Hallo,
seit gestern befindet sich ein Weltblick 60/910 Refraktor bei mir. Das war so eigentlich überhaupt nicht geplant.
Michi trug dazu bei, indem er mich auf das Angebot aufmerksam machte. Und so isses dann eben passiert ...
Hier ein Bericht über diese Gerätschaft.
Der Verkäufer war so heldenhaft, die Original-Schachtel als Versandverpackung zu benutzen. Pfui über ihn!
Immerhin verwendete er klares Klebeband.
Erstmal fiel mir auf, daß das Paket ganz schön schwer ist. Für den ziemlich baugleichen Revue 60/910 habe ich
aus einem uralten Katalogblatt die Gewichtsangabe 23 kg. Ja, das könnte hinkommen.
Witzig und spannend zugleich:
Teile des Teleskops waren in einen Bogen der "Frankfurter Rundschau" vom 12. November 1977 eingepackt ...
Aufgebaut sieht das Gerät dann so aus:
Die Holzbeine der Montierung sind recht dünn geraten, als Deko brauchbar, zum Beobachten erscheinen sie mir zu wackelig.
Für praktischen Gebrauch empfehlen sich kräftigere Beine mit fixer Länge. Und praktisch gebrauchen möchte ich diesen kleinen Refraktor.
Als fertig aufgebautes Gerät, das schnell nach draußen getragen ist und sofortige Beobachtung ermöglicht.
Einen umso stabileren Eindruck macht die Montierung selbst.
Besonders gut gefallen mit die Teilkreise mit den eigens angeschraubten Zeigern.
Diesen Zeiger kann man geradebiegen. Ist aus Stahlblech, da geht das ganz entspannt.
Das Erscheinungsbild ist sehr klassisch. Gefällt mir sehr gut, insbesondere der mattschwarze Lack trägt zum klassischen Eindruck bei.
Die Antriebe sind fest, da hat sich wohl in vier Jahrzehnten auf dem Dachboden das Schmierfett verfestigt.
Erstaunt und verwundert haben mich die an manchen Teilen zu sehenden Stellen mit gelblichgrüner Schicht.
Es scheint kreativ eingesetzter Kaugummi zu sein, übrigens auch auf der Taukappe ist ein kryptisches Zeichen damit aufgebracht.
Sehr erstaunlich: Zwischen den Linsen sind zur zwei Abstandplättchen. Ein wenig abseits der Stelle, wo ein drittes Abstandsplättchen
zu erwarten wäre, ist ein Bereich, der wunderschöne Newton-Ringe zeigt. Michi wäre begeistert ...
Der Tubus des Okularauszugs hat leichtes Spiel, da sollte ein Streifen Isolierband in der Führung Abhilfe schaffen.
Positiv: Der Tubus des Auszugs endet in einem (Vixen-) Gewinde 36,4. Der originale Steckanschluß für 0,96" Okulare
fällt die ersten Gewindegänge regelrecht hinein, dann greift das Gewinde und er sitzt dann doch recht fest.
Nach dem Anfertigen der Lichtbilder packte ich zusammen.
Etwas ernüchtert ob der auf den ersten Blick doch recht schlichten Ausführung.
Andererseits, was wäre anderes zu erwarten? In dem erwähnten Katalogblatt ist ein Preis von 299,- DM angegeben.
Einerseits viel Geld, andererseits für ein solches komplexes Instrument sehr wenig.
Immerhin ist es insgesamt mechanisch ein sehr solides Gerät, an ein paar Stellen etwas Hand anlegen und gut sollte es sein.
Es sind so ziemlich alle Bauteile aus Metall. Das erfreut den Liebhaber alter Gerätschaften natürlich. Und irgendwo muß das Gewicht ja auch herkommen ...
Die Optik?
Tja, was ist zu erwarten, wenn bei einem FH-Objektiv die Linsen-Fügung augenscheinlich nicht korrekt sein KANN, weil ein Abstandsplättchen fehlt?
Mit einem 0,96" 20 mm H-Okular probierte ich es heute freihändig aus: Im Blick durch das Okular zeigt sich eine beeindruckend flaue und dunkle Abbildung.
Ein 60er FH-Objektiv von mutmaßlich brauchbarer Qualität kann viel, viel mehr. Zumal es bei dieser kleinen Öffnung und dem langen Öffungsverhältnis
relativ einfach ist, Linsen zu fertigen, die eine gute optische Qualität hergeben. Die Erfahrung zeigt, das manches Objektiv mit grauenhaften
Abbildungseigenschaften nach sachkundiger Fügung der Linsen erstklassig abbildet.
Was macht man, wenn ein Abstandsplättchen fehlt? Man versucht es zu ersetzen.
Und so schraubte ich den Ring heraus, der das Linsenpaket in der Fassung hält. Gleich eine Bleistiftmarkierung an den Rand der Linsen
– die schon gleich begannen auseinander zu rutschen –, damit Lage und Orientierung klar sind.
Und schon fand sich das dritte Abstandsplättchen – es klebte in der Fassung am Gewinde ...
Ebenso klebte im Gewinde eine dünne Schicht altes Fett. Fassung und Taukappe bilden eine Einheit. Nachdem außen an der Taukappe
ein kreatives Zeichen in dieser gelblichgrünen Schicht war, nach meiner Einschätzung historischer Kaugummi, beschloß ich die gesamte
Einheit in heißer Spülmittelösung einzuweichen. Die als Kaugummi vermutete Masse löste sich recht schnell vom Untergrund und ließ sich
als zähe Masse abziehen und abrubbeln. Auch wenn es aus geschichtswissenschaftlicher Sicht unverantwortlich erscheinen mag,
habe ich dieses Artefakt entsorgt. Ohne vorherige Geschmacksprobe. Mea culpa.
Das (sehr lange) Innengewinde der Fassungshülse fühlt sich sehr rauh an. Da besorge ich eine feine Stahlbürste und gehe da mal ganz sachte drüber.
In meinem vorigen Leben habe ich eine Metallausbildung absolviert, also alles gechillt.
Denn möglicherweise werde ich den Schraubring ein paarmal rein und rausdrehen, und die Fassung auf den Tubus schrauben,
bis sich eine zufriedenstellende Abbildungsqualität eingestellt hat. Das zeigt sich.
Und damit ist für heute erstmal Ende. Dieser Tage mache ich an dem Objektiv weiter, dann gibt es Bilder und Text dazu.
Daß erstmal an verschiedenen Stellen Arbeit erforderlich ist, versuche ich entspannt zu sehen.
Umso mehr Spaß dürfte dann das Beobachten mit diesem Gerät machen ...
Ob ich das mit den Linsen hinkriege? Ich probiere es einfach aus. Genügend Beobachtungserfahrung habe ich,
so daß ich mir eine sichere Einschätzung der Abbildung zutraue. Und der Rest ist probieren.
Ein 60 mm Achromat mit f/15 sollte da gutmütig sein. Ich bin gespannt ...
Viele Grüße,
Andreas