Kosmische Computertomographie: das Universum in 3D

  • <b>Ein Astronomenteam unter der Leitung von Khee-Gan Lee vom Max-Planck-Institut für Astronomie hat die erste dreidimensionale Karte aus der stürmischen Jugend unseres Universums rekonstruiert: aus einer Zeit ganze 3 Milliarden Jahre nach dem Urknall. Die Forscher verwendeten eine neue Technik analog zur Computertomographie der Mediziner: Mithilfe des Lichts entfernter Hintergrundgalaxien durchleuchteten sie den Kosmos und rekonstruierten seine 3D-Struktur. Die so geschaffene Karte zeigt einen Ausschnitt aus dem »kosmischen Netz« aus dunkler Materie und Gas, das die größten Strukturen im Universum bildet.</b>


    Auf den größten uns zugänglichen Größenskalen ist die Materie im Universum als gigantisches Netzwerk von Filamentstrukturen mit hunderten von Millionen von Lichtjahren Ausdehnung arrangiert: das »kosmische Netz«. Hauptkomponente der Filamente ist die Dunkle Materie, die keinerlei Licht aussendet; außerdem finden sich entlang des Netzes große Mengen von urtümlichem Wasserstoffgas, das direkt aus der Urknallphase unseres Kosmos stammt. Auch Galaxien, etwa unsere Milchstraße, finden sich bevorzugt auf den Filamenten des kosmischen Netzes – als vergleichsweise winzige Tupfer auf den Netzsträngen oder dort, wo die Filamente zusammenlaufen.


    Jetzt ist es einem Astronomenteam unter der Leitung von Khee-Gan Lee, einem Postdoktoranden am Max-Planck-Institut für Astronomie, gelungen, eine dreidimensionale Karte einer großen Teilregion des kosmischen Netzes zu erstellen, die knapp 11 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt ist – aufgrund der großen Entfernung sehen wir diese Region zu einer Zeit, als das Universum nur ein Viertel so alt war wie heute. Ähnlich wie bei medizinischer Computertomographie, bei der das Innere des menschlichen Körpers aus einer Durchleuchtung mit Röntgenstrahlen rekonstruiert wird, erstellten Lee und seine Kollegen ihre dreidimensionale Karte aus dem Licht entfernter Hintergrund-Galaxien, welches den Wasserstoff des kosmischen Netzes von hinten durchleuchtet.


    Für eine derartige Durchleuchtung das gesammelte Sternenlicht ferner Galaxien zu benutzen, hatte in der Astronomen als Zukunftsmusik gegolten – bis Lee ausrechnete, dass es doch bereits mit heutigen Teleskopen gelingen konnte. Lee erzählt: »Ich war überrascht, als sich zeigte, dass bereits heutige Teleskope hinreichend viel Licht ferner Galaxien sammeln können sollten, um diese Art von Absorptionskarte zu erstellen – wenn auch mit geringerer Auflösung als zukünftige Teleskope der nächsten Generation. Das Ergebnis wäre ein ganz neuer Blick auf das kosmische Netz, das noch nie in so großer Entfernung kartiert worden war.«


    Lee und seine Kollegen bekamen Beobachtungszeit auf einem der größten Teleskope der Welt: dem Keck-I-Teleskop am W. M. Keck-Observatorium, einem zehn-Meter-Spiegelteleskop auf Mauna Kea, Hawaii. Dort stießen sie leider auf durchaus irdische Probleme. Joseph Hennawi (MPIA), der an den Beobachtungen beteiligt war, sagt: »Wir waren sehr enttäuscht – das Wetter war schrecklich, und wir konnten nur wenige Stunden lang gute Daten sammeln. Aber bereits beim ersten Blick auf die Daten, die uns das Teleskop geliefert hatte, war mir klar, dass unser Experiment funktionieren würde.«



    Dreidimensionale Karte des kosmischen Netzes in einer Entfernung von 10,8 Milliarden Lichtjahren von der Erde. Die Karte wurde aus den charakteristischen Absorptionsspuren rekonstruiert, die das Wasserstoffgas im Spektrum von 24 Hintergrundgalaxien (die von der Erde aus also hinter der hier gezeigten Region stehen) hinterlassen hatte. Dies ist das erste Mal, dass die großräumige Struktur des Universums in so großer Entfernung direkt kartiert werden konnte. Die Farben repräsentieren die Dichte des Wasserstoffgases des kosmischen Netzes, wobei hellere Farben für höhere Dichten stehen. grafik: Casey Stark (UC Berkeley) und Khee-Gan Lee (MPIA)


    Auch wenn die Astronomen nur vier Stunden lang beobachten konnten – was sie dabei an Daten aufnahmen, war etwas ganz Neues: Ihre Absorptionsmessungen an 24 schwachen Hintergrundgalaxien deckten einen kleinen Fleck Himmel so vollständig ab, dass sie sich zu einer dreidimensionalen Karte des kosmischen Netzes zwischen Hintergrundgalaxien und Beobachtern kombinieren ließen. Eine Schlüsselrolle kam dabei dem zur Analyse verwendeten Algorithmus zu. Hätten die Astronomen bei dieser großen Datenmenge einfach so losgerechnet, wäre die Rechenzeit enorm gewesen. Glücklicherweise gelang es zweien der Teammitglieder, Casey Stark und Martin White (UC Berkeley und Lawrence Berkeley National Lab), einen verbesserten Algorithmus zu entwickeln, mit dem sich die Karte binnen Minuten erstellen ließ. Stark sagt: »Wir merkten, dass wir den Algorithmus verbessern konnten, indem wir ihn auf die besonderen Bedingungen unseres speziellen Problems zuschnitten – dann verbrauchte er deutlich weniger an Speicher, und eine Rechnung, die wir vorher auf einem Supercomputer hätten laufen lassen müssen, lief auf einmal auch auf einem Laptop.«


    Die Karte, die dabei herauskam, zeigt einen dreidimensionalen Ausschnitt unseres Universums in einer Entfernung von 11 Milliarden Lichtjahren – das erste Mal, dass das kosmische Netz in so großer Entfernung kartiert werden konnte. Da große Entfernungen gleichzeitig bedeuten, dass die Astronomen weit in unsere kosmische Vergangenheit sehen, zeigt die Karte das ferne Universum so, wie es vor 11 Milliarden Jahren aussah – bei einem Viertel seines jetzigen Alters, in einer Art »wilder Jugendzeit« inklusive Wachstumsschub der Galaxien, die damals besonders viele neue Sterne bildeten.


    Die Karte zeigt Strukturen, die sich über Millionen von Lichtjahren hinwegziehen und macht den Astronomen Lust auf mehr – genauer: auf umfangreichere Kartierungen, die dann nicht nur die Struktur des kosmischen Netzes zeigen, sondern auch seine Funktionsweise verstehen lassen: die Wege, auf denen urtümliches Wasserstoffgas entlang der Stränge des kosmischen Netzes in die Galaxien gelangt, wo es als Rohmaterial für das Galaxienwachstum dient, insbesondere für die Entstehung von Sternen und Planeten.


    Weitere Infos und Bilder auf den Seiten des Max-Planck-Instituts für Astronomie unter http://www.mpia.de/Public/menu…014_09/PR_2014_09_de.html

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