Hallo zusammen,
vielleicht hilft es mal einen Schritt zurückzutreten und sich anzuschauen, was Farben sind und was wir überhaupt daraus machen können, wenn wir fotografieren.
Wenn man den physikalischen Hintergrund verstanden hat, dann kommt ggf. der kulturelle Hintergrund dazu und so manche Diskussion kann abgekürzt werden.
Farben sind keine Eigenschaften von Körpern. Die Tomate ist nicht rot, sondern das von ihr reflektierte Licht wirkt rot, weil es eine Eigenschaft der Tomate ist, dass sie Licht der Wellenlänge um 550 nm absorbiert und uns das restliche Licht zurückwirft.
Ein Stern ist nicht rot, sondern er emeritiert vorwiegend Licht der Wellenlänge um 650 nm, das wir als Rot empfinden.
Ob mein Rot dasselbe ist wie Peters, das kann man dabei nicht sagen.
Für den ein oder anderen ist das eine Wortklauberei, aber es soll zeigen, dass wir niemals exakt sein können, wenn es um Farben geht, sondern uns nur nähern werden. Das Wort "Farbkalibrierung" verspricht mehr, als es kann.
Die Menschen haben verschiedene Farbempfindungen. 1/3 aller Männer empfinden ein bestimmtes Gelb als "kühlgelb", 2/3 mit einem anderen Gen als "warmgelb". Frauen sehen Farben grundsätzlich bunter und differenzierter. Und ich kann euch sagen, wenn man das Farbensehen trainiert, so wie ich einst im Farblabor der Uni, dann kommt man in der Dämmerung nach draußen und hat das Gefühl unter Drogen zu stehen.
Ein anderer Punkt, dem wir uns nur nähern können, sind Helligkeiten. Astrofotos sind Vehikel, um etwas abzubilden, dabei muss man zwangsläufig Kompromisse machen. Die besten Astrokameras haben zwar eine FW-Kapazität von 220000 Elektronen, aber ab einem gewissen Punkt geben auch sie die Realität verfremdet wieder. Die Sterne werden dann nicht mehr heller, sondern dicker. Wir haben uns derart daran gewöhnt, dass wir das als normal empfinden, und auch Sternkarten bilden helle Sterne dicker ab.
Nun kombinieren wir beide "Wortklaubereien" und wir haben einen ausgebrannten Kern eines Sterns und in seiner Peripherie gibt es eine Farbe. Damit müssen wir leben, weil wir Fotos machen und nicht die Wirklichkeit abbilden.
Wie man mit dem Problem umgeht, ist jetzt Geschmackssache. Gibt man dem Stern künstlich einen Grauwert, damit die Farbe auch das Zentrum erreicht? Erhöht man die Farbintensität der Peripherie, damit sie für uns auffälliger wird? Es macht Spaß sich hier einen Workflow zu überlegen, der uns einerseits Farben zeigt, andererseits aber natürlich wirken soll.
Das heißt freilich nicht, dass alles egal ist.
Auch, wenn mein Rot nicht dasselbe ist wie Peters Rot, so können wir uns doch darauf einigen, dass es nicht grün ist oder blau. (deshalb die Farbkalibrierung). Aber, das ist eine kulturelle Übereinkunft.
Genau so ist es eine kulturelle Übereinkunft, wie man nun mit dem Dilemma "ausgebrannter, also farbloser Stern" umgeht.
Es gibt eine Untersuchung, dass Leute, die in Großstädten wohnen, eher kräftige Farben bevorzugen gegenüber Leuten, die auf dem Land wohnen. Für mich ist das sofort erklärbar.
Ebenso ist es kulturell erklärbar, dass amerikanische und asiatische Astrofotografen ihre Bilder oft sehr bunt gestalten. Und die Deutschen tendenziell, als die "Dichter und Denker", nach irgendeiner grauen Wirklichkeit suchen. Aber das ist weder wahrer noch unwahrer. Es gibt nur kulturelle Zugehörigkeiten.
Von daher schlage ich vor, diese Diskussion nur über das ästhetische Empfinden zu führen und nicht über wahrer oder unwahrer. Gerne wird dann gesagt, dass bei der Ästhetik aber ja alles möglich ist, dass das Kunst sein und damit alles erlaubt sei. Dem ist aber nicht so, auch da gelten Regeln und es gibt sogar Forschung dazu. U.a. vom Max Plank Institut (= seriöse Forschung) für empirische Ästhetik.
Oder, mal zusammengefasst. Ich darf sagen, dass mir ein Bild nicht gefällt, weil es wie ein zu süßer Kaubonbon zwischen den Zähnen klebt. Ich darf sagen, dass der Stern ein roter Riese ist, aber die Farbe das nicht widerspiegelt. Ich darf sagen, dass das Objekt zwar schön farbig ist, aber die Sterne als zu farblos empfinde. Ich darf aber auch mein eigenes Bild verteidigen, und sagen, dass mir das so aber besser gefällt.
VG ralf