Beiträge von JSchmoll im Thema „D. Roths Abneigung gegenü. obstruierten Systemen“

    Hallo Martin,


    das ist in der Tat eine interessante Frage. Ich lese gern ab und zu in alten Buechern aus den 1950ern bis 1980ern, und es werden dort in der Tat einige Lehrmeinungen vertreten, die zumindest heute nicht mehr haltbar sind.


    Ich las so zum Beispiel in einem Einsteigerbuch von Patrick Moore (1960er Jahre), dass die Untergrenze fuer ein sinnvolles astronomisches Teleskop ein dreizoelliger Refraktor sei, oder ein Newton nicht unter sechs Zoll ! Also musste der Newton eine doppelt so grosse Oeffnung aufweisen, um ernstgenommen zu werden. Gerade im Licht der Tatsache, dass Newtons frueher generell langsamer ausgefuehrt waren (f/8 Standard, f/6 = "Lichtkanone"), verwundert mich dies doch und ich wundere mich, warum diese Meinung so lange vorherrschte.


    Einige Theorien meinerseits:


    - Die Meinung, dass Refraktoren grundsolide seien im Unterschied zu "launischen" Spiegelteleskopen, wurde noch um 1900 von vielen Profis vertreten. Gruende waren die noch nicht ausgereifte Technik, mit Metallspiegeln die andauernd neu poliert werden mussten oder Spiegelscheiben aus unzureichend getempertem Glas normaler Expansion.


    - Mehr Amateure stellten Spiegel her statt Linsen, einfach wegen der Pruefbarkeit und Verfuegbarkeit von Rohlingen. Somit gab es auch mehr Spiegel, die nicht ganz so gut ausfielen im Vergleich zu meist professionell gefertigten Linsensystemen.


    - Es wurde bei vielen Newtons nicht auf Beugungseffekte geachtet. So kamen rechteckige oder oktagonale Fangspiegel oder auch Prismen zum Einsatz, oder es wurden viel zu massive Fangspiegelspinnen verwendet. Hier in England sieht man noch oft den "Balken im Auge Gottes": Eine einfache Strebe, die quer ueber die Oeffnung geht und viel zu dick ist !


    - Okulare ! Gute Okulare waren damals relativ schwer zu bekommen und der verfuegbare Markt eher begrenzt. Das machte sich bei f/8 natuerlich mehr bemerkbar als bei f/15.


    - Teleskopgroesse: Amateurteleskope sind ueber die Jahre groesser geworden. Ein 150mm-Newton war in den 1960ern schon was fuer den versierten Amateur, in den 1980ern eher Standard und heute wird Anfaengern schon zum 200er geraten. Mit wachsender Groesse ist das Abbild jedoch immer weniger durch die Beugung und immer mehr durchs Seeing dominiert. Eine obstruktionsbedingte Umverteilung vom 0. Maximum in die Ringe macht sich bei einem groesseren System weniger bemerkbar, weil die Kontrastminderung durch die Luftunruhe groesser wird, das Beugungsscheibchen bei gleicher Vergroesserung hingegen kleiner.


    Eine andere lustige Lehrmeinung ist auch, dass Refraktoren zwar vier zu bearbeitende Oberflaechen haben, aber jede dieser nur 1/4 so praezise sein muss weil sich der Fehler ja auf vier Oberflaechen verteile. Diese Zote habe ich bereits des Oefteren gelesen ! Der Tropfen Wahrheit ist, dass eine Glasluftflaeche bei Refraktion nicht so "hart" reagiert wie eine Reflexionsflaeche. Das kann man sich an einer geneigten Glasflaeche klarmachen, die den Strahl nach Snellius'schem Brechungsgesetz ein wenig verkippt, waehrend die Reflexion im zweifachen Kippwinkel verlaeuft. Offenbar wurde dieser Sachverhalt von irgendwem falsch interpretiert und die Geschichte von den vier Flaechen, unter denen sich ein Formfehler irgendwie aufteile, machte die Runde.


    Es waere vielleicht mal ein unterhaltsamer Thread, solche Falschzitate aus der aelteren Literatur herauszusuchen.


    Uebrigens: In den 1980ern hatten Freunde mit mir eine Starparty. Ich hatte einen 60mm-Refraktor, mein Kumpel einen 80/1200er Refraktor und der andere Freund 114mm Oeffnung - aber "nur" ein Newton, der natuerlich nicht so gut ist und unscharfe Bilder bringt. Um so erstauter war ich, als der Newton im Vergleich die brilliantesten Bilder produzierte. Womit diese Lehrmeinung fuer mich ad absurdum gefuehrt wurde.


    Mein 257/1140er Selbstbaunewton mit 78mm-"Klodeckel" als Fangspiegel hat mich jedenfalls, obwohl als "Lichtkanone" fuer die Astrofotografie konzipiert, am Planeten von der Leiter gehauen. [;)]





    Achtung: Text zweimal editiert, weil mir noch zwei Thesen einfielen: Okulare und Teleskopgroesse.