Kugelsternhaufen, die jünger aussehen als sie sind

  • <b>Während einige Menschen auch im stolzen Alter von 90 Jahren noch in guter Verfassung sind, leiden andere bereits unter Altersschwäche, bevor sie die 50 überschritten haben. Die Geschwindigkeit des Alterungsprozesses eines Menschen dürfte damit nur wenig von seinem tatsächlichen Alter abhängen und vermutlich hauptsächlich von seinem Lebensstil bestimmt sein. Eine neue Studie mit dem MPG/ESO 2,2-Meter-Teleskop am La Silla-Observatorium der ESO und dem NASA/ESA Hubble Space Telescope hat nun ergeben, dass dasselbe auch für Sternhaufen gilt.</b>


    Kugelsternhaufen sind sphärische Ansammlungen von Sternen, die durch ihre eigene Schwerkraft aneinander gebunden sind. Mit einem Alter von üblicherweise 12-13 Milliarden Jahren sind sie Überbleibsel aus der Anfangszeit des Universums – der Urknall selber, mit dem das Universum entstanden ist, fand vor etwa 13,7 Milliarden Jahren statt. Zu unserer Milchstraße gehören ungefähr 150 Kugelsternhaufen, und sie enthalten viele der ältesten Sterne unserer Heimatgalaxie.


    Obwohl die Kugelsternhaufen sich bereits in der fernen Vergangenheit gebildet haben und ihre Sterne alt sind, haben Astronomen jetzt mithilfe des MPG/ESO 2,2-Meter-Teleskop und des NASA/ESA Hubble Space Telescope festgestellt, dass einige dieser Sternhaufen in ihrem Herzen nach wie vor jung geblieben sind. Ihre Ergebnisse präsentieren sie in der Ausgabe vom 20. Dezember 2012 der Fachzeitschrift Nature.



    Der Kugelsternhaufen NGC 6388, aufgenommen vom MPG/ESO 2,2-Meter-Teleskops am La Silla-Observatorium der ESO in Chile.


    „Auch wenn diese Sternhaufen schon vor Milliarden von Jahren entstanden sind, haben wir uns gefragt, ob einige von ihnen vielleicht schneller oder langsamer altern als andere”, erläutert Francesco Ferraro von der Università di Bologna in Italien, der Leiter des Wissenschaftlerteams, das die Entdeckung gemacht hat. „Durch die Untersuchung der Verteilung einer bestimmten Sorte blauer Sterne, die es in Kugelsternhaufen gibt, haben wir herausfinden können, dass einige Sternhaufen sich tatsächlich viel schneller entwickelt haben. Daraus haben wir eine Methode entwickelt, um die Alterungsrate zu bestimmen.“


    Sternhaufen entstehen innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne, so dass alle in einem bestimmten Sternhaufen enthaltenen Sterne in etwa gleich alt sind. Da helle, massereiche Sterne ihren Brennstoff sehr schnell verbrauchen und Kugelsternhaufen sehr alt sind, sollten sie eigentlich nur noch massearme Sterne enthalten.


    Das ist aber nicht immer der Fall: Unter bestimmten Bedingungen können Sterne zusätzliches „Lebenselixier“ erhalten, also zusätzlichen Brennstoff, der sie wachsen und heller werden lässt. So etwas kann zum Beispiel passieren, wenn ein Stern einem Begleiter Materie abzieht, wenn die beiden Komponenten eines Doppelsternsystems miteinander verschmelzen oder wenn zwei Sterne kollidieren. Die auf diese Weise neu erstarkten Sterne nennt man Blaue Nachzügler [1], und um ihre hohe Masse und ihre große Leuchtkraft dreht sich die neue Studie.


    Schwerere Sterne sinken im Laufe der Zeit durch einen Prozess, der dem Sedimentieren von Schwebeteilchen in Wasser ähnelt, in das Zentrum eines Kugelsternhaufens ab. Aufgrund ihrer hohen Massen werden die Blauen Nachzügler besonders stark beeinflusst. Durch ihre Helligkeit sind sie außerdem leicht zu beobachten [2].


    Um den Alterungsprozess von Kugelsternhaufen besser verstehen zu können, beobachteten die Astronomen die Positionen von Blauen Nachzüglern in 21 Kugelsternhaufen mit dem MPG/ESO 2,2-Meter-Teleskop, dem Hubble Space Telescope und weiteren Observatorien [3]. Hubble stellte dabei hochaufgelöste Aufnahmen der dicht bevölkerten Zentren von 20 der Kugelsternhaufen zur Verfügung, während die bodengebundenen Observatorien Bilder mit einem größeren Gesichtsfeld lieferten, die auch die dünner besiedelten Außenbereiche der Haufen zeigen.


