JMI NGT6 - ein seltener Exot mit Tücken ...

  • Seit ich mich für Astronomie interessiere, haben sich die Next Generation Telescopes oder kurz NGT’s von Jims Mobile in meinem Hirn festgebrannt. Diese Teleskope , die es in 6“ 12,5“ und 18“ gibt beziehungsweise gab, haben nicht nur einen besonders guten Ruf bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit, sondern sehen dank ihrer exotischen Hufeisenmontierung auch atemberaubend gut aus – sozusagen ein Stück Industriekunst getreu dem Motto „form follows function“
    JMI, hauptsächlich bekannt als Hersteller von hochwertigen Crayford Okularauszügen, ist meines Wissens nach der einzige kommerzielle Hersteller von Amateurteleskopen, der diese Art der Montierung verwendet. Im Profibereich hingegen ist sie recht verbreitet, besonders bekannt wurde sie durch das 200“ Hale Teleskop des Palomar Observatoriums in Californien.
    Die 6“ Version des NGT sollte die Produktpalette von JMI Ende der 90er Jahre nach unten hin ergänzen, wurde dann aber wohl wegen des hohen Preises ($1000 im Herkunftsland und 2000€ bei uns) sowie einiger gravierender Konstruktions und Verarbeitungsmängel nach knapp 2 Jahren Bauzeit wieder aus dem Programm genommen. Dadurch existieren in Europa heute angeblich nur 2 Exemplare davon, und eines davon habe ich mir vor einem halben Jahr an Land gezogen, als ich auf der Suche nach dem idealen Reiseteleskop war.


    Ich möchte hier zuerst einmal die Vorteile des Gerätes aus meiner Sicht darstellen:


    - Hervorragender 6“ f/5 Spiegel aus der Ukraine, der von allen Testern in den höchsten Tönen gelobt wurde. Gepaart mit einer Obstruktion von nur 17% ergibt das ein Richfieldgerät, welches durchaus auch einmal eine höhere Vergrösserung zur Planetenbeobachtung zulässt.
    - Trotz integrierter Motornachführung ist es sehr kompakt und einfach auszurichten. Durch das Trusstube Design ist es sehr klein zerlegbar und damit extrem transportabel.
    - Neben der manuellen Benutzung in Dobsonmanier, durch die Hufeisenmontierung aber ohne das dobsontypisches Zenithproblem, hat das Teleskop gleichzeitig eine motorische Nachführung. Seit ich unter meinem 12.5“ Dobson eine Motorplattform habe, möchte ich auf keinen Fall mehr auf eine automatische Nachführung verzichten.
    - Durch Drehen der Optik um die eigene Achse, kann man das Okular immer an die gerade komfortabelste Einblickposition bringen. Ein entscheidender Vorteil, den ich auch schon an meinem Kugeldobson zu schätzen gelernt habe und keinesfalls mehr missen möchte.
    - Längengrad in weiten Bereichen einstellbar, wodurch das nachgeführte Teleskop praktisch weltweit verwendbar wird. Ein entscheidender Vorteil gegenüber Dobsonplattformen.


    Und nun die Nachteile beziehungsweise die Realität:


    - nur ein 1.25“ Okularauszug
    - Der Hut besteht aus 1mm Alublech und verbiegt sich praktisch schon durch scharfes Ansehen – Dauerhafte Kollimation unmöglich
    - Die Trusstubes sind aus einem sehr weichen Kunststoff. Bewegt man das Teleskop an den Trusses, und das tut man praktisch immer, biegen sich diese stark durch, und mit ihnen auch der Hut – die Kollimation ist dahin.
    - Die Achsen und Lagerstellen sind sehr mangelhaft ausgeführt. Es finden sich hier billige Plastikteile und Korkscheiben. Damit ist die Klemmung der Achsen entweder so fest, dass der Motor das Teleskop nicht mehr bewegen kann, oder so locker, dass sich das Teleskop alleine unter dem Gewicht der Okulare bewegt.


