Hallo zusammen,
wenn darüber nachgedacht wird, was ein Apochromat ist bzw. was so genannt werden soll / kann / darf, lohnt sich vielleicht ein Blick auf die Entstehung des Begriffes.
Seit den Zeiten Fraunhofers hatte es bei den Linsenobjektiven keine Fortschritte in der Farbkorrektur gegeben, und schon Fraunhofer hatte erkannt, daß für weitere Verbesserungen neue Gläser mit anderen Eigenschaften als die verfügbaren notwendig waren. Leider ist er ja recht jung verstorben - wer weiß, was er bei seinen eigenen Glasschmelzarbeiten noch erreicht hätte...
Erst die Zusammenarbeit von Ernst Abbe und Otto Schott führte seit 1881 zu den neuen Glassorten, mit denen die Farbkorrektur wesentlich verbessert werden konnte. Dies kam zuerst den Mikroskopen zugute: Im Jahr 1886 wurden von Carl Zeiss "Neue Mikroskop - Objective und Oculare aus Special-Gläsern des Glastechnischen Laboratoriums (Schott & Gen.)" vorgestellt.
Auf einer Sitzung der "medicin.-naturw. Gesellschaft zu Jena" am 9. Juli 1886 hat Ernst Abbe einen Einführungsvortrag gehalten, der im Druck aus den Sitzungsberichten den Titel trägt:
"Ueber Verbesserungen des Mikroskops mit Hilfe neuer Arten optischen Glases".
Abbe geht hier auf den Ansatz ein, neben der Kieselsäure nunmehr auch Phosphor- und Borsäure für die Gläser zu verwenden. Zum Stand der Achromate führt er aus:
"In den besten Objectiven konnten nicht mehr als z w e i verschiedene Farben des Spectrums zu wirklicher Vereinigung gebracht werden; die unvermeidliche Abweichung der übrigen - das sog. tertiäre Spectrum - liess immer farbige Zerstreuungskreise von merklicher Ausdehnung und merklicher Lichtintensität übrig. Ausserdem war es auch mit dem bis jetzt verfügbaren Glase nicht möglich - wenigstens nicht in practisch durchführbaren Constructionstypen - die s p h ä r i s c h e Aberration für mehr als e i n e Farbe aufzuheben. Alle Objective blieben, wenn auch für die Mitte des Spectrums die sphärische Abweichnung möglichst aufgehoben war, doch mit einer sphärischen Untercorrection für das rothe und einer sphärischen Uebercorrecktion für das blaue und violette Licht behaftet - welcher Defect practisch in die Erscheinung tritt als eine mehr oder minder starke Ungleichheit der c h r o m a t i s c h e n Correction zwischend der mittleren und der peripheren Zone des Objectivs."
Dann zum erzielten Fortschritt:
"... Diese beiden Mängel der Strahlenvereinigung in den bisherigen achromatischen Systemen lassen sich nun mit Hilfe der neuen Glasarten so gut wie vollständig beheben.
Erstens kann die secundäre Farbabweichung gehoben und auf einen praktisch unschädlichen Farbenrest t e r t i ä r e n Characters reduciert werden - was bisher noch in keiner Art von optischer Construction auch nur annähernd erreicht worden ist;
zweitens lässt sich die chromatische Differenz der sphärischen Aberration beseitigen, d.h. die spährische Abweichung lässt sich gleichzeitig für zwei verschiedene Farben des Spectrums (und damit practisch so gut wie für alle Farben) vollständig corrigieren.
Der letzteren Forderung ist bisher nur bei Fernrohrobjectiven, für welche Gauss sie zuerst formulirt hat, einige Male genügt worden, jedoch ohne dass hierdurch - mangels einer gleichzeitigen Beseitigung der secundären Farbenabweichung - ein besonderer Gewinn erzielt worden wäre."
Nach Ausführungen zu den Bedingungen, unter denen die beiden Fehler beseitigt werden können, wird der Begriff "Apochromat" erst eingeführt:
"Da nach dem Gesagten die Bedingung für diese Eigenschaften der in Betracht stehenden Objective, und zugleich unter dem dioptrischen Gesichtspunkt ihr unterscheidendes Merkmal, in der Beseitigung solcher Fehler der Strahlenvereinigung liegt, welche, obwohl die zum Theil den Charakter sphärischer Aberrationen tragen, sämtlich in dem ungleichen Verhalten verschieden f a r b i g e r Strahlen wurzeln, und da die Aufhebung dieser Fehler thatsächlich eine Achromasie von h ö h e r e r Ordnung, als bisher errreichbar war, begründet, so mögen die Objective dieses Systems zur Unterscheidung von den achromatischen Linsen im Sinne des bisherigen Begriffs, als a p o c h r o m a t i s c h e Objective und A p o c h r o m a t e bezeichnet werden."
Wie man sieht wurde also der Begriff "Apochromat" für eine soeben realisierte Objektivkonstruktion geschaffen - nicht das Objektiv nach dem Begriff und seiner Auslegung.
Natürlich ist es verständlich, daß die Bezeichnung "Apochromat" in den folgenden Jahrzehnten auf alle Objektive übergegangen ist, die visuell als farbfehlerfrei erscheinen. Und wenn dies in eine Forderung für das Optikdesign übersetzt werden soll, dann bietet sich heute eine Definition über den Strehlwert wie die von Dr. Pudenz (Link oben) an. Die Beobachtungspraxis am AOM-Doublet 160/1600 bestätigt, daß die dortige Vorgabe ihren Zweck erfüllt. Eine Überraschung ist das freilich nicht, denn man darf annehmen, daß sich seit Abbes Zeiten in der Astroabteilung einiges an Erfahrungswissen angesammelt hatte - Dr. Pudenz hat ja auch das APQ-Objektiv gerechnet.
Gruss Lars