Beiträge von MartinB im Thema „Billigschrott für Einsteiger...muss das sein?“

    Hallo Leute,


    Auch die Sache mit der Werbung ist nicht das Kernthema dieses Threads, ich wäre aber schon gespannt, ob wohl einiges davon (525fache Vergrößerung, farbige Deepsky-Fotos etc.) den Tatbestand der irreführenden Werbung erfüllt. Ob das mal jemand gerichtlich überprüfen lässt?



    Aber zurück zum Thema:


    Obwohl viele so genannte "Einsteiger-Teleskope" eher als "Aussteiger-Teleskop" taugen, dürfen wir eines nicht vergessen: Verglichen mit dem Instrument, mit dem Galileo Galilei vor 400 Jahren die 4 großen Jupitermonde beobachtet hat, und auch verglichen mit dem Prototypen aller Newton-Teleskope, ist selbst der heutige "Billigschrott" fast durchweg wesentlich besser! Stellt euch einfach mal vor, 0,5° Gesichtsfeld am Himmel, maximal 20x Vergrößerung, 10° Okulargesichtsfeld, keinerlei Farbkorrektur!
    Etwas in der Art traut sich heutzutage wohl nur Astromedia anzubieten, und man muss sogar den Papptubus noch selber wickeln[;)]!


    Das heisst natürlich nicht, dass ich einem Einsteiger ein Teleskop aus der Celestron Powerseeker Serie oder ähnlichen Baureihen anderer Anbieter empfehlen würde. Dann lieber ein kleines Fernglas.


    Gruß,
    Martin

    Hallo Andreas,


    Dass die Anbieter sehr zurückhaltend sind, sich zu diesem Thema öffentlich in einem Internetforum zu äußern, kann ich ganz gut verstehen.


    Ich kenne Mitarbeiter und teils auch Inhaber mehrerer Firmen dieser Branche mehr oder weniger gut seit vielen Jahren persönlich, und habe teils auch schon Gespräche geführt, in denen das Thema "unteres Preissegment" angesprochen wurde.
    Dass ich hier keine Namen nenne, dafür bitte ich um Verständnis.
    Wenn es um die Geschäftsgrundlage geht, d.h. Geld, hört nämlich bei allen der Spaß auf. Das ist der große Unterschied zu uns Hobbyastronomen, wir können (zumindest theoretisch[;)]) von heute auf morgen auf die Amateurastronomie verzichten, die Anbieter können das meist nicht. Die Anbieter müssen auch sehr viel vorsichtiger sein als wir, was Äußerungen zu Mitbewerbern angeht.


    Es gibt bei den Anbietern durchaus deutlich differenzierte Ansichten zu diesem Thema.
    Die eigentliche Kernfrage scheint mir im Wesentlichen zu sein:
    Will ich an den Leuten Geld verdienen, die sich aus einer Laune heraus eben mal schnell ein Teleskopset für 100 Euro kaufen?
    Die Nachfrage ist einfach da. Das Problem ist nur, ich kann diese Nachfrage gar nicht bedienen, wenn ich es mir zum Grundsatz mache, meine Kunden objektiv und umfassend zu beraten.


    Nach den vagen Andeutungen meiner Gesprächspartner ist der Umsatz im unteren Preissegment bedeutend höher als bei den hochwertigen Produkten. Ich habe den Eindruck vermittelt bekommen, dass diejenigen Anbieter, die das untere Segment gar nicht bedienen, sich das auf Dauer nur leisten können, wenn die Amateurastronomie nicht ihre einzige Einnahmequelle ist.
    Dass einige Anbieter, die sich zumindest ein wenig für die Materie interessieren und nicht ausschließlich am maximalen Gewinn interessiert sind, nicht gerade stolz auf diesen Teil ihrer Produktpalette sind, davon gehe ich aus. Das tritt man dann auch nicht gern in der Öffentlichkeit breit.


    Das Hauptproblem im Billigsegment ist, es gibt keine Möglichkeit, die Kunden vernünftig zu beraten, sogar wenn die Bereitschaft auf Händlerseite da ist. Einfach weil ab ca. 15 Minuten Beratungsgespräch der Verkauf eines 100 Euro Teleskops ein Verlustgeschäft ist.


    Also werden solche Geräte meist anonym übers Internet rein nach Werbetext angeboten und gekauft. Dass da die tatsächlichen Fakten eine kleinere Rolle spielen als die Frage, ob das Foto des Geräts und der Werbetext den Vorlieben der ahnungslosen Kunden entspricht, sollte klar sein.


    Man kann es drehen und wenden wie man will: Als Kunde habe ich mindestens genauso viel Einfluss auf die angebotenen Produkte wie die Anbieter. Es kostet nur leider Mühe, diesen Einfluss auszuüben, indem ich mir vor dem Kauf klar mache, was ich erwarte, und was da tatsächlich angeboten wird.
    Wenn ich mich bei meinen Kaufentscheidungen nur von Träumen, Sehnsüchten, kurzfristigen Launen und dem billigsten Preis leiten lasse, muss ich mich nicht wundern, wenn ich keine real brauchbaren Produkte bekomme.


