Astronomen empfangen Radio Sternentstehung

  • <b>Einige Galaxien produzieren größere Mengen neuer Sterne während andere deutlich weniger produktiv sind. Jetzt hat ein Astronomenteam unter der Leitung von Fatemeh Tabatabaei (Instituto de Astrofísica de Canarias) ein Verfahren entwickelt, mit dem sich die Sternentstehungsrate ferner Galaxien mithilfe von Radiobeobachtungen messen lässt. Die Forscher nutzten dazu einen Datensatz von 52 nahen Spiralgalaxien, die zusätzlich mit dem 100-Meter-Radioteleskop in Effelsberg bei verschiedenen Wellenlängen beobachtet wurden. Die Sternentstehungsrate ist eine Schlüsseleigenschaft einer Galaxie, und Veränderungen der durchschnittlichen Sternentstehungsrate sind ein wichtiger Aspekt der Entwicklung unseres Universums als Ganzes.
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    Gemessen an unseren alltäglichen Zeitvorstellungen erscheinen uns die Sterne unveränderlich und unvergänglich. Aber auf längeren Zeitskalen können Sterne sowohl vergehen als auch neu entstehen. Tatsächlich ist die Sternentstehungsrate – also die Menge an Sternen, die pro Zeiteinheit neu entstehen, üblicherweise ausgedrückt in Vielfachen der Sonnenmasse pro Jahr – eine der interessantesten Eigenschaften einer Galaxie. Ein besseres Verständnis der Art und Weise zu erlangen, wie sich die Sternenstehungsraten über die vergangenen Milliarden von Jahren verändert haben ist eine der zentralen Herausforderungen für Astronomen, die sich mit der Geschichte unseres Universums auf großen Skalen befassen.


    Ohne Daten kein physikalisches Verständnis. Aber Sternentstehungsraten sind nicht leicht zu messen – insbesondere da Sterne tief im Inneren von Gas- und Staubwolken entstehen und damit den Blicken herkömmlicher Teleskope verborgen sind. Die meisten herkömmlichen Messungen von Sternentstehungsraten nutzen Beobachtungen im sichtbaren und Ultraviolettlicht, kombiniert mit Infrarotbeobachtungen; durch letztere lässt sich abschätzen, wie groß der Anteil an Licht ist, der vom Staub verschluckt wird. Allerdings gibt es nach wie vor Unsicherheiten bei den Verfahren, die Sternentstehungsrate aus solchen Messungen abzuleiten. Insbesondere wird einiges des dafür genutzten Infrarotlichts ferner Galaxien möglicherweise gar nicht durch junge Sterne erzeugt, die den umgebenden Staub aufheizen, sondern auf andere Weise.


    Jetzt hat eine Gruppe von Astronomen unter der Leitung von Fatemeh Tabatabaei (Instituto de Astrofísica de Canarias), zu der auch Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Astronomie und des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie gehören, ein neues Verfahren entwickelt, Sternentstehungsraten mithilfe von Radiobeobachtungen zu bestimmen – zuverlässig und insbesondere so, dass auch die Entstehung massereicher junger Sterne erfasst wird.



    Die Galaxie NGC 6946. Im Hintergrund ein Bild im sichtbaren Licht, darüber falschfarben in rot: Radiostrahlung im 3-cm-Band zeigt Gebiete mit aktiver Sternentstehung an. Vordergrund: F. Tabatabaei/KINGFISHER Team, Hintergrund: NASA, ESA, STScI, R. Gendler, and the Subaru Telescope (NAOJ)


    Das Projekt ging aus einer Idee von Eva Schinnerer (Max-Planck-Institut für Astronomie [MPIA]) und Eric Murphy (National Radio Astronomy Observatory) hervor, wie sich Sternentstehungsraten ferner Galaxien genauer messen lassen sollten. Ausgangspunkt war die KINGFISH-Stichprobe von Galaxien, die mit dem Weltraumteleskop Herschel der ESA beobachtet worden waren. Die Sternentstehungsrate der 61 KINGFISH-Galaxien wurde dabei aus der Kombination der Infrarotbeobachtungen von Herschel mit Beobachtungen im sichtbaren und im Ultraviolettlicht bestimmt. Wie würden dieselben Galaxien bei einer Radiobeobachtung aussehen? Und würden die Radiobilder Informationen über die Sternentstehungsraten enthalten?


    Um das herauszufinden, beantragte Schinnerer Zeit am 100-Meter-Radioteleskop in Effelsberg in der Nähe von Bonn. Eine entsprechende Beobachtungskampagne unter der Leitung von Marita Krause vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) lieferte Radiodaten für diejenigen 52 der KINGFISH-Galaxien, die vom Standort Effelsberg auf der Nordhalbkugel aus beobachtet werden können.


    Tabatabaei, zu jenem Zeitpunkt Postdoktorandin am MPIA, untersuchte anschließend die Eigenschaften und Quellen der Radiostrahlung jeder der Galaxien. Sie fand, dass Strahlung in einem bestimmten Frequenzbereich, dem mittleren Radio-Kontinuum (mid-radio continuum, MRC) zwischen 1 und 10 Gigahertz, direkt mit der Entstehung massereicher junger Sterne zusammenhängt. Ein Teil der Strahlung entsteht, wenn junge Sterne den sie umgebenden Staub aufheizen. Ein anderer Anteil entsteht, wenn besonders massereiche junge Sterne schon kurz nach ihrer Geburt in einer Supernova explodieren – und so paradoxerweise durch ihren Tod anzeigen, dass kurz zuvor eine Sternengeburt stattgefunden hat. Insgesamt kann diese Strahlung genutzt werden, um die Entstehung massereicher Sterne in Galaxien bis zu einer Entfernung von rund 100 Millionen Lichtjahren nachzuweisen.


    Die neue Methode hat weitreichende Konsequenzen. Mithilfe sogenannter Radiointerferometer lassen sich auf diese Weise weit detailliertere Karten von Sternentstehungsgebieten anfertigen als je zuvor. Die Radiowellen durchqueren Staub so gut wie ungehindert, so dass keine der neu entstehenden Sterne verborgen bleiben. Dass die Methode Strahlung von zwei unterschiedlichen Stadien der Sternentstehung nutzt erlaubt robustere Abschätzungen der Entstehungsraten. Und der Umstand, dass nur eine Art von Beobachtung benötigt wird, nämlich Radiobeobachtungen in einem bestimmten Frequenzbereich, macht es einfacher, solche Messungen durchzuführen.


    Insgesamt ist es mit dem neuen Verfahren einfacher und weniger aufwändig geworden, Sternentstehungsraten in Galaxien zu messen. Das verspricht für die Zukunft vollständigere und tiefere Durchmusterungen mithilfe von Radioteleskopen zur Bestimmung der Sternentstehungsraten und ihrer Veränderung im Laufe der kosmischen Evolution.


    Weitere Infos und Bilder auf den Seiten des MPIA unter http://www.mpia.de/aktuelles/wissenschaft/2017-02-kingfisher und beim MPIfR unter http://www.mpifr-bonn.mpg.de/pressemeldungen/2017/3

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