I: Im Doppelpack: Wer überprüft die Prüfer
Die gründliche Aufarbeitung von gestellten Themen kommt der Dynamik wegen, die z.B. der
"Gurken-Schutz-Thread" auf Astronomie.de genommen hat, einfach zu kurz. Ich will daher,
wie ich das schon früher bei anderen Themen gemacht habe, einzelne Aspekte des sich
auffächernden Themenbaumes etwas detaillierter mit praktischen Beispielen unterfüttern,
bzw. beantworten. Da mir AstroTreff mit seinem Archiv viel Platz zur Verfügung stellt, mein
reichhaltiges Bildmaterial aus den täglichen Messungen zu "bunkern", kann ich deshalb
die aufgeworfenen Probleme mit einem zeitlichen Versatz und in aller Ruhe von meiner
Seite her darstellen und die Interessierten zu einer entspannten Diskussion einladen, egal
ob sie nun auf astronomie.de oder AstroTreff.e weitergeführt werden sollte.
Ausgangspunkt der "Gurken-Schutz-Diskussion" war die preisliche Auflistung dreier
Teleskop-Tests mit der Frage nach der Verläßlichkeit bzw. Aussagekraft dieser Tests.
Im weiteren Verlauf wollte ein Beitrag wissen, wer für die Glaubwürdigkeit der Prüfer gerade-
steht, d.h. ob es ein "Eichamt" für Certifikate gibt. Nachdem die "normalen" Telekope ohne
Certifikat verkauft werden und es für die qualitativ hochwertigen und teuren Optiken nicht
immer ein Certifikat gibt, ist diese Frage durchaus berechtigt. Dabei darf man aber nicht
vergessen, daß es sich hier nicht um nationale Dienstleistungen bei einem Certifikat handelt, dessen Aussehen und Form man mit einem Reglement steuern könnte. Trotz der
in der Industrie benutzen Meßeinrichtungen fallen die Certifikate von Produkten aus
Rußland, Taiwan, China, USA, England auch vom Certifikat her höchst unterschiedlich aus.
Allein dieser Umstand nährt in der "deutschen Seele" erhebliches Mißtrauen, ob da alles
mit rechten Dingen zugeht. Und weil das öffentliche Interesse, anders als bei lebenswichti-
geren Bereichen, in unserem Falle sehr gering ausfällt, kann man das Certifikat des
einen Prüfers nur einem anderen in die Hand drücken, um sein Ergebnis zu erfragen.
Und wenn dann ein solcher Prüfer auch noch aus dem Amateur-Bereich kommt, weil die
Überprüfung von Optiken sonst nicht bezahlbar wäre für den "normalen" Sternfreund, dann
hat er als erstes ein Legitimations-Problem, und das nicht erst seit heute. Man fragt ihn zu
Recht, ob seine Meßergebnisse denn überhaupt stimmen? Und weil ihn diese Frage
selbst von Anfang an umtreibt, will der private Prüfer, also ich selbst am allermeisten wissen,
wie genau sein Equippement den funktioniert, wie genau seine Zusatz-Optiken sind etc.
(Daraus entstehen einschlägige Kontakte zur Industrie, denn von irgendwoher muß ja
das Wissen und die Kenntnis der meßtechnischen Probleme her kommen.)
Diese Frage kochte zum letzten Male vor ca. 6 Monaten hoch, als ich dem französichen
Optik-Papst seinen Spiegel von Lambda/40 PV auf L/4 PV herunter-prüfte. Deshalb habe ich
immer wieder meine eigene Meßgenauigkeit überprüft und stelle mit nachfolgendem
Beispiel erneut meine Behauptung unter Beweis: Die Prüfer werden von den Prüfern selbst
überprüft. Im folgenden Beispiel geht es um das Certifikat eines TMP-APO 100/800, dessen
Überprüfung ich mit meiner Einrichtung vorgenommen habe mit nahezu den gleichen
Ergebnissen.
(Für astronomie.de-Leser: Eine Fortsetzung findet man bei http://www.astrotreff.de/user/scripts/postings-rohr.asp oder auf AstroTreff )
01 TMP 100/800 Triplet-Apochromat
01 Während beim Sterntest auf einfachen Durchgang, eben gegen einen Stern, geprüft wird,
entstehen die genaueren Tests immer in Autokollimation gegen einen bekannt genauen
Planspiegel, in meinem Falle absichtsvoll von Zeiss, weil mir solche Fragen nicht zum
ersten Male gestellt worden sind. Leider registrieren die Frager selten, daß man sich bereits
"hundertausendmal" gerechtfertigt hat, man das sogar auf einschlägigen Webseiten nach-
lesen kann - es nützt nichts. Das soll heißen: Bei meinen Messungen verwende ich nur
"Butter" und "allererste Sahne", spricht ZEISS-Spiegel.
02 Die 3-D-Darstellung und der Öffnungsfehler
02 Über ein Interferogramm bekommt man ein Streifenbild, dessen Abweichungen man wie
die Höhenlinien einer Landschaft auffassen kann. Obwohl es beim Phasenshift-Interfero-
meter noch etwas anders funktioniert, läßt sich aber im konkreten Beispiel - auf einen
Spiegel übertragen - sagen, daß die bilderzeugende Wellenfront-Fläche in der Mitte etwas
tiefer liegt, dann in einen Ringwall übergeht, um am Rand wieder leicht abzusinken. Soweit
die grobe Beschreibung der 3-D-Darstellung. Man beachte bitte, daß das Certifikat eine
Serien-Nummer enthält, für die Zweifler unter uns! Bei einem Intes-Spiegel-Certifikat
fehlte eine solche Nummer, trotzdem entsprachen sich auch dort die beiden Meßergeb-
nisse.