    Bei der systematischen Auswertung der Bilder stellten die Wissenschaftler fest, dass einige der Kugelsternhaufen vergleichsweise jung aussehen und ihre Blauen Nachzügler über den gesamten Haufen verteilt sind, während der Großteil der Haufen viel älter wirkt und ihre Blauen Nachzügler sich in der Haufenmitte ansammeln. Eine dritte Gruppe befindet sich mitten im Alterungsprozess. Bei ihnen sieht man die Sterne nahe des Zentrums als erstes nach innen wandern. Erst später kommen die Sterne weiter außen hinzu.


    „Da all diese Kugelsternhaufen etwa gleich alt sind, zeigt uns das, wie sehr sich die Entwicklungsgeschwindigkeit von Haufen zu Haufen unterscheidet”, ergänzt Barbara Lanzoni von der Università di Bologna, eine der Ko-Autorinnen der Studie. „Wir glauben, dass der Sedimentationsprozess bei den schnell alternden Haufen nach wenigen hundert Millionen Jahren abgeschlossen sein kann, während er bei den langsamsten Vertretern ein Vielfaches des gegenwärtigen Alters des Universums andauern wird.”


    Das Absinken der schwersten Sterne in Richtung des Haufenzentrums führt letztlich dazu, dass das Zentrum extrem dicht wird. Dieses Phänomen nennt man Kernkollaps. Die Prozesse, die zum Kernkollaps führen, sind gut verstanden und hängen von der Anzahl, der Dichte und der Geschwindigkeit der Sterne ab. Unklar war bislang aber, wie häufig soetwas stattfindet [4]. Diese Studie liefert daher die ersten empirischen Hinweise darauf, wie schnell verschiedene Kugelsternhaufen altern.


    Endnoten


    [1] Die Bezeichnung Blauer Nachzügler ergibt sich aus der blauen Farbe der Sterne und aus der Tatsache, dass sie in ihrer Entwicklung hinter ihren Nachbarn zurückliegen.


    [2] Blaue Nachzügler sind verglichen mit typischen Sternen eines Kugelsternhaufens sowohl heller als auch massereicher, sie sind aber bei weitem nicht die einzigen massereichen oder leuchtkräftigen Sterne.
    Rote Riesensterne sind noch einmal deutlich heller, haben aber eine viel geringere Masse und werden daher von dem Sedimentationsprozess nicht so stark beeinträchtigt. Sie sind über ihre Farbe leicht von Blauen Nachzüglern zu unterscheiden.


    Die extrem dichten Zentralbereiche von Sternen, die deutlich massereicher waren als die Sonne und die bereits vor Milliarden von Jahren explodiert sind, sogenannte Neutronensterne, haben eine ähnliche Masse wie die Blauen Nachzügler und sind ebenfalls von dem Sedimentationsprozess betroffen. Sie sind allerdings nur sehr schwer zu beobachten und geben daher keine guten Studienobjekte ab.


    Blaue Nachzügler sind die einzigen Sterne in Kugelsternhaufen, die große Massen und Helligkeiten miteinander kombinieren.


    [3] Von den 21 in dieser Forschungsarbeit untersuchten Sternhaufen wurden 20 mit dem Hubble Space Telescope, 12 mit dem MPG/ESO 2,2-Meter-Teleskop, acht mit dem Canada-France-Hawaii-Teleskop und einer mit dem Subaru-Teleskop beobachtet.


    [4] Diese Rate hängt in komplexer Weise von der Anzahl der Sterne, ihrer Dichte sowie ihrer Geschwindigkeiten innerhalb des Haufens ab. Während die ersten beiden Parameter relativ einfach zu messen sind, sind die Geschwindigkeiten der Sterne nicht so leicht zugänglich. Aus diesem Grund basierten vorangegangene Schätzungen zum dynamischen Altern von Kugelsternhaufen in erster Linie auf theoretischen Annahmen, während die neue Methode ausschließlich auf Messdaten zurückgreift.


    Mehr Infos und weitere Bilder auf den deutschen Seiten des ESO Science Outreach Network (ESON) unter: http://www.eso.org/public/germany/news/eso1252

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