ist darauf angewiesen, dass der Komet unübersehbar im Himmel steht. Das kann ihm eben keine Helligkeitsprognose der Welt garantieren.
Und dies ist Richtung Medien schwer kommunizierbar. Naturwissenschaft ist doch superexakt, > 12 Stellen hinterm Komma, oder? Außerhalb der Szene kann sich kaum einer vorstellen, dass naturwissenschaftliche Prognosen mit Unsicherheiten behaftet sind und dass diese im Fall eines hellen Kometen gerade für den Bedarf eines Zeitungslesers viel zu groß sein können.
Bei PANSTARRS und ISON mussten mir persönlich zu viele Teleskope beworben, Bücher und Hochglanzzeitschriften herausgebracht und z.T. auch Reiseprodukte verkauft werden. Weshalb es manche Leute wohl ganz praktisch fanden, die näher kommenden Einschläge gerne mal zu überhören, damit die Legende weiterlebt. Das hatte natürlich zur Folge, dass eine Menge interessierte Laien, aber auch nicht so ganz kometenerfahrene Amateurastronomen ganz gut verwirrt wurden. Druckprodukte haben zudem einen zeitlichen Vorlauf, und da fällt es objektiv schwer, rechtzeitig die Notbremse zu ziehen. Gedrucktes wirkt einfach total seriös, sogar wenn es seit 48 Stunden veraltet ist! Das war 1973 auch schon so. Dieses Buch hier kam heraus, als das Abknicken der Lichtkurve von ahnungslosen 13-Jährigen erkannt werden konnte.
Ich hatte jedenfalls, wenn ich bei ISON mal kundtat: "Die Lichtkurve gefällt mir gar nicht", lustige Zuschriften. Lustige Zuschriften hatten bei PANSTARRS auch erfahrene Kometenbeobachter (und -Entdecker) aus Australien, wenn sie in Diskussionsgruppen schrieben "so hell ist das Ding gar nicht, Nordhalbkugelbewohner, erwartet bitte nicht zu viel".
Ich hab ja versprochen, das ganze noch mal irgendwo zusammenzustellen, vor allem einen Vergleich Kohoutek-ISON/PANSTARRS. Die Sachen sind wirklich sehr vergleichbar, wobei die Ursachen der Hype damals andere waren als diesmal. Aber in vielen Details war dies ein Replay der Kohoutekhype unter Internetbedingungen.
Was mir diesmal mehr auffiel als jemals vorher, sind die vielen Youtubevideos, die wg. ISON den Weltuntergang ankündigten. Aus der Neuzeit sind Weltuntergangsideen vor allem von 1P/Halley 1910 überliefert. Sowas gab es bei Kohoutek und Hale-Bopp auch untergründig, aber nicht so doll, von einem kollektiven Suizid einer parareligös-u_fologischen Gruppe bei Hale-Bopp mal abgesehen. Aber diesmal ist solcher Unfug wg. Internet auch besser kommunizierbar.
Die Kohoutek-Hype hatte einen unangenehmen Nachspann. Der Flopp bewirkte einen Backlash auf die Astronomen und führte dazu, dass keiner mehr Kometen ernstnahm. Und als dann 1976 Komet West am Himmel stand - jupiterhell, mit 20 Grad Schweif, klinkten sich die Medien komplett aus. Hinzu kam: Die Astros hatten auch keine Lust mehr auf Medienmenschen. Das sind nämlich die Kollateralschäden der Kometenhype. Vertrauensverlust ist eher schädlich für alle, die von Astronomie oder den Astrofans leben oder Astronomie in die Öffentlichkeit tragen möchten.
Was ich hoffe ist, dass unsere Szene sich einen gewissen Verhaltenskodex auferlegt: Objektiv bleiben, nicht von Jahrhundertkometen faseln, auf die Unsicherheiten hinweisen. Ehrlich sagen, dass niemand weiß, ob der Komet hell genug wird, dass der Zeitungsleser ihn sehen kann. In Amateurastrozeitungen und Foren auf dem Teppich bleiben. Da Kometen ja dank der Suchprogramme heute sehr früh entdeckt werden, sollte man vielleicht die Tagesmedien auch erst einschalten, wenn ein Komet sich WIRKLICH als Monster am Osthimmel erweist. Und es wäre schön, wenn diejenigen, die an Astros Produkte verkaufen möchten, es kümftig vermeiden würden, eine Kometenhype als Werbemasche zu nutzen. Mich als potentiellen Kunden turnt das jedenfalls ziemlich ab.
Hartwig