Hallo Friedrich,
guten Morgen
Als bekennender Fenster-Sternseher mit inzwischen etwas Erfahrung hätte ich ein paar Gegenfragen. Denn "Fensterln" in Ermangelung eines Balkons ist nicht unmöglich (auch mir wurde anfangs unbedingt abgeraten), es kann sogar Vorteile haben! Es ist allerdings eine besondere Beobachtungssituation, die einen auf kleine bis mittlere Öffnungen einschränkt und evt. kleine Um- oder Aufbauten bzw. Anpassungen am Fenster oder seiner Umgebung nötig macht, was vielleicht nicht jeder mag. Aber wenn man sich derart individuell einigermaßen darauf einrichtet, dann geht es überraschend gut! Und vor allem, es geht wunderbar oft, auch zwischendurch, finde ich. Wolkenlücken, Wetterwechsel, kurz noch klarer Himmel bevor der Dunst oder Nebel aufsteigt, die oft besonders klare Luft nach einem Regen nutzen, noch schnell einen Blick in den Himmel oder auf den Mond, oder einen majestätischen Planeten, bevor man zu Bett geht, - alles kein Problem, ein paar Handgriffe und ich bin startklar. Wieviele schöne Beobachtungen wären mir sonst durch die Lappen gegangen, weil mit einer großen Ausrüstung rauszufahren den Aufwand nicht gelohnt hätte... Also, vielleicht helfen folgende Überlegungen weiter:
0. Wollt Ihr Euren Vater unbedingt mit einem Komplettpaket zum Einstieg überraschen, oder kann er in die Entscheidung mit einbezogen werden? Ein überraschendes Geschenk ist natürlich eine schöne Idee, aber die Angelegenheit ist halt auch etwas speziell, und es geht ja darum dass Dein Vater mit den Gerätschaften klarkommt. Wenn irgend möglich, wäre es eigentlich am besten, ihn zunächst mit Einsteiger-Literatur zur Teleskopwahl auszustatten, evt. was aus der Stadtbib leihen, da gibt es meistens genug davon, damit er einen Überblick bekommt was ihm gefallen könnte. Und mit diesem Vorwissen könnte er über die eigenen Vorstellungen und die eingeschränkten Beobachtungsmöglichkeiten am Fenster dann genauer nachdenken, und z.B. mal zu einer Sternwarte fahren und sich dort von den Leuten etwas zeigen lassen. Wenn man weiß was man will, kann man auch bessere und gezielte Fragen stellen. Evt. gibt's auch einen einigermaßen gut sortierten Händler in der Nähe, wo man sich beraten lassen kann, und selber Durchschauen und Hand anlegen. Wenn das alles eher nicht in Frage kommt, oder von Fensterbeobachtung gleich abgeraten wird, hier ein paar weitere Fragen, die zu überlegen sich vielleicht lohnen:
1. Wie tickt Dein Vater? Wenn ich mal exemplarisch und wertneutral die Extreme nenne, wo würdest Du ihn einordnen: eher geduldig und systematisch oder legt er mehr Wert auf Beobachtungserfolge ohne viel Aufwand? Ist er z.B. handwerklich geschickt und experimentierfreudig beim Sägen, Bohren, Schrauben und Dübeln, hat er vielleicht eine kleine Werkbank für Arbeiten an Holz und Metall, oder ist er eher ein Genießertyp, oder hat er vielleicht zwei linke Hände, oder einfach keine Lust, groß Zeit und Aufwand zu investieren und bevorzugt lieber eine fertige Lösung von der Stange? Wie gut sieht er, muß er mit, oder kann er auch ohne Brille beobachten? Wo wohnt er, unter dunklem Landhimmel, oder in der lichtverschmutzen Stadt? Will und kann er das Teleskop auch mal nach draußen transportieren?
2. Zum Beobachtungsplatz im Haus: Hat das Zimmer nur Dach- oder auch Seitenfenster, und gibt es Fenster in Richtung Süden? Dachfenster sind im Prinzip nicht so ideal. Oft lassen sie sich nicht weit aufklappen, oder ragen beim Aufklappen zu weit ins Innere, was den Beobachtungsradius einengt. Ein Seitenfenster lässt sich meist viel weiter öffnen ohne dass der Fensterflügel stört und hat zudem den großen Vorteil, dass man es mit - möglichst dicken, schweren und blickdichten - Vorhängen ausstatten kann, die man mit Wäscheklammern dicht um den möglichst weit herausragenden Teleskoptubus herumpackt. Je dicker, schwerer und dichter der Stoff, desto besser isoliert er, und schirmt Luftzug und leichte Windstöße und auch Störlicht aus der Nachbarschaft ab. Wichtig ist, dass sie bis auf die Fensterbank herunterreichen, sie abdecken, und auch sonst überall möglichst dicht abschließen. Wenn man sich eine geschickte Anbringung des gut ausgewählten Stoffs überlegt, reduziert sich die ungünstige Thermik bei nicht ausgekühltem Zimmer ganz erheblich und das Bild bleibt dann viel besser scharf und ruhig, weil es (so gut wie) keine Ausgleichsströmung zwischen Innen- und Außen mehr gibt, die sonst zuviel störendes Gewaber erzeugt.
