Abkühlung unter Umgebungstemperatur ?

  • Wenn ich mich recht erinnere, dann vereisen bzw. beschlagen z.B. Fangspiegel oder Telradsucher bzw. Rigel-Quickfinder, weil durch die Wärmeabstrahlung nach oben die jeweiligen Objekte auch unter die Umgebungstemperatur abkühlen können. Ein Bekannter von mir meint nun, es gäbe nur Temperaturausgleich zwischen unterschiedlich warmen Dingen und die Objekte könnten deswegen niemals unter die Umgebungstemperatur (z.B. der Luft) abkühlen.


    Wer hat da Recht. Und wenn, dann nach welchem physikalischem Prinzip kann sich eine Abkühlung auch unter Umgebungstemperatur ergeben.


    Ich bitte um Erklärung.

  • Hallo Stephan,


    es geht dabei nicht um Temperaturausgleich des Fangspiegels oder Telrads mit der Umgebungsluft. Viel mehr geht es um Temperaturausgleich mit dem Weltraum bzw. oberen Atmosphäre. Falls du mal Gelegenheit hast ein Infrarot-Thermometer in Richtung des klaren (Nacht-)Himmel zu halten, zieht das -30C und noch kälter an,


    Absinken auf Umgebungstemperatur ist auch okay, erst beim Absinken auf taupunkt wird’s kritisch bzw. beschlägt. Das geht aufgrund der Kälte des Nachthimmels schnell.


    Grüße,
    Alex


    p.s. zugefrorene Frontscheibe ist der gleiche Hintergrund

  • Stephan,
    es gibt im Wesentlichen drei Arten des Wärmetransports.


    a) Strahlung
    In den klaren Himmel kommt davon fast nichts zurück und der abstrahlende Körper verliert so Wärme.
    Nach unten nimmt er im Grunde so viel Strahlung vom Boden auf, wie er selbst auch abgibt. Es gibt da eine Formel, die in 4. Potenz mit der Temperatur in Kelvin arbeitet (Stefan-Boltzmann-Gesetz). Daran siehst du aber auch, dass der Wärmetransport durch Strahlung in einem 270° Backofen (= doppelte Kelvintemperatur gegenüber 0°) 2*2*2*2 = 16-fach stärker wird und deshalb den Wärmetransport faktisch dominiert.


    b) Konduktion mit der Luft.
    Ohne Luftbewegung von außen bildet die Luft an Körpern, deren Temperatur abweicht, gleichzeitig eine isoliserende Schicht mit nur minimaler Luftbwegung. Kalte Luft ist schwerer als warme, dadurch entsteht immer ein kleine Bewegung, es sei denn die sammelt sich wie in einem See. Der Wärmetransport ist näherungsweise ein Produkt aus Luftmenge, die je Zeiteinheit vorbeistreicht * Temperaturdifferenz * Fläche * spez. Materialkonstante (Materialkombination). (Im Unterschied zur Wärmestrahlung gilt hier nur ein linearer Zusammenhang mit der Temperaturdifferenz, sprich im Backofen von oben verdoppelt sich hier der Wärmetransport nur.)


    c) via Kondensation und Verdunstung von Wasser (bzw. Vereisung bei 0°C)
    Wasserdampf speichert viel Energie, die beim Kondensieren freigegeben wird. An der Menge an Feuchtigkeit auf dem Teleskop kannst du bei Taubeschlag eine Vorstellung bekommen, welche Energiemengen da freigesetzt werden und trotzdem nicht reichen, das Teleskop zu erwärmen. (Stell Dir vor, du müsstest die Menge mit einem Wasserkocher 'wegkochen'.) Im Ergebnis puffert das Beschlagen mit Tau/Raureif die Abkühlung.
    Man betrachtet dies immer als unerwünschte Folge, genaugenommen ist es aber auch Bestandteil des Systems des Wärmetransport.

  • Danke für die Erklärungen.


    Nachfrage: hab ich das jetzt richtig verstanden, dass durch die Abstrahlung der Wärme gegen den sehr kalten klaren Himmel eben doch eine Abkühlung unter die Umgebungstemperatur der Luft möglich ist ?


    Die Konduktion (b) und Wärme-Freisetzung durch Kondensation und Verdunstung (c) verhindern nur, dass das Teleskop (Sucher, Autoscheibe...) durch Abstrahlung (a) gegen den sehr kalten klaren Himmel noch viel mehr unter Umgebungstemperatur abgekühlt wird ?


    [?]


    Danke [8D]

  • Hallo Stephan!


    <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote"><i>Original erstellt von: StephanPsy</i>
    <br />
    Nachfrage: hab ich das jetzt richtig verstanden, dass durch die Abstrahlung der Wärme gegen den sehr kalten klaren Himmel eben doch eine Abkühlung unter die Umgebungstemperatur der Luft möglich ist ?


    Die Konduktion (b) und Wärme-Freisetzung durch Kondensation und Verdunstung (c) verhindern nur, dass das Teleskop (Sucher, Autoscheibe...) durch Abstrahlung (a) gegen den sehr kalten klaren Himmel noch viel mehr unter Umgebungstemperatur abgekühlt wird ?
    <hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">


    Ja, Stephan. Genau so ist es. Einziger kleiner Fehler: Der zweite Mechanismus heißt Konvektion, nicht Konduktion.


