Liebe Sternfreunde,
oft geht es mir so, dass sich unverhofft eine Gelegenheit zum Beobachten ergibt, ich aber gerade dann immer wieder Argumente finde, warum ich doch die warme Stube nicht verlassen sollte.
Doch ganz anders gestern. Nach Durchzug eines Regengebietes, riss gegen 21:30 die Wolkendecke auf und es sollte gemäß meiner bevorzugten WetterApp für mindestens 1 1/2 Stunden klar bleiben. Klar, Regen vorher spricht für eine sehr hohe Luftfeuchte. Da hätte ich meine Ausrede. Aber gestern nicht, denn ich war doppelt motiviert.
Zum einen war da Normans Aufruf beim Objekt des Monats Oktober, NGC 404 mit Ferngläsern zu sichten, zum anderen wollte ich mein 12x42 Fernglas endlich mal an den Dunkelnebelstrukturen im Sternbild Adler testen. Erfahrungen aus einer Beobachtungsnacht ein Jahr zuvor in der Lieberoser Heide hatten angedeutet, dass das Fernglas einen eingebauten Dunkelnebelverstärker besitzen muss, denn es hatte einige Strukturen besser gezeigt als andere seinerzeit verwendete Ferngläser.
Also los, frisch ans Werk.
Beobachtungsinstrument: FG 12x42 auf Stativ, Unterstützung durch einen LPS (goldwert in dieser Nacht)
Bedingungen: fst 21.0 mag (6.15 mag), Temperatur 10°C, anfangs feucht und windig, später nur noch windig, teilweise bewölkt mit schnell durchziehenden Wolken
Zum Aufwärmen und zur Überbrückung der Zeit bis zur Dunkeladaption:
Den PN Messier 57 habe ich schon oft im Fernglas beobachtet und gleich wiedergefunden. Die 12-fach reichen aus, um den Nebel nicht mehr stellar, sondern schon ein wenig flauschig zu sehen.
Mit im Bildfeld ist Sheliak aka STFA 39 (AB) oder besser gesagt, der westliche untere Parallelogrammstern der Leier, ein einfacher Doppelstern, die B-Komponente steht glasklar südwestlich abgesetzt vom grell strahlenden Hauptstern. Der Halo um Sheliak gibt mir allerdings zu denken, so wird das vermutlich nichts mit einem Versuch bei NGC 404. Ein Schwenk dorthin bestätigt meine Befürchtung, der Stern Mirach verteilt sein Sternenlicht weit ins Umfeld, Halo bis zum Stern HD 6892, der darin fast absäuft. Das wird erstmal nix.
Zurück in die Leier, dort schaue ich mir auch immer wieder Stephenson 1 gern an. Der Rote Riese δ₂ Lyr (nordöstlicher Eckpunkt des Lyra-Parallelogramms) ist zwar nur ein Vordergrundstern, strahlt dafür aber intensiv in einem schönen, grellen Orange. Unmittelbar um diesen Stern gruppieren sich fünf sehr schwache Sterne, in der breiter Periphere einige hellere Mitglieder. Direkt besehen wirkt die Stelle unauffällig, indirekt besehen ist dann eine höhere Sternkonzentration im Vergleich zum Umfeld erkennbar.
Gerade ziehen Wolken im Westen durch, als Schwenk auf Jupiter. Boah, ist der gleißend hell, nicht gut, aber der Anblick ist faszinierend, aktuell sind drei Monde zu erkennen, einer versteckt sich hartnäckig.
Der Seitenblick war nicht gut für die Dunkeladaption. Was solls, gerade ziehen massiv Wolken durch und nichts geht mehr. Im Westen, Norden und Osten sind die Wolken tiefschwarz, ein gutes Zeichen dass in diese Richtungen kaum Lichtquellen den Himmel aufhellen können.
Ich mache eine Pause, setze mich und genieße die Stille. Etwas feuchtes streift meine Hand. Danke Wanda! Die Hündin hat sich zu mir gesellt, mir ein Zeichen gegeben, das sie ab jetzt auf mich aufpasst, Wache hält. Beruhigend. Schlecht nur für meine Katze, die sonst immer dabei ist, sich aber bei Anwesenheit von Wanda nicht dazutraut .
Früher war ich immer ein wenig wie ein Getriebener, wollte möglichst viel in einer Nacht sehen. Jetzt ist das anders, ich kann die Nächte viel mehr genießen. Der Wind bläst nun kräftiger, mir ist in meiner Michelinjacke trotzdem recht warm und der Westwind sehr angenehm.
Bald zeigen sich wieder erste Wolkenlücken im Westen. Jetzt aber auf zum eigentlichen Programm - DUNKELNEBEL. Das Sternbild Adler hat sich inzwischen raus aus der südlichen Lichtglocke in den dunkleren Südwesten geschoben.
Hier ein kurzer Überblick über die beobachtete Region:
Erste Heldenpflicht ist natürlich Barnards E. Das C (Barnard 143) wirkt wie dick ein Halbmondbogen, ein wenig fehlen dem Nebel heute aber die Konturen. Auch Barnard 142, der E-Strich unterhalb des C ist sehr einfach und deutlich, aber nicht ganz so prägnant wie das C.
Ich beginne herumzurühren auf der Suche nach weiteren Strukturen, komme dabei nicht weit, südwestlich unterhalb des E´s gibt es einige schwächere aber auch breitere Dunkelstrukturen, die wie eine schwache Fortsetzung wirken. Mehrere Dunkelbögen und -linien mäandern durch die Milchstraßenwolke. Die größte Abgrenzung zum Sternumfeld ist im Südwesten dieses Komplexes ein wenig nach Westen gewölbt erkennbar. Ein Blick in den Atlas offenbart LDN 688. Dort feiner eingezeichnet, als ich es gerade eben wahrgenommen habe. Aber das ist ok, gerade bei Dunkelnebeln habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Sichtungen mitunter weit von den eingezeichneten Formen abweichen können.