    Gruß,
    Martin

    Hallo Andreas,


    Ein Problem ist, dass selbst in einer idealen Welt mit ganz lieben Astrohändlern, die alle Kunden ehrlich und objektiv beraten, die Kunden verdammt noch mal gar nix von ihrem Hobby haben, wenn sie sich nicht mit der Materie befassen. Ich denke, ein ganz klein wenig technisches und physikalisches Verständnis gehört schon auch dazu.


    Es ist mir unbegreiflich, wie man Händler anprangern kann, aber faule Säcke von Käufern, die sich nicht mal die Mühe machen ungefähr verstehen zu wollen, was sie da kaufen, als Opfer von bösen Händler-Machenschaften hinstellen kann. Meiner Meinung nach sind solche Kunden am Billigschrott ganz genauso schuld wie die "bösen Händler".


    Nachtrag: Ich finde die Unwilligkeit, sich als Käufer über die Produkte <i>unabhängig</i> zu informieren, nicht mehr und nicht weniger moralisch verwerflich als die Tendenz von Anbietern, ihre Produkte extrem schönfärberisch zu beschreiben.


    Gruß,
    Martin

    Hallo allerseits,


    Ich verstehe eigentlich nicht, wo das Problem liegt.
    Es ist nun mal in einer Marktwirtschaft prinzipiell so, dass alles Verkaufbare auch tatsächlich verkauft wird, wenn es zum geforderten Preis Käufer findet.
    Das finde ich zwar auch nicht immer gut, aber so etwas im Hobbybereich zu reglementieren führt nur zu viel Bürokratie und unerwünschten Einschränkungen.


    Ich bin der Meinung, dass die Anonymität im Internet Auswüchse bei den Werbetexten gerade auch im Bereich Amateurteleskope fördert.
    Leider wollen viele Kunden auch Honig ums Maul geschmiert bekommen und sind selbst in ihren Entscheidungen nicht objektiv, ganz besonders bei Hobbyanschaffungen. Ich denke, das nutzen manche Verkäufer leider aus bzw. müssen es sogar ausnutzen, wenn der Umsatz stimmen soll.


    Zugegeben, es ist heute nicht mehr so einfach, objektive persönliche Beratung zu bekommen. Leider gibt es nicht mehr in jeder größeren Stadt ein Optik-Geschäft, das auch Amateurteleskope verkauft. Ich vermute, der Hauptgrund ist, dass die einerseits nicht mit dem Billigsegment mithalten können (bei einem 100 Euro Teleskop sind 15 Minuten Verkaufsgespräch schon zu teuer), und andererseits die Kunden im oberen Preissegment heute bei wenigen spezialisierten Fachhändlern kaufen oder gleich beim Hersteller.
    (Ich glaube andererseits nicht, dass vor 30 Jahren die Beratung in all diesen Geschäften wirklich gut war.)


    Und wenn's vor Ort zwar Beratung gibt, das Teleskop aber 50 Euro teurer ist, was machen dann die Kunden?
    Klar, sich vor Ort beraten lassen und dann beim billigsten Anbieter übers Internet kaufen.
    Alle Leute, die das schon mal gemacht haben, sind mit schuld an der Verbreitung von Billigschrott.


    Ernsthafte Interessenten können sich aber immer noch an die astronomischen Vereine wenden, oder an Einzelpersonen, zu denen sie über Foren wie dieses Kontakt aufgenommen haben. Da gibt's im Gegensatz zum Händler auch oft die Möglichkeit, Teleskope nachts praktisch zu testen, inklusive fachkundige und auch kritische Beratung.


    Übrigens, wenn's nur um den Spaß am visuellen Beobachten geht und die Kosten keine so große Rolle spielen, ist meine Einsteiger-Empfehlung ganz klar: 16" Gitterrohrdobson mit 100° Okularen 20mm und 9mm plus Peilsucher. Dazu das übliche Zubehör (Beobachtungsstuhl, Himmelsatlas, Rotlichtlampe etc). Gibt's zusammen schon für ca. 3000 Euro. Leider habe ich noch kein entsprechendes Set-Angebot gefunden.
    Da muss man dann später nur noch 2 Okulare und ein paar Filter nachkaufen und hat für den Rest seines Lebens eine sehr gute Hobbyausstattung. Schon auf 10 Jahre gerechnet ist das dann ein sehr preiswertes Hobby, das gerade mal 30 Euro im Monat kostet. Ein nur 3x benutztes Billigteleskop für 100 Euro ist so gesehen sogar teurer!


    Gruß,
    Martin