Beiträge von JSchmoll im Thema „War Astrofotografie früher anspruchsvoller?“

    Hallo Namensvetter [:)],


    ich glaube, die allgemeine Stossrichtung im Thread hier ist, dass heute alles besser ist (bis auf die Lichtverschmutzung und Satellitenplage). Zwar sind die Ansprueche gestiegen, aber es ist eben deutlich schneller moeglich, auch als Einsteiger aussagekraeftige Bilder astronomischer Objekte zu gewinnen.


    Letzte Woche hatte ich einen Kollegen in meiner Sternwarte (wir mussten fuer einen Laboraufbau ein Fernrohr am Stern fokussieren, also "Arbeit" von zuhause), und so nebenbei machte der einen Mondschuss mit seinem Smartphone durch meinen 20cm-Refraktor. Das Bild war knackscharf und sehenswert. Frueher waere es vielleicht in einem Magazin gelandet.


    Und auch wenn ich manchmal die Dunkelkammerromantik mit ihrem Essiggeruch vermisse, glaube ich doch eher, dass heute mehr Lametta ist. ;)

    Die Ausgangsfrage hat natuerlich ein semantisches Interpretationsproblem: "Anspruchsvoller sein", heisst das schwerer zu realisieren, oder anspruchsvoller im Ergebnis - letzteres entweder im Erreichten oder im Erwarteten? Die ersten Antworten (inklusive meiner) haben das wie im erstgenannten Fall interpretiert - schwerer zu realisieren. Und das war in der Tat so, aus den teils vielfach genannten Gruenden.


    Natuerlich steigen durch die leichtere Erreichbarkeit hoeher gesteckter Ziele auch die Ansprueche an selbige.


    Ein Analogon:


    Man stelle sich eine Gruppe Laeufer vor. Sie rennen gern ihre 3000 Meter, und versuchen dabei, schon mal in bisschen schneller zu sein als Andere.


    Nun bekommen sie Fahrraeder. Die Gruppe wird sich ein bisschen aendern: Einige kommen mit dem Radfahren nicht zurecht, andere (die Laufen schon immer doof fanden) finden durchs Rad erst Zugang zu der Gruppe. Gefahren wird natuerlich schnell weiter als drei Kilometer, denn mit dem Fahrrad geht das muehelos. Da will man dann Ziele erreichen, die -zig Kilometer weit weg sind und dabei hofft man, wieder ein bisschen schneller zu sein als Andere, oder als man selbst im ersten Versuch. Ob man nun versucht, einen Platz auf dem Siegertreppchen zu erreichen oder es einem langt, sich selber zu verbessern, steht auf einem anderen Blatt.


    Wie in der Astrofotografie - entweder ist man erst zufrieden, wenn das eigene Bild auf der SuW-Titelseite erscheint oder gar beim "Astrophotographer of the year" einen Preis absahnt. Oder man erfreut sich einfach daran, was man mit seiner Ausruestung so zustande bekommt und wie man sich an einem Objekt ueber das Bilden jahrelanger Erfahrung steigern kann.


    Ich bin einmal den ersten Weg gegangen - nicht ganz ernsthaft und mit einem Augenzwinkern. Mit Keith im Nachbardorf haben wir um die Wette Bilder an englische Zeitschriften geschickt. Mal lag er, mal lag ich in der Anzahl publizierter Bilder vorn. Dann hat er mich eiskalt abgehaengt - er ist halt ein begnadeter Planetenfotograf (ich nicht) und die Astrozeitschriften drucken beim Deepsky nur noch diese knallbunten (Falschfarb-)Bilder ab, die meinem Stil nicht entsprechen. Da habe ich mich dann ausgeklinkt. [:)]


    Wohl auch deswegen publiziere ich selten Astrofotos auf dem Astrotreff. Es gibt immer sofort jemanden, der es besser kann und ein Bild postet, das einem mit den Ohren schlackern laesst. Es ist wichtig, sich davon nicht entmutigen zu lassen, sondern es als Motivation zu begreifen, was noch gehen kann.

    Schoene Diskussion!


    Zum Thema Automatisierung und Bequemlichkeit: Klar, man kann natuerlich das Teleskop laufen lassen und dabei drinnen fernsehen. Oder schlafen gehen.


    Oder aber man hat ein weiteres Teleskop, mit dem man beobachten kann! Und in dem Falle bringt die Automatisierung auf alle Faelle etwas! Wenn ich an die Naechte denke, wo ich ausser defokussierter Sterne mit Fadenkreuz drin NICHTS gesehen habe, weil ich stundenlang das Kreuz anstarrend am Handrad drehen musste. Klar, sehr meditativ - bis das Fadenkreuz vor den traenenden Augen verschwimmt. Aber man sieht halt nix!