    Wärme wird immer von "warm auf kalt" übertragen. In deinem Fall wird über Strahlung Wärme vom Teleskop in Richtung Weltraum transportiert. Da die Luft wärmer ist als das Teleskop wird über Konvektion wieder Wärme von der Luft auf das Teleskop übertragen.


    Es sind also zwei gegenläufige Prozesse. Ohne Konvektion würde das Teleskop noch wesentlich stärker auskühlen.


    Viele Grüße
    Wolfgang


    P.S.: Ist übrigens u.a. mein Job solche Vorgänge zu berechnen.

  • Hi die Runde,


    wieder was gelernt:-). Daher hilft dann also eine leichte Zwangsbelüftung (saugend), dass der HS nicht zu stark abkühlt um zu beschlagen. Die Wärmenachlieferung an den HS (der ja Wärme abstrahlt) erfolgt durch Zwangskonvektion statt durch Kondensation...


    Und daher beschlägt (oder frostet) das Autodach immer als erstes, wenn ich auf dem Feld bin (Frühindikator).


    Danke für die Erklärungen auch von mir.


    CS,
    Walter

  • Wolfgang,
    Konvektion ist, wenn das Medium sich sichtbar bewegt (Gase und Flüssigkeiten dadurch Wärme transportieren).
    Konduktion, wenn sie "steht", die Wärme sich diffussionsartig ausbreitet. Konduktion beschreibt auch die Wärmeleitung in Festkörpern (von gut wie bei Kupfer bis isolierend wie bei einer Isomatte). Für den Wärmeübergang eines Festkörpers auf Luft bzw. umgekehrt wird immer die Konduktion zuständig sein, die Konvektion sorgt dann für den Weitertransport innerhalb der Luft, wenn sie sich bewegt.

  • <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote"><i>Original erstellt von: stardust3</i>
    <br />Daher hilft dann also eine leichte Zwangsbelüftung (saugend), dass der HS nicht zu stark abkühlt um zu beschlagen.
    <hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">
    Genau so ist es. Der Hauptspiegel beschlägt aber nachts gar nicht sooo einfach. Es gilt nämlich:
    Reflexionsgrad + Emissionsgrad = 1


    Der Reflexionsgrad des Spiegels ist durch die Aluschicht auch im hier relevanten infraroten Bereich recht hoch (ca. 90%), sodass sein Emissionsgrad gering ist (ca. 10%). Der Hauptspiegel emittiert zum Himmel somit recht wenig, während seine (nicht verspiegelte) Rückseite vom verhältnismäßig warmen Boden und Tubusteilen gut bestrahlt wird.
    Ein unverspiegelter Hauptspiegel beschlägt viel schneller. Das habe ich selbst schon beobachtet.


    Hinzu kommt noch, dass der Tubus wie eine Taukappe wirkt und den Spiegel vor zu viel Abstrahlung abschirmt. Das gilt selbst noch bei einem offenen Gitterrohr- Tubus im recht hohen Maße, da er in seiner Spiegelbox sitzt.


    Anders der Fangspiegel: Dieser sitzt weit oben und "sieht" sehr viel freien Himmel, seine Halterung hat Richtung Himmel einen sehr hohen Emissionsgrad von ca. 95% (fast wie ein perfekt schwarzer Strahler). Somit kühlt Spinne und Fangspiegelhalter in der klaren Nacht ordentlich unter der Umgebungstemperatur und kühlen ihrerseits den Fangspiegel. Ist es relativ feucht, wird auch der Taupunkt unterschritten und der Fangspiegel beschlägt.
    Abhilfe: Zwangsbelüftung, verlängern des Tubus, einwickeln mit Alufolie, oder heizen. Letzteses ist wohl die einfachste und effektivste Lösung. Selbiges gilt auch für die Korrektorplatte von Schmidt Cassegrains oder Maks.


    <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote">Und daher beschlägt (oder frostet) das Autodach immer als erstes, wenn ich auf dem Feld bin (Frühindikator).<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">
    Ja, genau!
    Die seitlichen Autoscheiben Richtung offenem Gelände beschlagen auch viel eher, als die, die zur Hauswand schauen. Kann ich jeden kalten klaren Morgen bei mir vor der Haustür beobachten.

  • <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote"><i>Original erstellt von: StephanPsy</i>
    <br />nach welchem physikalischem Prinzip kann sich eine Abkühlung auch unter Umgebungstemperatur ergeben.<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">
    Hallo Stephan,


    da du ja bekennender Griechenland reisender, bist hier noch ein Beispiel, das die Verdunstungswärme ausnutzt:


    Die alten Griechen bewahrten Wasser in tönernen Krügen auf und stellten diese in den trockenen mediterranen Wind. Das Wasser benetzt den porösen Ton, verdunstet an der Oberfläche und gibt die Verdunstungswärme an die Luft ab. Der Kruginhalt kühlt deutlich unter Umgebungstemperatur ab. Je stärker der Wind und trockener die Luft, um so größer ist der Effekt.


    Somit waren die alten Griechen die Erfinder des Kühlschrankes. Fast 2.000 Jahre später sollte ein Deutscher den heutigen modernen Kühlschrank zur Marktreife bringen: Die Kompressions- Kältemaschine nach Carl von Linde., natürlich um des Deutschen liebstes Getränk zu kühlen: Bier


    Ich finde, der wirkliche Ruhm gehört der Natur: Der Mensch schwitzt, der Hund hächelt. Die im Schweiß enthaltenen Salze verstärken den Effekt - echt clever!

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