Die Flucht nach Ägypten

  • Hallo allerseits,


    ich wurde heute auf einen Artikel in der "Zeit" aufmerksam gemacht, in dem es um Adam Elsheimers (1578-1610)Gemälde "Die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten" geht.


    Der Clou bei dem Artikel ist: Aus der naturgetreuen Himmelsdarstellung werde geschlossen, daß Elsheimer bereits vor Galilei über ein Fernrohr verfügt habe, als er das Bild 1609 in Rom malte.


    Das Bild ist zentraler Bestandteil einer Ausstellung, die noch bis zum 26. Februar in der Alten Pinakothek in München gezeigt wird. Wenn man nach dem Namen des Malers googelt, stellt man fest, daß sich in den letzten Wochen jede Zeitung von Rang in ihrem Feuilleton der Sache gewidmet hat: http://news.google.de/news?q=a…=off&sa=N&tab=nn&oi=newsr


    Abgesehen von den kleinen Fehlern, die fast alle diese Presseberichte enthalten (In der "Zeit" heißt Galileis Schrift von 1610 "Sidereus nuntius", in der "Welt" wird sie zwar richtig "Sidereus Nuncius" genannt, aber als "Vom neuen Stern" übersetzt; mal soll die Himmelsdarstellung den 17.06.1609 zeigen, mal den 16.06. um 21:45 Uhr, usw. usw.: Diese Pressefuzzis können ofenbar nicht einmal eine Pressemitteilung richtig abschreiben),
    also abgesehen davon: Könnt Ihr die Deutung der Sterne auf dem Gemälde nachvollziehen, oder hat der Astronomie-Experte des Deutschen Museums hier zusammen mit der Pinakothek eine Presseente gelandet?


    Die Information der Alten Pinakothek dazu findet sich hier: http://www.br-online.de/kultur…12/16-elsheimer/index.xml
    und eine hinreichend aufgelöste Abbildung des Gemäldes hier: http://www.wga.hu/art/e/elsheime/egypt-e.jpg

    Gruß, mike

  • ich hab davon auch schon vor einigen Wochen im SPIEGEL gelesen, hab damals in RedShift und in EasySky den 17.06.1609 eingestellt, außer dem Mond konnte ich keinerlei Übereinstimmung finden

  • Ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, wie man für eine detailierte Mondzeichnung wie von Elsheimer angefertigt auf die Benutzung eines Teleskops schliessen kann. Jeder geübte (Hobby-)Astronom wäre fähig, eine solche Zeichnungen nach intensiverer Betrachtung mit dem bloßen Auge zu erstellen - erst recht die präh-galileischen Beobachter, die uns visuell m.E. überlegen waren

  • Anhand des oben von dir verlinkten Bildes versuche ich krampfhaft irgendwelche Sternbilder zu identifizieren.


    - Die Gruppe in der Ecke oben rechts sieht sehr gut nach dem Großen Wagen aus, ist aber dafür viel zu klein dargestellt und an völlig falscher Position. Könnte es der Delphin sein? Dann stimmt die Position aber auch nicht.


    - Die Gruppe links knapp über den Bäumen (siehe diese Detailansicht) sieht nach dem Kopf des Skorpions mit Antares als Hauptstern aus, ist aber dafür auch zu klein und steht an völlig falscher Stelle zur Milchstraße.


    - Ist die Dreierkette mitte unten in der Baumlücke Beta, Alpha (Altair), Gamma Aquilae (Adler)? Dies würde zur Milchstraße im Schwan passen, ich sehe aber das Kreuz des Schwans im Milchstraßenband nicht.


    - Ein solches Mondgesicht sieht man auch ohne Fernrohr. Ich sehe hier keine Einzelkrater oder sonstiges, was zwingend auf Fernrohreinsatz schließen würde.


    - Dass die Milchstraße bei extrem transparentem mondlosem Himmel eine stark strukturiert und körnige Erscheinung bietet, haben die damals geübten Beobachter sicher auch mit bloßem Auge gesehen.


    Kann es nicht einfach sein, dass der Maler mehrere Einzelbeobachtungen in seinem Bild frei künstlerisch verarbeitet hat? Er hat es sicher nicht in einer Nacht gemalt, Vollmond UND stark körnige Milchstraße gleichzeitig ist unmöglich.


    Das Bild gefällt mir, auch die vom Mond partiell angestrahlten Wolken schön in Szene gesetzt. Vielleicht sollte ich es mir im Original anschauen. Gerne würde ich mich auch mal mit den Fachleuten vom Deutschen Museum und der Pinakothek darüber unterhalten.


    <font size="1">Stathis Kafalis, der weder Archäologe, noch Kunsthistoriker ist und findet, dass einige Vertreter beider Berufsgattungen manchmal zu "Überinterpretationen" neigen.
    http://www.stathis-firstlight.de</font id="size1">

  • Moin Rüdiger!


    <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote"><i>Original erstellt von: RudiHeinrich</i>
    <br />Ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, wie man für eine detailierte Mondzeichnung wie von Elsheimer angefertigt auf die Benutzung eines Teleskops schliessen kann. Jeder geübte (Hobby-)Astronom wäre fähig, eine solche Zeichnungen nach intensiverer Betrachtung mit dem bloßen Auge zu erstellen - erst recht die präh-galileischen Beobachter, die uns visuell m.E. überlegen waren
    <hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">


    Dem kann ich nur beipflichten. Man denke nur an die hochpräszisen Beobachtungen von Tycho Brahe, dem letzten großen visuellen Beobachter der präteleskopischen Ära.


    Und wie Stathis es schon richtig anmerkte: Auch mir scheint das Bild aus mehreren Beobachtungen zusammengestückelt, der Rest mit künstlerischer Freiheit versehen. Wie man da auf teleskopische Beobachtungen schließen will, ist mir schleierhaft.


