Beiträge von fraxinus im Thema „BB: Nocturne in vier Sätzen“

    Hallo Freunde der Nacht,


    was ist ein Nocturne?
    http://de.wikipedia.org/wiki/Nocturne_(Musik)

    "Ein in Besetzung und Satzstruktur nicht weiter festgelegtes Musikstück, mit überwiegend instrumentaler Besetzung." Aha!

    Besetzung ist klar: Dobsonian 33" f/3.9 solo und monokular




    <u>Satz I <b>Prelude</b> - Adagio resulotio</u>


    (Vorspiel - langsam zupackend)


    Nach einer ersten Nacht im Mittelgebirge auf 1100m Höhe mit dem neuen 33" Dobson war klar, dass ein paar Kleinigkeiten einer dringenden Überarbeitung bedürfen.
    Die neu eingebauten Lüfter zum schnellen <i>Herunter-Kühlen</i> waren ein wichtiger Schritt.
    http://www.astrotreff.de/topic…PIC_ID=158189&whichpage=5


    Ein weiteres Problem war die Leiter, die notgedrungen auf den Dach mitfahren musste und somit dem Salznebel der feuchten Strasse ausgesetzt ist.


    Doch manche Lösungen kommen überraschend, zum Beispiel wenn man mit knurrenden Magen einen Supermarkt tritt und in der <s>Astro-Abteilung</s> alias Schnäppchenecke neben dem Bäckerstand eine relativ hohe "Haushaltsleiter" erspäht. Ohne die Stufen zu zählen oder anderweitig herum zu theoretisieren, schleiche im mich sofort "langsam aber fest zupackend" heran, die Beute und sämtliche potentiellen Käufer immer im Blick!


    Für einen Einwegartikel noch nicht billig genug, aber als "Winterleiter" für den harten Einsatz ein echtes Schnäppchen[:)]


    Immer noch mit knurrendem Magen verlasse ich die Lokalität. das Restgeld reicht für halbes Brot vom Vortag. Immerhin! Manchmal müssen Opfer gebracht werden.




    <u>Satz II: <b>Étude</b> - vivace morendo</u>


    (Übung - lebhaft erregt, danach ersterbend)


    Der erste Einsatz mit der neuen Leiter sollte eine Übung werden, doch das konnte keiner vorher ahnen. Denn das Wetter zeigt sich am Mittwoch schon von seiner besten Seite.
    Beginnende Inversion mit Aussicht auf mehr!



    Weite Teile Deutschlands liegen unter einer Nebelschicht begraben. Darüber ist es frühlingshaft warm und teilweise sehr trocken. Nebeneffekt: ein Teil der Lichtverschmutzung bleibt unten!


    Das Auto wurde komplett gepackt, der Wecker auf 2:00 Uhr gestellt um pünktlich nach Monduntergang mit der Beobachtung beginnen zu können.
    Doch Murphy schläft nicht und hatte sich etwas besonderes ausgedacht:
    Der Spiegel lag die halbe Nacht bei Minusgraden im Auto, während es auf dem Berg satte Plusgrade hatte. Immer wieder schwappte der Nebel gaaaanz dünn über den Beobachtungsplatz, es war feucht.
    Jetzt braucht man nur den Deckel von der Spiegel-Verpackung zu nehmen und schon bekommt der Begriff <b>"Taupunkt"</b> eine <i>sehr</i> anschauliche Bedeutung.


    Der Fangspiegel konnte noch gerettet werden. Ein paar Minuten auf dem warmen Motorblock beseitigen jeden Taubeschlag. Aber beim Hauptspiegel kam jede Hilfe zu spät. Kurzer Blick in den Motorraum - nein, das Risiko ist zu groß! Ausserdem würde sich der Spiegel bis zum Morgengrauen nicht von diesem Schock erholen.


    Es wurde eine Übung im Auf- und Abbauen. Und eine kleine Aufsuchübung. Immerhin konnte ich mit den neunen Lüftern im Dauerbetrieb den Spiegel soweit <i>aufheizen</i>, dass er teilweise wieder frei wurde. Mit grässlichen Folgen für die Form und damit die Sternabbildung.


    Als zu guter letzt die Beläge der Höhenräder Eis ansetzen, packe ich zusammen...





    <u>Satz III: <b>Finale</b> prestissimo con fuoco accelerando</u>


    (Höhepunkt, äusserst schnell mit Feuer, weiter beschleunigend)


    Am letzten Freitag kam die vorläufig letzte Chance auf eine zünftige Deep-Sky Nacht.
    Wobei "Nacht" nicht ganz wörtlich zu nehmen ist, es blieben exakt zwei Stunden zwischen Monduntergang und Morgendämmerung.


    Diesesmal zeigte der Wetterbericht angenehme 60% Luftfeuchte und die Inversionschicht lag viel weiter unten. Könnte gerade so reichen, Taupunkt theoretisch -5°C, dass der kalte Spiegel nicht beschlägt.


    Doch Murphy beobachtet das närrische Treiben beim Dobson Aufbau, freut sich über meine mangelhaft durchblutete Großhirnrinde zu früher Stunde, und reibt sich die Hände.


    Nein, beim Einsetzen der nummerierten Stangen ist nichts falsch zu machen. Schwierigkeitsgrad etwa wie Lego für Alterstufe 1-3.


    Nur den Hut sollte man beim Aufbauen <i>niemals</i> unbeaufsichtigt lassen!
    Murphy verdreht den gern um 90°.
    Ja klar, das merkt man spätestens beim Einstecken des ersten Okulars.
    Oder, wenn man "Glück" hat wie in meinem Fall, schon etwas eher bei der Justage-Kontrolle per Laser. Also zurück auf Spielfeld Nummero 12 und das ganze nochmal!


