Elfter Laborbericht: Ungenaue Fangspiegel-Justage beim Newton
Wenn man es in der Praxis nicht erleben würde, würde man es als Optiker gar nicht glauben wollen.
Ganze Strehl-Schlachten haben sich die Zeitgenossen schon auf Astronomie-Boards geleistet mit
einem Inbrunst an Überzeugungs-Kraft, daß es einen schaudert. Newton-Spiegel werden nur unter
der Bedingung gekauft, daß der Strehl mindestens 0.95 beträgt. Daß die Flächenglattheit ebenfalls
ein Strehl-Faktor sein könnte, setzt sich erst allmählich in den Köpfen fest. Da geht es dann um die
10.000 Meßpunkte, die ein ZYGO oder WYKO Phasenshift-Interferometer beim Meßvorgang aus-
spielt, aber keiner sagt, daß das lediglich wie bei einer normalen CCD-Camera die Pixel sind, die
das wie immer geartete Interferometer-Bild erfassen und auswerten. Die Topografie erfassen sie
damit genau, die Feinstruktur der Fläche jedenfalls nicht - sonst müßte man sich ja mit ihr nicht
gesondert beschäftigen.
Erstaunt war ich, als ich in Südfrankreich zum ersten Male erlebte, wie ein junger Astronom,
Terrence mit Namen, voller Überzeugung jeden Justierlaser ablehnte, und erklärte, das ginge am
Stern sehr gut, solche Geräte brauche er nicht. Zunächst ließ ich es gut sein, und beschloß,
darüber ein wenig nachzudenken, nachdem es so gar nicht meine Erfahrung aus der Labor-Messung
war, die immerhin eines immer ganz deutlich zeigt, wie empfindlich ein Newton bei Dejustierung
mit Koma reagiert. Wäre nicht anschließend in Pfünz/Eichstätt beim BTM derselbe Vorgang zu
beobachten gewesen, hätte ich das Beispiel in Südfrankreich wohl wieder vergessen. Mehr noch, da
zettelte sich auf dem Astro-Board erneut eine Diskussion darüber an, daß man die Fangspiegel-
Justage gar nicht so wichtig nehmen müsse . . .
Die Diskussion findet Ihr hier:
(http://forum.astronomie.de/ubb…lege&Number=6811&Forum=Al
l_Forums&Words=Wolfgang%20Rohr&Match=Entire%20Phrase&Searchpage=0&Limit=25&Old=1w
eek&Main=4406&Search=true#Post6811)
Nachdem ich aber ein Freund von harten Fakten bin, habe ich, wie so oft mein ZEMAX Strahlen-
durchrechnungs-Programm zu Rate gezogen und mir den Fall simuliert:
Ausgehend von einem Standard-Newton, also ein unkomplizierter 10-Zöller f/5 oder 250/1250, also
ein weitverbreitetes Gerät auch hinsichtlich des Öffnungs-Verhältnisses, ist der Fangspiegel
dejustiert, weil ja nicht wichtig. Nicht viel, gerade mal 3 mm von der idealen Mitte.
01 3 mm daneben und nur noch 0.95 Strehl
Der Sternfreund hat sich geschunden, hat tatsächlich einen 1.00 Strehl Spiegel geschliffen, oder
gekauft, und nun läßt er stolz jeden durchschaun, erklärt das etwas schlechtere Bild als Einfluß des
Seeings, man hat ja nicht immer Glück, und hört einfach auf zu denken, obwohl vielleicht beim
Nachbarn eine erheblich bessere Auflösung zu beoachten ist. Dann fängt er an zu justieren,
natürlich am Hauptspiegel, und auf die schüchterne Frage, was denn mit dem Fangspiegel sei, ob
der nicht vielleicht vorher . . . bekommt man einen verständnislosen Blick, als ob man von der
Sache nichts verstünde. Was sind schon 3 mm? Für ZEMAX sind das immerhin nur noch 0.95
Strehl, vorausgesetzt, man hatte den perfekten "1.01"-Strehl-Spiegel. Wieso man das mit dem
Auge nicht mehr sieht? Ab wann sieht man denn überhaupt bei einem richtig justieren Newton im
Feld die Koma? Und das ist der Grund, warum die Justage am Stern so genau auch wieder nicht
ist. Sollte man alles am Kollimations-Spiegel machen, dann müßte aber die Fangspiegel-Justage
stabiler sein.
02 10 mm daneben und nur noch 0.63 Strehl
02. Auch ein 10 mm dejustierter Fangspiegel sind keine Seltenheit, besonders wenn eine Mitten-
Markierung fehlt, die man ja auch gar nicht brauche, läßt sich ein Diskutant auf'm Board vernehmen.
Vielleicht ist ja der Haupt-Spiegel verspannt in seiner Zelle. Aus der Traum vom 0.95 Strehl-Spiegel,
wenn allein die Fangspiegel-Justage nicht stimmt. Man kann also eine steigende Fehler-Hiearchie
aufmachen, die das Bild des Newton-Systems beeinflussen.
a) die Fangspiegel-Qualität läßt bis ca. L/2 PV wave noch ordentliche Ergebnisse zu
b) die Hauptspiegel-Qualität läßt bis ca. L/3 PV wave von ordentliche Ergebnisse zu
c) die Fangspiegel-Dejustage toleriert noch Abweichungen bis 3-4 mm bei einem f/5 System
d) die Hauptspiegel-Dejustage schlägt bereits bei geringster Abweichung "Alarm"
03 Nur 3 mm Hauptspiegel-Dejustage "ziehen" den Strehl in den Keller
03 Fort ist die Perfektion eines 0.99 Strehl-Newton-Spiegels, und die hohe Qualität der "scharfen"
Scherbe, wie es Stathis Kafalis unlängst formulierte, sucht man vergeblich. Eine erhebliche Koma
stört das Vergnügen, und manche merken dies noch nicht einmal. Vor einiger Zeit habe ich eine
Justieranleitung ins Netz gestellt in der Hoffnung, daß zukünftigt jeder unter den Sternfreunden die
Qualität aus seinem Spiegel herausholt, die der Schleifer mühevoll hineingelegt hat. Was nützt
Euch ein Mercedes, wenn ihr damit nicht fahren könnt!
Fazit: Unterschätzt nicht den Einfluß der Fangspiegel-Dejustage.
Wolfgang Rohr
Bearbeitet von: Rohr am: 11/09/2002 12:52:05