    Nach dieser ernüchternden Bilanz war das Teleskop praktisch unbrauchbar und ich hätte es eigentlich an den Händler zurückschicken sollen, was die Mehrzahl der NGT6 Käufer ja wohl auch getan hat. Das Charisma des NGT gepaart mit den oben erwähnten Vorteilen, die kein anderes Teleskop in dieser Kombination bietet, stachelten aber meinen Ehrgeiz an, aus diesem Bastelsatz ein Topteleskop zu machen.
    Also wurde das Gerät komplett zerlegt, sämtliche Lager durch Kugel – oder speziell angefertigte Bronzelager ersetzt und die meisten zölligen Gewinde metrisiert sowie mit Edelstahlschrauben bestückt. Einen neuen Hut liess ich aus Carbon anfertigen und aus demselben Material fertigte ich auch 6 neue Trusstubes, wodurch das Topend nun absolut stabil und leicht ist. Als Fokussierer wählte ich den bekannten und extrem leichten und flachen 2“ Kineoptics helical HC2, wodurch das Gerätchen selbst mit dem 31er Nagler spielend fertig wird. Die Nachführung erfolgt mittels einem geregelten Gleichstrommotor mit 2 vorgeschalteten Planetengetrieben. Der Hut und die Spiegelzelle wurden innen mit Veloursfolie ausgeklebt, sämtliche Schrauben und Kanten mit Schultafellack geschwärzt. Der Hut hat genau gegenüber dem Zentrum des Okularauszuges eine 2mm Bohrung. Dadurch lässt sich so der OAZ mittels Laser genau rechtwinklig justieren.


    Hier nun einige Ansichten meines getunten Schätzchens, beachtet bitte den Grössenvergleich anhand des Naglers und der Kaffeetasse...



    Der Aufwand hat sich gelohnt: Nichts klemmt mehr, wackelt oder hat zuviel Spiel. Man kann die Klemmungen der Achsen jetzt so fein dosieren, dass man das Teleskop sowohl mit einem leichten 5mm Okular als auch mit dem 31er Nagler butterweich bewegen kann. Hat man das Objekt der Begierde im Okular, klemmt man die Achsen und geniesst den Anblick, währen der Motor sauber nachführt. In dieser getunten Version kommt das NGT6 meiner Idealvorstellung der Eierlegenden Reisewollmilchsau sehr sehr nahe. Und ausserhalb der Beobachtungszeiten macht das Gerät als Briefbeschwerer auf dem Schreibtisch eine extrem gute Figur.
    Optisch hat das Teleskop meine Erwartungen übertroffen. Der Sterntest ist wie aus dem Lehrbuch. Besonders Spaziergänge in der Milchstrasse unter dunklem Himmel mit dem 31er Nagler sind schlichtweg atemberaubend. Trotzdem kann bei Bedarf und entsprechendem seeing problemlos bis über 300fach vergrössert werden.
    Für mich ist bei meinen Basteleien oftmals der Weg das Ziel. Da aber schon wieder neue Projekte in meiner Warteschleife sind, habe ich mich schweren Herzens entschlossen mein NGT6 abzugeben. Bei Interesse einfach eine kurze Nachricht an mich.


    Wer sich im Web über das seltene Stück informieren will wird leider kaum fündig. Es gibt leider nur 2 Onlinerezessionen des Teleskopes, die aber recht interessant sind:


    http://www.newastro.com/wodaski/review_NGT6.htm


    http://www.astronomy.com/conte…/000/000/000/659ygqup.asp


    Viele Grüsse Jochen

  • Hallo Jochen


    Glückwunsch zum erfolgreichen Umbau ! Das NGT sieht so richtig gut aus und Du möchtest Dich von dem guten Stück trennen, also mir würde das sehr schwer fallen, da aber was "Neues" in Planung ist, muß das Schätzchen raus. Die Größe ist schon beeindruckend, vor allem im Vergleich zum Nagler ! Viel Erfog beim Neuen Projekt, aber achte darauf daß Dein "Kind" in gute Hände kommt.
    .
    Grüße Werner

  • Hallo Werner,


    Du hast ja auch erheblich dazu beigetragen, dass das NGT so schön und gut geworden ist!
    Im Moment thront das Teilchen auf meinem Schreibtisch und je länger ich es betrachte, desto schwerer fällt der Gedanke es abzugeben :)
    Da allerdings der LOMO Spiegel meines neuen Projektes, das Du ja dank Deiner Mithilfe auch gut kennst, irgendwie finanziert werden will, muss das kleine Schwarze ein neues Zuhause finden.


    Viele Grüsse Jochen

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