    Das ist wohl mal wieder einer jener unglücksseligen Versuche, Geschichte negativ umzudeuten oder verschwörerisch irgendwas hineinzugeheimnissen, was gar nicht da ist.


    Viele Grüße

  • Hallo,


    prinzipiell finde ich solche Themen sehr spannend, aber ich finde auch, hier wurde etwas überinterpretiert.


    Hier mal ein Link zur FAZ:


    Zitat daraus: "Es handelt sich damit um die früheste fernrohrbasierte Darstellung des Nachthimmels. Naturgetreu ist sie aber nicht. So erscheint das Sternbild Delphin auf der falschen Seite der Milchstraße."


    Bild mit markierter Position des Delphins (aus dem FAZ-Artikel):



    Noch ein Link zur Welt:
    http://www.welt.de/data/2006/01/11/829517.html


    Zitat daraus (= halber Artikel [;)]): "Trotz aller Genauigkeit erkennt man heute: Der Mond ist zu groß, die Milchstraße zu breit, die Sternbilder irgendwie verschoben. Streng genommen ist die Milchstraße bei einem so hellen Vollmond gar nicht zu sehen und die Sternbilder sind mehr als ungenau und deshalb schwierig bestimmbar. So sieht es aus, wenn exakte Wissenschaft auf Kunst trifft. Ansonsten kann man wohl davon ausgehen, daß Elsheimer nicht nur am 16. Juni durch ein Fernrohr in den Himmel geschaut hat, sondern auch in den folgenden Nächten, in denen sich der Mond vom Milchstraßenband entfernte und die Sterne wanderten.


    Vielleicht aber auch nicht. Denn Aristoteles kam mit seinen Vorstellungen von der Milchstraße der Wahrheit ziemlich nahe: Im Gegensatz zu Theophrastus hielt er sie keineswegs für die Nahtstelle der beiden Himmelshälften, und er glaubte auch nicht an einen Gürtel komprimierten Feuers wie Diodoros von Cronos. Aristoteles sah die Milchstraße als dichte Ansammlung von großen und kleinen Einzelsternen. Eine solche dichte Ansammlung von 1500 Einzelpunkten hat Adam Elsheimer gemalt."


    Also: Es wird alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird [;)]


    Viele Grüße
    Christian


    <font color="green"><font size="1">FAZ Link gekürzt dargestellt, um scollen zu vermeiden. Stathis</font id="size1"></font id="green">
    <font color="orange"><font size="1">Danke Stathis! Mich nerven überlange Zeilen auch immer, aber ich wusste bis jetzt leider nicht, wie man Links abkürzen kann :-)</font id="size1"></font id="orange">

  • Moin zusammen!


    Eine spannende Geschichte, das finde ich auch. Aber in das Bild wird IMO zu viel hineininterpretiert. Meiner Meinung nach handelt es sich hier eher um die künstlerisch verfremdete Darstellung eines astronomischen Laien. Dimensionen und Positionen stimmen nicht, das wurde hier schon gesagt. Daß die Milchstraße aus Einzelpunkten gemalt ist (oder wie auch immer, ich kann's auf den Bildern im Netz nicht erkennen), ist wohl eher auf die Maltechnik zurückzuführen denn auf gewollte Darstellung der Realität. Um die Sache wird IMO zu viel Wirbel gemacht - es ist zwar ästhetisch schön, aber das war's dann auch. Platt gesagt: Wenn ich ein Blatt vollkleckse, kann man daraus sicher auch Sternbilder "erkennen"... [;)]


    Noch zwei, drei Sachen:
    - Ich schaue mir gerne Darstellungen von Kometen aus früheren Jahrhunderten an. Selbst auf Bildern aus dem 19. Jh. ist häufig nicht zu ermitteln, welche Sterne / Sternbilder neben den Kometen abgebildet sind. Auch diese künstlerischen Darstellungen aus relativ neuer Zeit sind damit nur schön anzuschauen, aber astronomisch falsch.
    - Wenn die damaligen Beobachter angeblich so ein scharfes Auge - und natürlich einen perfekten Himmel ohne Streulicht - hatten, warum sind dann einige Objekte so lange übersehen worden und wurden erst nach Erfindung des Fernrohrs landläufig bekannt? Beispiele: Orionnebel, And-Galaxie, M13, die Lichtwechsel von Algol. Wenn ich damals eine neuentwickelte Sehhilfe in Händen gehabt hatte, wäre mein erster Blick doch dahin gegangen...?! Diese Objekte fallen in dunkler Nacht mit bloßem Auge auf, sogar heute noch.
    - Anscheinend läßt sich die Legende nicht ausrotten, daß Galilei angeblich das Teleskop "erfunden" hat. Er war weder der Erste noch der Einzige, der damals mit einem primitiven Fernrohr beobachtet hat. Auf dem Titelblatt des "Sidereus Nuncius" steht zu lesen: "nuper a se reperti" ("kürzlich von ihm erfunden") - was natürlich so nicht stimmt.

  • eine typische SPIEGEL-geschichte, denke ich. die tun ja jede woche so, als sei gerade das rad neu erfunden worden. tatsächlich sah man damals wohl mehr als heute, sogar in der nähe von städten, wenn auch nicht bei fast-vollmond. daraus auf den gebrauch von fernrohren zu schließen, ist albern, zumal diese damals in amsterdam als spielzeug(!) für kinder verkauft wurden. nicht zuletzt: man muss auch wissen (wollen), was man da betrachtet. alsheimer war sicher fasziniert vom sternenhimmel, mehr aber auch nicht. sonst hätte er das bild vielleicht auch größer gemalt, um aller welt zu zeigen, was er weiß bzw. beobachtet hat.
    cs matthias

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