Hallo zusammen.
Das sind ja sehr interessante Neuigkeiten. Schön, wenn eine Firma mit inzwischen erweiterter Entwicklungkapazität (Explore Scientific, Lunt) auch gewillt ist und den Mut hat, Einsteiger mit schmalem Budget von diesem neuen Potential profitieren zu lassen. Wenn Bresser auch klassische langsame FHs neu auflegt, und einem lichtstarken Weitfeldrefraktor zum Einsteigerpreis sogar schon ED-Glas spendiert, ist das sehr beachtlich und erfreulich. Und wenn diese Geräte, wie es aussieht, auch noch mechanisch vernünftig konzipiert und z.B. mit einem guten Auszug ausstattet sind, dann wünsche ich diesen Aktivitäten beste Nachfrage und damit auch den verdienten geschäftlichen Erfolg. Konkurrenz belebt das Geschäft und es ist gut, wenn dem auf Einsteigergebiet manchmal behäbigen Syntakonzern das Feld nicht allein überlassen ist.
Gerds Hinweis aus berufenem Mund, man müsste die schnelle ED-Optik des Bresser 102/F4.5 eigentlich auch in einer entspannteren Variante mit F6 oder F6.5 ähnlich kostengünstig anbieten können, und seine Erklärung, dass man damit schon eine beachtliche und recht universelle optische Leistung zur Verfügung hätte, wie sie gegenwärtig zu diesem Preis kein anderes Teleskop bieten könnte, sollte jeden Liebhaber günstiger Refraktoren elektrisieren. Aus eigener Erfahrung kann ich bekräftigen, dass an Achromaten die Abschätzung gut hinkommt, hier für ein kontraststarkes und weitgehend von CA unbeeinträchtigtes Bild eine Vergrößerung von nicht mehr als ca. dem 8-9fachen der Öffnungszahl zu wählen. Für mein FH-102/F6.5 wären das also ca. 50-60fach und in der Tat schlägt oberhalb davon die CA dann schnell und mehr und mehr kontrastmindernd zu. Mit einem zu F13 oder F14 äquivalenten Einsteiger-ED 102/F6 wären demgegenüber laut Gerd ca. 100-130fach in so guter Qualität möglich, dass man damit die Öffnung visuell fast maximal ausreizen würde (ca. AP 0.8). Dieses Potential in einem relaiv leichten kompakten Gerät und zu diesem Preis, das wäre doch fabelhaft!
Nicht wenige erfahrene visuelle Beobachter stellen beim unvoreingenommenen Vergleichen fest, dass z.B. ein FH 120/1000mm mit seinen F8,3 inpuncto wahrnehmbare Details und Auflösung an Planeten wie Jupiter jeden 100mm Vollapo schlägt. Auch wenn der Restfarbfehler des Achromaten den Kontrast etwas reduziert und die Farbwiedergabe etwas verfälscht, sind mit der höheren Öffnung viele Details in den Wolkenbändern auszumachen, die mit 4 Zoll einfach nicht gehen, egal wie gut die abbilden. Der Öffnungsunterschied reicht aus, um die Abbildungsnachteile des FH überzukompensieren, es gilt auch da bereits "Aperture rules". Übertragen auf den hypothetischen Einsteiger-ED 102/600 (oder auch mit f=650mm) hieße das, dass dieses Gerät visuell auch den besten 80er Vollapo bei der Detailwahrnehmung hinter sich lassen dürfte.