Als angenehmer Nebeneffekt bleibt das Zimmer dabei auch (länger) einigermaßen warm, was das Beobachten etwas gemütlicher macht. Etwas nachteilig ist, dass man zum manuellen Peilen und Aufsuchen der Objekte jedesmal die sonst mit Wäscheklammern ums Teleskop fixierten Vorhänge zurückschlagen muß und dann wieder für kurze Zeit beim Aufsuchen das lästige Zimmer-Seeing einsetzt. Mit einer kleinen Goto-Montierung läßt sich aber auch das vermeiden
Die südliche Ausrichtung ist wichtig, weil man die meisten Beobachtungsobjekte dort am besten sehen kann, Südost oder Südwest gehen auch, Nord ist eher uninteressant. Unter dem Seitenfenster sollte am besten eine Grünfläche sein, über die der Blick geht - über dicht bebauten asphaltierten Flächen, Dächern oder Straßen ist die Luft sehr unruhig, Wiesen und Gärten, Felder und Wälder sind für das Seeing besser. Stein und Beton erwärmen sich am Tag und strahlen die Wärme nachts noch lange ab, daher ist es für ruhige Luft ums Haus etwas besser, wenn es sich zufällig um ein Holzhaus handeln sollte..?
Ein Fenster mit Fensterbrett hat gegenüber einem Dachfenster noch einen zweiten Vorteil: man kann sich eine kleine Montierung mit einem stabilen Tischstativ so zurichten, dass die kurzen Stativbein draußen auf dem Fensterbrett und drinnen auf einem schmalem festen Tisch oder Regalbrett unter dem Fensterbrett stehen. Damit gelangt der Dreh- und Schwenkpunkt des Teleskops möglichst weit nach auswärts über die Fensterbrüstung, was den Beobachtungsradius erheblich vergrößert und die ungünstige Thermik für die Optik verbessert, die dadurch so weit wie möglich nach draußen schaut. Ist Dein Vater handwerklich interessiert, kann er sich für die Monti auch eine kleine Plattform, eine verbreiterte und stabile ebene Standfläche wie einen kleinen Tisch über dem Fenstersims ausdenken und bauen, oder eine mit Schraubzwingen reversibel zu befestigende Halterung basteln, sobald er weiß, welche(s) Teleskop(e) und Montierung(en) er will...
3. Zur Montierung: Möchte Dein Vater einfach möglichst unkompliziert, frei und spontan mit niedriger Vergrößerung am Himmel spazierensehen, oder möchte er lieber mit höherer Vergrößerung und/oder bei automatisch nachgeführtem Teleskop beobachten, was zum Ausgleich der Erddrehung für Mond und Planeten sehr zu empfehlen ist? Eine parallaktische Montierung würde ich für zuhause aus dem Fenster ausschließen, weil deren Rektaszensionsache auf den Polarstern ausgerichtet werden muß, was in einem Zimmer meistens nicht geht (ja..., ich weiß, aber Scheinern dauert und ist für Anfänger kaum zu empfehlen). Im ersten Fall wäre eine handgeschobene azimutale Montierung am bequemsten aufzubauen und zu "händeln", im zweiten Fall eine kleine azimutale elektronische GoTo sehr geschickt, weil sie nicht nur nachführt, sondern auch die Objekte findet, sobald sie korrekt eingerichtet ist. Das Einrichten ist kein Hexenwerk, verlangt aber eine grobe Orientierung am Himmel, damit man wenigstens einen Referenzstern beim Ausrichten richtig zuordnet (sog. One-Star-Alignment, reicht für visuelle Zwecke bei genügend waagerechter und stabiler Aufstellung der Monti aus). Außerdem muss man sich mit der Bedienung der Elektronik vertraut machen. Wenn man dagegen von Hand schiebt und peilt, sind Sternkarte und Rotlicht unabdingbar, sonst findet man wenig bzw. kann es nicht zuordnen.
