Meine liebe Leserschaft,
über eineinhalb Jahre lang habe ich auf diesen Urlaub gewartet! Mein Mann hat im Winter 2020/2021 heimlich das Sommerreiseziel für die Familie ausgesucht. Seine Kriterien waren: genialer Astrohimmel, Platz für Kinder, Hund und uns, Meer in Laufweite und Einöde. Seine Wahl fiel auf den südöstlichsten Zipfel der Insel Møn in Dänemark. Dort gibt es quasi keine Menschen mehr, stattdessen Natur pur, dunkelster Himmel und einen riesengroßen Garten, in dem ein Zehnzöller bestimmt ein Plätzchen finden würde. Hundebabybedingt mussten wir die Reise für Sommer 2021 absagen und um ein Jahr verschieben. Also war es jetzt Ende August endlich soweit!
Ich spanne euch nicht länger auf die Folter und haue eine Kurzfassung raus:
-> 18 Tage menschenleere Ödnis und fast 360° Horizontsicht von Nordosten über Süden bis Nordwesten (nur das Haus ist logischerweise im Weg)
-> 9 Nächte intensiv beobachtet
-> von beginnender Abenddämmerung um 21.30 Uhr bis zur beginnenden Morgendämmerung um 4.40 Uhr alle Uhrzeiten ausprobiert
-> Obacht: 110 dokumentierte Beobachtungen
-> Doppel-Obacht: 16 Zeichnungen
Ich brauche jetzt nicht anzufangen und von einzelnen Objekten zu erzählen, dann würde ich hier nicht mehr fertig werden und euch fertig machen
Meine absoluten Highlights unter Bortle-2-Himmel für euch aufgelistet:
-> Die Dämmerung ist jetzt erstmal nicht großartig anders als auf der Schwäbischen Alb, also sitze ich geduldig und schwenke mit dem Fernglas. Die Milchstraße beginnt, sich abzuzeichnen. Gegen 22.30 Uhr ist es zappenduster, die Beobachtungen können beginnen und ich bin absolut fasziniert davon, wie unfassbar viele neblige Flecken und Gebiete es in der Milchstraße gibt. Dabei fällt mir auf, dass ebendiese am Horizont im Nordosten beginnt, wo Perseus die ersten Fühler über den Horizont streckt, oben im Schwan ist sie seeehr breit, überall Funkelflecken, am Südwesthorizont ist sie immer noch da, die Milchstraße, bis sie im Meer versinkt. Aaaaaaalter! So habe ich sie noch nie zuvor gesehen!
-> Wie selbstverständlich leuchten die Sterne übrigens auch bis zum Horizont herunter, die Sicht wird durch nichts getrübt. Sowieso besteht hier oben am Himmel alles gefühlt nur aus „Nebel“: große Nebelbereiche, kleine Nebeltuffs, mittelgroße Nebelflecken. Sterne über Sterne und kleine Häuflein, die eigentlich riesige Sternhaufen sind. All das mit freiem Auge.
Das Perseus Moving Cluster ist ein gigantischer, glitzernder Nebelfleck, h und χ sind da, die krasse Zweiteilung beim Schwan, alle Wölkchen drüben im Adler, Scutum und darunter. Es ist eine Augenweide, wie ich sie mir niemals zu sehen erträumt hätte! An den ersten Abenden überfordert mich der Zehnzöller, da ist einfach zu viel von allem im Okular, also greife ich in der ersten Stunde zum 8x30 und grase alles ab. Da sind alle bekannten Sternhaufen, da sind M 37, M 36 und M 38 zusammen im Bild, M 31 mit M 32 und M 110, der Nordamerikanebel, der Wildentenhaufen, M 22, M 25, die Scutum-Sternwolke, alles so krass hell und deutlich, es macht SOLCHEN SPAß! Einfach unfassbar schön.
-> Dass die Milchstraße wie selbstverständlich vom Nordost-Horizont bis zum Südwest-Horizont reicht, lässt mich Gänsehaut bekommen. Der Bogen, den sie über mir am Himmel schlägt, zeigt so eine unfassbare Dreidimensionalität, dass es in mir das Gefühl erweckt, von dem Milchstraßenarm umarmt zu werden. Zwischen mir und diesem silbern glitzernden Band ist Weltall und dort oben geht unsere Heimatgalaxie mit unzähligen Sternen weiter. Am liebsten wandere ich nach jeder Beobachtungsnacht 50 Meter Richtung Meer, lege mich mitten auf das Gras ins schwarze Nichts und starre einfach nur nach oben. Beseelt gehe ich dann schlafen.
-> Ein ganz großes Highlight kommt fast jeden Morgen bei der Nachbereitung: Ich trage meine Beobachtungen in die Excelliste ein und sehe, ob und wann ich die Objekte schon einmal gesichtet habe. Da sind einige dabei, die ich schon einmal gesichtet habe und einige, deren Sichtung mir nicht gelungen war. Während ich also mein Diktiergerät abhöre, stelle ich den oft verblüffenden Unterschied zu den alten Beobachtungen fest: Objekte, die gar nicht gingen, sind mühelos und auffällig hell mit Details zu sehen (z.B. NGC 890 und 891). Objekte, die mäßig spannend, schwach oder an der Wahrnehmungsgrenze waren, sind nun faszinierend mit vielen Details beobachtet worden. Objekte, die ich schon schön gesichtet habe, sind mir in der vergangenen Nacht unfassbar schön vorgekommen. Ein Beispiel: bei h und χ bin ich schier blind geworden beim Blick ins Okular, so abartig hell und übersät mit Sternen habe ich den Doppelhaufen noch nie gesehen. Ein Riesending, wirklich, und er ist ja sonst auch spektakulär. Oder meine Lieblingsgalaxie Andromeda: Sprengt das Gesichtsfeld und es sind leichte Strukturen im 8x30 zu erkennen. M 110, von meinem Stuttgarter Garten aus nicht zu sehen. Im Urlaub blendet mich der Galaxiengroßfleck durchs Fernglas beinahe, so hell prangt er mir entgegen.
Ich habe insgesamt 16 Zeichnungen angefertigt, die ich euch gerne allesamt inklusive Beobachtungsnotizen im O-Ton präsentiere, wenn ihr mögt Hände hoch, dann digitalisiere ich morgen bei Helligkeit alles
Insgesamt kann ich berichten, dass sich 9 von 18 Nächten ja beinahe wenig anhört, ich habe aber jede vernünftige Nacht genutzt und saß jeweils 3-4 Stunden lang draußen. Gegen Urlaubsende bekam ich Torschlusspanik, weil ich noch einige Objekte auf der Wunschliste und Sorge hatte, dass mir der zunehmende Mond oder die stürmischen Böen die Beobachtung sabotieren würden. Schlussendlich habe ich aber alles gesichtet, was ich mir gewünscht hatte und am letzten Urlaubsabend konnte ich mit einer selten erlebten, inneren Zufriedenheit sagen, dass ich nun abreisen kann. Kennt ihr dieses seltene Gefühl, wenn ihr nicht mehr nach mehr giert und euch auf eine ganz wunderbar entspannende und zufriedene Weise gesättigt fühlt? Überhaupt konnte ich die Insel ohne einen traurigen Blick zurück verlassen, denn die drei Wochen in der menschenleeren Einsamkeit dort haben mir alles gegeben, was ich gebraucht habe.
Fröhliche Grüße von eurer
Sarah