Was nun den neuen schnellen ED 102/F4,5 Einsteigerrefraktor angeht, möchte ich spekulieren, dass neben der an erster Stelle genannten Weitfeldtauglichkeit für dieses Gerät noch eine Reihe weiterer Einsatzmöglichkeiten bestehen, die von der extremen optischen Auslegung ebenfalls profitieren sollten, auch wenn diese auf den ersten Blick fragwürdig scheinen mag. (Immer vorausgesetzt, diese schnelle Optik ist in der Praxis tatsächlich so tauglich, wie Gerd es vermutet, also bis ca. 70x gut einsetzbar). Dann böten die Kenndaten zumindest theoretisch noch weitere interessante Perspektiven :
<ul><li>Tagbeobachtung läuft gewöhnlich von AP 5mm oder 4mm bis ca. AP 1,5mm. Für einen Vierzöller bedeutet das ca 20-knapp 70-fache Vergrößerung, sonst wird das Bild zu dunkel. Bisherige günstige, kompakte und transportfreundliche F5-FH-Richfielder (auch viele günstige Spektive haben ein vergleichbares Öffnungsverhältnis) brechen oberhalb von 40-45fach (Faktor8-9 mal Öffnungszahl) jedoch zwangsläufig schnell ein und werden flau und bunt. Der neue kurze 4-Zoll Bresser dagegen sollte trotz seiner reise- und montierungs-freundlichen Kompaktheit über den gesamten Tagvergrößerungsbereich bis knapp 70fach durchhalten. Nicht schlecht, wenn man im Urlaub außer dem nächtlichen Sternenhimmel auch mal einen entfernten Vogel am Tag, Schiffe am anderen Ufer oder Bergsteiger in einer Wand usw. näher inspizieren will. Und die Dachkante eines brauchbaren und bezahlbaren Amiciprismas für seitenrichtige Darstellung dürfte bis knapp 70fach auch noch einigermaßen mitspielen ohne Kontrast und Schärfe ganz zu verderben. </li>
<li> Binobeobachtung mit 30-40fach bei weitem subjektivem Sehfeld. Vergrößerungen um 35fach bieten für viele Objekte am Himmel eine ideale Übersicht zur ersten Orientierung. (Auch bei Tagebeobachtung ist ca. 35fach oft ideal, wie das Militär mal in historischer Zeit herausgefunden hat, weil die Wetterlage den atmosphärisch möglichst unbeeiträchtigten Einsatz dieser Vergrößerung mit Großferngläsern über Land am häufigsten noch gut erlaubt. Und ca. 35fach bedeutet für 100mm Öffnung auch den AP-Bereich um ca. 3mm, in dem das Auge optimalen Kontrast liefert). Es ist jedoch schwierig, mit einem Bino diese niedrige Vergrößerung mit gutem Sehfeld zu erreichen. Denn leider schatten günstige Binoansätze Okulare mit Feldblende über 24mm ab (Die Prismen werden sonst zu groß, zu schwer und zu teuer) D.h. für ein relativ weites subjektives Sehfeld von ca.70° darf die Okularbrennweite dann maximal ca. 20 mm betragen. Damit zweitens aber der Verfahrweg des OAZ nicht zu lang wird (Lagerprobleme) und es auch für Monookularbeobachtung noch reicht, muß ein Backfokus-verbrauchendes Bino fast immer mit brennweitenverlängernden Glaswegkorrektor eingesetzt werden. Faktisch reduziert das die effektive Okularbrennweite um dessen Vergrößerungsfaktor. Wenn z.B. die Verkürzung eines 1,6fach GWK reicht, hat man effektiv nur noch 12,5 mm Okularbrennweite um 70° Sehfeld zu erreichen. Bei 460mm Objektivbrennweite ergäbe das ca. 37fache Vergrößerung, ziemlich genau im gewünschten Bereich. Bei den 600-650mm eines F6-6,5 Geräts liegt man mit um die 50fach schon deutlich zu hoch, bzw. muß mit 26mm Okularbrennweite (effektiv mit GWK ca.16mm) durch ein günstiges Bino mit einem Sehfeld um ca. 50-55° Vorlieb nehmen. </li>