4. Zum Teleskop. Aus dem bereits Gesagten ergibt sich m.E., dass Newton-Teleskope mit Front- und noch dazu seitlichem Einblick für Astronomie aus dem Fenster heraus so ziemlich das aller-ungeeigneteste sind, was es überhaupt gibt. Man kann den Newton wegen des Einblicks nicht weit aus dem Fenster hängen und der Spiegel bleibt trotzdem immer hinten im wärmeren Innenraum, wo er aufgrund des Temperaturgradienten zur Außenluft schlecht bis gar nicht zur Ruhe kommt. Der Drehpunkt liegt außerdem niedrig und damit unnötig weiter weg von der Fensteröffnung, was den Beobachtungsradius extrem einschränkt. Deshalb würde ich unbedingt auf Teleskope mit Heckeinblick setzen, die nicht groß Auskühlen müssen. Das schließt erstens Newtons für Fensterbeobachtung m.E. kategorisch aus (hielte ich für einen unüberlegten Beratungsfehler), und es limitiert zweitens die Größe von Katadioptern wie MAKs und SCs auf maximal ca. 150mm Öffnung, weil z.B. MAKs mit ihrer dicken Frontlinse sonst stundenlang nicht zur Ruhe kommen.
Mit einem Refraktor ist das alles kein Problem, und obendrein kann man den auch für Tagbeachtung von Vögeln, sonstigen Tieren oder Flugzeugen gut einsetzen. Ich würde daher einen Refraktor mit 80 bis maximal ca. 120mm Öffnung empfehlen, bei dem der Tubus allerdings nicht allzu lang sein darf, wenn es nicht zu schwer und zu voluminös beim Schwenken werden soll. Also entwerder eine Kombination aus kurzem bis mittlerem Achromaten für Weitfeld plus einem Katadiopter für Planeten und Mond. Oder, wenn es unbedingt nur ein Gerät sein soll, ein visuell farbreiner ED-Apo - aber dann wird das Budget nicht für mehr als 80mm reichen. Interessant wäre vielleicht eines der neuen Lanthan-Doubletts, die man teils für weniger als 500 bekommt. Es sei denn auch Gebrauchtkauf käme infrage, da kann man z.B. einen bekannt guten und relativ leichten Skywatcher ED 100/900 durchaus schon mal für 400 finden.
Zu solchen leichteren Teleskopen passt einen kleiner aber genügend stabiler azimutalen Kopf wie z.B. der TS-AZT6, evt. mit zusätzlichem kleinen Ausgleichsgewicht, den man auf ein stabiles Fotostativ mit kurzen flach abspreizbaren Beinen setzen kann, damit kommt man gut über den Fensterrahmen. Feintriebe fehlen dort, sind m.E. aber nicht unbedingt nötig. Sollte man jedoch mal ausprobieren, mancher tut sich bei höherer Vergrößerung damit doch leichter, dann wäre die genannte Porta o.ä. Alternativen interessant. Oder man gönnt sich eine kleine GoTo wie z.B. die Az-GTi, die sich ebenso auf so ein gut spreizbares kurzbeiniges Stativ setzen lässt. Wenn die Möglichkeit ohne Motoren und Lautstärke zu schwenken wichtig ist, sollte man bei der aber ausprobieren, ob der manuelle Schwenkmodus genügend feinfühlig geht. (Oder vielleicht selbst mechanisch verbessert werden kann, irgendwo hat das mal jemand beschrieben).
Die Okularausstattung wäre dann noch ein eigenes Thema, Zoom mit bequem veränderlicher Vergrößerung oder Festbrennweiten mit mehr Sehfeld, oder beides, oder evt. sogar ein Bino-Ansatz (für Mond und Planeten sehr zu empfehlen), Einblick mit oder ohne Brille...
Ich selbst beobachte DeepSky und Weitfeld sehr gern mit dem leichten Nexstar SLT 102 Refraktor, der ist fertig montiert mit einem Griff ins Fenster gestellt. Oder ich nehme den Skywatcher 120/600, der noch einen Tick weitwinkliger geht und für DeepSky sichtbar mehr Licht liefert, mehr als jeder kleinere Apo, und sei der optisch noch so gut. Der Farbfehler ist mir bis ca. 60-fach sehr gut erträglich, mit 2" Okularen sind das beides schöne Weitfeldteleskope. Für höhere Vergrößerungen an Kugelsternhaufen oder Mond und Planeten wechsle ich auf das Celestron SC6, das dank Isoliertapetenmantel nicht groß Auskühlen muß und mit nur 3,5kg Tubusgewicht problemlos auf die genannten kleinen Montierungen passt. Wobei sich alle Teleskope auf der GoTo-Monti auch mit Bluetooth per App vom Tablet/Smartphone aus bequem steuern lassen. (Und für Videoastronomie brauche ich auch keinen Labtop oder eine mobile Stromversorgung, denn der PC steht neben dem Fenster. Damit lassen sich am Bildschirm in wenigen Sekunden bis höchstens ein, zwei Minuten Belichtungszeit - also quasi live - trotz der bescheidenen Öffnungen Strukturen sichtbar machen, die auch mit dem besten Riesen-Dobson unter Hochgebirgshimmel visuell nicht erreichbar sind, auch wenn dessen Auflösung und Lichsammelvermögen x-fach höher liegen...)
Viel Erfolg,
Mathias