03 Ein Interferogramm fehlt leider
03 dafür sieht man aber den Testaufbau in einer Schema-Zeichnung und die zur Optik
gehörenden Meßwerte. Wichtig dabei ist die Angabe der Wellenlänge, hier 532 nm
Würde man bei 632.8 nm messen käme aus zwei Gründen ein anderes Ergebnis heraus:
Die längere Wellenlänge macht das Ergebnis "genauer", in ihr steckt der Gauß-Fehler,
also der farb-abhängige Öffnungsfehler drin, weil besonders bei Achromaten aber auch
Apochromaten nicht jede Wellenlänge den gleichen Öffnungsfehler hat, wäre natürlich
schön, iss aber nicht immer so. Vom Farblängsfehler noch gar nicht geredet, der für die
Farbsäume bei manchen Teleskopen zuständig ist.
04 Überprüfung des Prüfers
04 Hier werde eigentlich ich überprüft - weil ich davon ausgehe, daß die Meßeinrichtung
eines namhaften APO-Herstellers stimmen sollte. Und nachdem ich diesen Test bereits
mit unterschiedlichen Certifikaten selbst durchführte, kenne ich mittlerweile meine eigene
Genauigkeit. Der Strehlwert stimmt mit einer Differenz von 1 Promille. Der RMS-Wert eben- falls mit einer Differenz von 1 Promille. Lediglich der PV-Wert fällt bei mir genauer aus.
Warum? Hätte ich vom russischen Hersteller ein Interferogramm, könnte ich die Sache noch
genauer erklären, so bin ich auf das Interferogramm angewiesen, das ich selbst erzeugt
habe bei dieser Optik. Unabhängig davon sieht man eine schöne Entsprechung der beiden
3-D-Darstellungen, also die des russischen Herstellers, und die meines Auswert-Pro- grammes. Also "Mulde" in der Mitte, "Ringwall" und tieferliegender Randbereich.
05 Überdimensionierte Darstellung
05 Hätte das Interferogramm ansteigende Streifenabstände, käme ein Koma-Effekt zum
Tragen: Also die Streifenabstände sind gleich ledigliche eine geringfügige A-Symmetrie
zwischen linker und rechter Hälfte kann man bei genauer Betrachtung erkennen. Höchst-
wahrscheinlich ein Zentrierfehler, möglicherweise auch ein Justierfehler in der Test-
anordnung, obwohl ich sorgfältig am künstlichen Stern mit Höchstvergrößerung von
640-fach justiert habe. Erkennbar wieder die "Mulde" in der Mitte. Der mittlere Streifen zeigt
von 12.00 Uhr her gesehen das Profil der Wellenfront. Also erkennt man auch den flachen
"Wall" und den tiefer liegenden Rand. Nur bei einem Takahashi habe ich noch perfektere
Flächen gesehen. Dieses Interferogramm wird nun zur Auswertung benutzt. Und über
dieses Interferogramm ermittle ich in meinem Fall einen PV-Wert von L/9 wave, während das
russ. Certifikat auf einen Wert von knapp L/6 PV wave kommt. Es könnte auch beim Herstel- ler ein Justierfehler sein, vielleicht ein kontrast-reicheres Interferogramm, vielleicht auch
die Differenz zwischen meiner Meßgenauigkeit und der des Herstellers. Im Fall des INTES-
Newton-Spiegel lag ich mit einem Prozent-Punkt schlechter beim Strehl, in diesem Fall
entspricht sich der Strehl und lediglich der PV-Wert fällt bei mir besser aus. Was es auch ist,
daß die isolierte Betrachtung des Strehls in diesem Fall sogar unsinnig sein kann, will ich
im zweiten Laborbericht erklären.
06 Der Bath-Interferometer
06 Meine Webseiten enthalten auch eine detaillierte Funktions-Beschreibung des vom
Sternfreund Karl-Ludwig Bath, Emmendingen, vor über 20 Jahren entwickelten Interfero-
meter. Der Vorteil dieses Interferometers liegt darin, daß er sogar mit Weißlicht funktioniert.
Das ist besonders bei den Refraktoren wichtig, wo man durch die einzelnen Wellenlängen
hindurch die Genauigkeit wissen möchte. Eine kontrastreiche Abbildung der Interfero-
gramme ist jedoch von Feinheiten der jeweiligen Bauteile abhängig, sodaß man nicht
frustriert sein sollte, wenn ein Nachbau nicht sofort gelingt.
Wenn man also die Frage stellt, wer überprüft die Prüfer, dann sollte man von der alten
deutschen Tugend ausgehen, daß der Prüfer sich selbst gegenüber wohl am kritischten
ist und über seine eigenen Messungen ganz genau Bescheid weiß, zumal er absichtsvoll
jahrelang Kontakte zu Fachleuten aus der Industrie pflegt.
Wer darüber hinaus sich das noch genauer anschauen will, wurde und wird von mir immer
wieder eingeladen, sich selbst in meinem "Labor" ein Bild zu machen, auch deswegen, weil
ich gerne selbst etwas dazulernen möchte, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Aber die
kenne ich leider schon alle, von denen ich was dazugelernt habe.
Soviel zum Teil 1, "Wer überprüft die Prüfer?"
Wolfgang Rohr