<li>Sonnenbeobachtung mit dem Daystar Qark H-alpha System in 1,25". Dessen Telezentrik verlängert die Objektiv-Brennweite um das 4,2fache, d.h. ein 26mm 1,25"Okular mit Feldblende max. 28mm und 65° subjektivem Sehfeld ergäbe am kurzen Bresser 74fache Vergrößerung, womit die Sonnenscheibe gerade noch formatfüllend ins Bild passte und wobei die Bildqualität noch gut sein dürfte. (Daystar empfiehlt für formatfüllende Sonne max. 450mm Objektivbrennweite) Das ganze mit einer Auflösung von 100mm Öffnung zum Preis von insgesamt ca. 1600-1700 Euro, das wär doch was. Bisher war man hier bei der vorzuschaltenden Optik für ein Sonnenkomplettbild wegen der Brennweitenbegrenzung entweder auf teurere kurze Apos, Apos plus Reducer, kleinere Apos mit weniger Öffnung, oder hochgeöffnete mittellange und deshalb schwerere FHs plus Reducer mit erhöhter Montierungsanforderung angewiesen und landete so oder so deutlich über 2000 Euro. Auch das war schon günstig, H-alpha Teleskope mit 100mm Öffnung liegen sonst bei 5000-6000 Euro aufwärts. Der Bresser böte da vielleicht eine kompakte, leicht montierbare und vor allem günstige, neue Option. </li>
<li>Fotografisch werden kurze FHs z.B. gerne für Schmalbandaufnahmen von ausgedehnten Nebeln genommen. Da zahlt sich eine hohe geometrische Lichtstärke zur Verkürzung (der durch das schmale Band ohnehin schon verlängerten) Belichtungszeiten enorm aus, mit F4.5 halbiert sie sich im Vergleich zu F6. Das gilt natürlich auch bei L-RGB-Kompositen, wo außerdem die nötige Luminanzaufnahme von mehr Schärfe und Kontrast des ED-Objektiv zusätzlich sichtbar profitieren dürfte.</li>
<li>Last but not least Videoastronomie: hier sind möglichst hohe Lichtstärke und geringe Brennweite sehr gefragt. Weil die Sensorchips oft sehr klein sind, und man viele Beobachtungsobjekte anders nicht mehr komplett im Gesichtsfeld erfassen kann, müssen bei zuviel Brennweite hier oft sogar mehrere Reducer hintereinander eingesetzt werden. Der kurze Bresser könnte weitgehend darauf verzichten und dürfte hier voll in seinem Element sein. In amerikanischen Foren liest man, dass schon der gleichgeöffnete, aber entspanntere achromatische Bruder von Bresser mit seinen lichtschwächeren F6 ein hervorragenedes EAA-Gerät ist (electronic assisted Astronomy). Mit dem neuen Kurzen halbieren sich die nötigen Belichtungszeiten, bzw. dürfte man bei gleichen Belichtungszeiten (Live-Videokameras sind naturgemäß auf wenige Sekunden limitiert) vielleicht sogar eine knappe Magnitude tiefer kommen. </li>
</ul>
Und lohnende neue Möglichkeiten böten sich für Anwender sicher auch, wenn Bresser die F5-Richfieldrefraktoren mit höherer Öffnung, also die 120/127/150mm Systeme, nach und nach ebenfalls auf ED upgraden könnte. Das würde deren visuellen Einsatz von bisher ca. gut 40-50facher auf 60-80fache Vergrößerung hieven, was bei diesen größeren Öffnungen z.B. an Galaxien schon eine Menge Unterschied an Detailwahrnehmung machen dürfte. Ich bin jedenfalls gespannt auf die ersten Erfahrungsberichte mit diesem neuen kurzen Design und fast schon versucht, mir den Kleinen einfach mal zur Ansicht zu bestellen. Wäre zwischen meinem 80/F5 und meinem 120/F5 nicht schlecht aufgehoben und könnte an dieser Stelle den 102/F6,5 womöglich sogar verdrängen....
Allen Unkenrufen derer zum Trotz, die schnelle und oder günstige Refraktoren am liebsten als Gurken, einsteigeruntaugliche Spezialisten oder zu farbwerfenden Auslaufmodellen abstempeln würden, kommt nach Jahren der Stagnation im preisgünstigen Segment für Linsenteleskope offenbar Bewegung auf. Gut so!
Gruß,
Mathias