    Da ist ein automatisches Fernrohr mit visuellem Zweitrohr auf Zweitmontierung auf alle Faelle das Beste beider Welten. Ein Fernrohr fuer die Konserve, damit man in wolkigen Naechten was auszuwerten hat. Und ein Fernrohr zum Echtzeitgenuss. So laesst sich eine Nacht optimal nutzen.


    Frueher, mit Film, ging das nur sehr eingeschraenkt. Selbst wenn man reich genug war, sich einen Nachfuehrmotor leisten zu koennen (ca. 300 Mark fuer ein 500 Mark-Fernrohr - vom Frequenzwandler zur Rektaszensionskontrolle fange ich erst gar nicht an). Autoguider gab es halt noch nicht. Man war auf relativ kurze Brennweiten oder Aufnahmen mit stehender Kamera beschraenkt, da alles Andere Interaktion bedurfte.

    Hallo Carsten nochmal,


    eine weitere Evidenz ist die alter Quellen. Beispielsweise Buecher ueber Astrofotografie aus der Vordigitalzeit. Eins meiner Buecher von fruher ist "Karkoschka, Merz, Treutner; "Astrofotografie", Kosmos-Verlag. Gibt es teils fuer ein paar Euro gebraucht zu kaufen. Wenn man die dort dargestellten Schwarzweissbilder mit heutigen Resultaten vergleicht, weiss man wieder, wie gut man es eigentlich hat.


    Auch aeltere Magazine sind gut geeignet, um z.B. Amateurfotos von frueher in Kontext zu heute zu stellen. Viel mehr in Schwarzweiss, und damals in der Tat stundenlange Belichtungen, um das zu erreichen, was eine Digitalkamera in ein paar Minuten schafft.


    Den digitalen Durchbruch schaffte in der Amateurszene die digitale Spiegelreflexkamera. CCDs gab es zwar auch schon seit ca. 1990 (z.B. SBIG ST-4), aber sie waren sehr teuer und sehr klein. Auslesen dauerte sehr lange, und alleine das Fokussieren oder das Auffinden des Objekts waren damals eine Wissenschaft fuer sich. Die DSLR hingegen wurde dank Massenfertigung vergleichsweise bezahlbar, man konnte durchschauen und der Chip war relativ gross. Objektsuche und Fokussieren wurden so stark vereinfacht - letzteres vor Allem nach Einfuehrung des Livemodus zum Scharfstellen. Und dank Intervallometer muss man auch nicht mehr fuer jede Belichtung auf die Uhr schauen oder sich einen Kuechenwecker zulegen wie noch in alten Zeiten.

    EDIT und caveat: Alle meine Ausfuehrungen beziehen sich auf Deepsky-Astrofotografie. Planetenfotografie wurde durch Digitalkameras ebenfalls revolutioniert, sogar noch staerker!




    Hi Carsten,


    das ist definitiv so! Vorteile heute:


    - Hoehere Quanteneffizienz (Fotoplatte 1-2%, CCD bis zu ca. 90%)
    - Kein Schwarzschildverhalten
    - Linearitaet des Empfaengers
    - Sofortige Verfuegbarkeit des Resultates --> Korrekturen von Fehlern instant moeglich
    - Digitales Signal und damit die Bildverarbeitungsmoeglichkeiten
    - Moeglichkeiten der Kalibration, z.B. Flatfielding
    - Automatisierungsmoeglichkeiten
    - Stacken von Bildern - rauscht der Satellit durch, ist nur eine einzige Belichtung und nicht die ganze Aufnahme im Eimer (auch wenn Elon Musk an diesem Punkt arbeitet), und die Anforderungen an die Nachfuehrgenauigkeit (Mechanik, Durchbiegungseffekte etc) sind deswegen geringer.


    Ich mache Astrofotografie seit 1984, und ich sage immer gerne: "Vergiss die ersten 20 Jahre". Die besten chemischen Bilder sind heute gegenueber typischen digitalen Bildern "so lala". Und dabei verwende ich nur eine digitale Spiegelreflexkamera.


    Also ganz klarer Fall - und noch nie war es fuer Einsteiger so einfach, in die Astrofotografie einzusteigen. Es bleibt eine steile Lernkurve und lehrt Geduld und Frustrationstoleranz. Aber kein Vergleich zur Astrofotografie auf Film.


    Auch kann man heute mit kleinen Instrumenten Bilder machen, die frueher nur Sternwartengeraeten vorbehalten waren. Ich bin manchmal erstaunt, was ich mit meinem 200er Newton so aufnehmen kann. Und dann lebt da unten im Dorf der aeltere Herr mit seinem 70mm-Winz-ED-Refraktor, der dank Highendkamera und Bildverarbeitungserfahrung meinen Newton wiederum alt aussehen laesst.