LDN 688 ist lange nicht so auffällig dunkel und abgegrenzt wie das E, aber nicht wirklich schwer sichtbar. Ich versuche, die drei Nebelkomplexe Barnards E & LDN 688 im Gesamten zu erfassen. Tatsächlich ergibt sich der Eindruck, dass das E einen schwachen, schiefen Sockel hat. Genial. Ich habe Barnards E schon so oft mit Ferngläsern beobachtet, LDN 688 ist mir noch nie auffallen. Und vermutlich auch nicht allen Beobachtern bei DeepSkyLog.org. Dort durfte ich heute meine Beobachtung als Erstbeobachtung eintragen
Wieder Wolken, aber NGC 404 - Mirachs Geist im Sternbild Andromeda ist jetzt frei. Der Stern Mirach zeigt nur einen kleinen Halo, juhu. Geht doch. HD 6892 ist gut zu erkennen, also wirklich gute Bedingungen. insgesamt dreimal habe ich den Eindruck, an der richtigen Stelle eine schwache, kompakte Aufhellung aufblitzen zu sehen. Dabei habe ich immer das Gefühl, dass der Blick in gewisser Weise einrasten muss, besser kann ich es nicht beschreiben. Die Sichtung ließ sich aber nicht mehr als die dreimal wiederholen und ist deshalb seeeeeeehr unsicher.
Puh, jetzt brauche ich etwas, was sich auf Anhieb in die Netzhaut brennt. Das Sternbild Fuhrmann steht schön frei im Osten. Ein Schwenk hinein ins Glück ...
... zur Winkekatze! Ja, ihr habt richtig gelesen. Nicht die Grinsekatze ... na, doch schon ... aber die kann auch winken, seht selbst:
Gelb markiert ist die Grinsekatze, ein Sternmuster, das erstmals 2002 von Ben Cacace als Cheshire-Cat beschrieben wurde.
Weiß markiert sind die Pfötchen Messier 38 und IC 410, der Nebel ist im Fernglas natürlich nur ein weißgrauer, diffuser, nebliger Schimmer.
IC 410 ist wirklich sehr einfach im Fernglas zu sehen, auch ohne Filter! Und das, obwohl dieser Emissionsnebel mit 15.000 Lichtjahren Entfernung rund 10x weiter entfernt zu uns steht, als der westlich benachbarte Emissionsnebel IC 405.
Das also ist die Winkekatze. Wer hats erfunden? Der Norman beim HTT. Wirklich eindrucksvoll, probiert es gerne einmal selbst aus.
So, noch ein schneller und ungetrübter Blick auf den Perseus-Bewegungshaufen Melotte 20, einfach nur grandios. Am schönsten sicherlich in einem kleineren Ferngas mit größerm Gesichtsfeld, aber in diesem 12x42 glitzern die hellsten Sterne einfach nur wie Diamanten ohne Fehl und Tadel. Heute bilde ich mir zunächst ein, eine pyramidenförmige Anordnung bei den hellsten Sternen erkennen zu wollen, aber sobald ich das Fernglas bewege, ändern sich die Formen und Muster.
Auch sehr auffällig zeigt sich der Sternhaufen NGC 1528, gut 8° östlich von Melotte 20. Ein Hingucker in jedem Fernglas.
So, der Westen ist wieder frei, es geht wirklich hin und her.
Schnell zurück ins Sternbild Adler (siehe wieder das Übersichtsbild oben). Ich starte wieder bei Barnards E, ziehe die Kreise mit dem Fernglas jetzt weiter.
Als nächstes bleibe ich am Dunkelnebelkomplex um B 334, 336 und 337 hängen. Hier ist ganz eindeutig eine Ost-West verlaufende Verdunklung innerhalb der Milchstraße zu erkennen, die sich nördlich und westlich um einen hellen Stern windet, das ist Barnard 337. B 334 und 336 sind so klein bzw. so mit B 337 verwoben, dass eine getrennte Sichtung vermutlich nicht möglich ist. B 337 steht ab 8" im isDSA. Auf die mindestöffnungsangaben für Dunkelnebel gebe ich nicht mehr viel. Einfach alles ist möglich. Probieren geht hier über Studieren.
Ich schwenke hoch, will noch einmal schauen, ob ich LDN 720 erahnen könnte, doch schon ziehen wieder etwas dichtere Wolken über den westlichen Himmel. Schade, denn ich hätte gern auch noch Barnard 340 probiert. In Teleskopen beeindruckend, in Ferngläsern war hier bislang nix zu holen.
Noch ein letzter Schwenk zu den Plejaden Messier 45. Heute kommt mir beim Anblick der hellsten Sterne eine nach Südwesten schauende Büste mit einem kahlen Schädel in den Sinn, Allys Zopf flattert wie eine freche Zunge. Junge, Junge, manchmal geht echt die Phantasie mit mir durch . Bei Teleskoptreffen sorgt das aber meist für einige Lacher und viel Heiterkeit...
Dann ist der Himmel wieder komplett zugezogen.
Gut 1,5 Stunden sind vergangen. Einige schöne und interessante Erkenntnisse nehme ich aus dieser Nacht mit. Unter anderem die, dass es sich (fast) immer lohnt, unverhofft einen Schritt nach draußen zu wagen.
Viele Grüße
Rene