    Noch 1:45 bis zur Dämmerung:
    Spiegel-Deckel auf - viola! Es reicht - gerade so!
    Ein leichter Schleier verflog nach kurzer Zeit.


    Die Luft war angenehm warm und ruhig, Seeing und Transparenz erhalten sehr gute Noten. Beides für sich allein geht noch besser, aber in <i>Kombination</i> ein sehr seltenes Ereignis.

    Der Korrekturzustand des unterkühlten Spiegels ist ziemlich gut, die leichte Überkorrektur baut sich langsam ab. Die Richtung stimmt. Irgendwann kann das ümschlagen. Egal, bis dahin ist es sowieso hell...


    Was macht man in so einer Nacht?


    Man kümmert sich zuallererst um ein Firstlight Objekt, das diesen Namen verdient:



    Auf dem Notizblock steht bei V=700x, AP=1,2mm:
    "B, A, D direkt, C indirekt ziemlich groß, E kleine Aufhellung, indirekt"


    Damit ist für mich die Frage beantwortet, ob es sich gelohnt hat, nach einem 28" einen nur unwesentlich größeren 33" zu schleifen - es hat[:p]
    Nominal ist der Unterschied nicht groß, dennoch liegt die Fläche eines 18-zöllers dazwischen!
    Mit dieser Größe kann man lebenslang glücklich sein!
    (Wobei mit "lebenslang" eher "viele Jahre" gemeint sind, und nicht ein vorzeitiger Sturz von der Leiter [xx(] )


    Zurück zu den Beobachtungen:
    Schon die Umgebung von HCG 55 ist eine Reise wert.
    http://www.astronomy-mall.com/…s.In.Deep.Space/h55ch.htm
    NGC 3735 ist groß und hell. Die kleine GX östlich vom HCG 55, sie hört auf den Namen MCG12-11-33, zeigt sich im Augenwinkel während das Nachschubens, einfach so!


    Hickson 55 ist etwas größer als Jupiter und visuell ein Genuss der Extraklasse!
    Schon mit niedrigen und mittleren Vergrößerungen zeigt sich ein leicht geschwungenes "S".


    Kosmologisch ranken sich Mythen und Sagen um die Tatsache, dass die schwächste Komponente E die doppelte Rotverschiebung wie der Rest hat. Will heissen: E gehört nicht dazu und erscheint "zufällig" zwischen A und D.


    Anderseits ist es etwas zuviel das Zufalls, weil HCG 55 nicht die einzige Gruppe ist, in der sogenannte "Dicordant redshift galaxies" ihr Unwesen treiben.
    Eine der wenigen Möglichkeiten, dieses Seltsamkeit zu erklären ist im Moment, in einigen Fällen einen Gravitations-Linsen Effekt zu unterstellen, der eine Hintergrund Galaxie in der Helligkeit verstärkt.
    Dann würde die statistische Verteilung der GX mit der Beobachtung nicht mehr im Widerspruch stehen.

    Und tatsächlich ist das E in HCG 55 ein heisser Kanditat!
    http://adsabs.harvard.edu/full/1995MNRAS.273..139M


    Zitat:
    "It has been suggested bei Hammer & Nottale (1986) that HCG 55 is a case of a gravitational lens. Deep, high-resolution images of such groups would be of great interest."

    So, so, noch ein paar Quadratmeter mehr Öffnung wären also von "großem Interesse"... sorry, nicht mir mir! Meine Frau setzt mir den Okularkoffer vor die Tür[:(]


    Der Rest ist schnell erzählt:
    Auf HCG 50 <i>musste</i> unbedingt ein Blick geworfen werden.
    Leider ist das Nachschubsen in Zenitgegend mit gleichzeitigen Hüpfen auf der Leiter nicht nur ein gefundenes Fressen für Murphy. Auch die Berufsgenossenschaft "Maler, Dackdecker, Zimmerleute" warnt ausdrücklich davor. <i>Obwohl</i> die Leiter auf gefrorenem Asphalt verdammt gut dahingleitet[:D]


    Immerhin, es war in kurzen Momenten möglich, so etwas wie eine "Struktur" an dieser lichtscheuen Gegend auszumachen. Wahrscheinlich war es die A und B Komponente.
    Die sind etwa so "hell" wie das E bei HCG 55.


    Nach dieser Quälerei gibt's was auf's Auge: M51
    Alles zerfällt bei indirektem Blick in Knöten und Fetzen. Die hellsten Teile der Spiralarme zeigen so etwas wie harte Innenkanten.
    Kurzerhand wird das Gesehene in den Ordner "Best ever" des visuellen Langzeitgedächtnis abgeheftet.





    <u>Letzter Satz: <b>Postludium</b> Allegro ma non troppo</u>


    (Nachspiel, schnell, aber keinesfalls übertreiben!)


    Um nicht in gemeine Blitzfallen auf der Heimfahrt (allegro!) zu tappen, bringe ich Murphy ein schnelles Opfer und lege mich während des Zusammenpackens gekonnt auf den glatten Asphalt. Dazu ein Fluch über Schmerzen im rechte Knie, alles nur gespielt, es sah sicher echt aus[:(!]
    Nein, ich bin nicht abergläubig, aber an einem Freitag dem 13. sollte man <i>dennoch</i> vorsichtig sein!

    Glücklich und zufrieden genieße ich auf der Heimfahrt die Morgendämmerung. Ein kurzer Zwischenstopp zeigt das ganze Ausmaß der Inversion. "Land unter" in den südlichen Flach-Ländereien.




    Nein, das sind keine Monster aus Loch Ness, das ist nur Rauch der Kraftwerke, beim Überwinden der Inversionsgrenze.


    Viele Grüße
    Kai