Beiträge von Atlas im Thema „Silvrettaerlebnis und Astropädagogik“

    Vielen Dank. Offenbar gibt es verschiedene Kriterien der Objektauswahl: physikalische Anordnung, ästhetische Erscheinung, einprägsame Namen, Mischung von Objektarten. In formaler Hinsicht kommt für mich noch hinzu: erstens lieber weniger als mehr Objekte, und zweitens beschreiben lassen. Denn wer beschreiben will, muß genau hinschauen und sieht deshalb mehr.


    Viele Grüße
    Johannes

    Hallo Hajü und Costa,


    den Dank für's Einstellen gebe ich gerne an Euch zurück. Es waren ja Eure Berichte vom letzten Jahr, die mich motiviert haben, zum Silvretta zu fahren. Und ich war dort bestimmt nicht zum letzten Mal!


    Ich hatte schon fast vermutet, daß der "Astrofuchs" bei Euch Silvretta-Fahrern bekannt ist.


    Mich würde noch interessieren, wie Ihr mit Euren Beobachtungsgästen umgeht. Betreibt Ihr die Astropädagogik so, wie ich es gemacht habe, oder habt Ihr andere Ideen und Erfahrungen?


    Viele Grüße
    Johannes

    <font size="4"><b>Silvrettaerlebnis und Astropädagogik</b></font id="size4">


    <font size="3"><u>Sterne über den Bergen</u></font id="size3">


    Die Neugier auf diesen Beobachtungsplatz, über den ich schon so viel gelesen hatte, war einfach zu groß. So fuhr ich am Sonntag zusammen mit einem Beobachtungsgast zum Silvretta Stausee in die Alpen, nachdem ich uns ein Zimmer im Gasthof Piz Buin besorgt hatte. Für die Nacht von Sonntag auf Montag war nur ganz leichte Bewölkung vorhergesagt, so daß ich das Fernrohr einpackte. Falls keine Beobachtungen möglich wären, sollte es eben ein Wanderausflug mit Übernachtung werden.


    Die Anfahrt dauerte statt der vorausberechneten 4 Stunden satte 6 Stunden – Sonntag Mittag auf der A 8! Ein besonderes Erlebnis war das letzte Stück auf der Silvretta-Hochalpenstraße, wo man in 34 Haarnadelkurven eine Steilwand überwindet und ca. 1000 Höhenmeter steigt. Meine Nervosität legte sich erst, als mir klar wurde, daß die dort sogar mit Linienbussen hinauffahren. Auf 2040 Meter über N.N angekommen bot sich eine imposante Bergkulisse mit Felsspitzen, Gletschern, Sturzbächen, Geröllfeldern und dem Stausee. Allerdings war es kalt und der Himmel weitgehend bedeckt. Die Unterbringung im Gasthof war aber völlig in Ordnung, das Restaurant war besser als vermutet.


    Gegen 21 Uhr riß die Bewölkung auf. Also hinein in die warmen Kleider und auf zum Großparkplatz. Der Parkplatz war weitgehend leer – 7 oder 8 Autos standen herum, davon 2 Wohnmobile und ein campingfähiger VW Bus. Da wir annahmen, daß in diesen Fahrzeugen Leute schliefen, hielten wir etwas Abstand und sprachen beim Aufbau und während der Beobachtungen nur gedämpft miteinander. Die Fauna dort oben ist ziemlich nachtaktiv: Kuhglocken läuteten im Dunkeln, irgendwo ganz in der Nähe wieherte mehrfach ein Pferd, und während des Aufbaus lief uns ein Fuchs buchstäblich zwischen den Füßen herum. Während seine schwäbischen Artgenossen sehr auf Distanz bedacht sind, mußte ich den „Silvretta mad fox“ schließlich mit der Taschenlampe vertreiben (leuchtend, nicht werfend), weil ich befürchtete im Dunkeln über ihn zu stolpern. Wahrscheinlich ist er aber gar nicht „mad“, sondern einfach nur von den Essensresten der Camper verwöhnt.


    Als wir mit dem Aufbau fertig waren, hatten sich die Wolken aufgelöst, bis auf ein paar Fetzen in den Bergspitzen und direkt im Süden. Allerdings war noch viel Feuchtigkeit in der Luft. Die Beobachtungssituation dort oben war für mich sehr ungewohnt. Denn während ich sonst auf freiem Feld mit Horizontsicht stehe, einige Bäume vielleicht im Norden, waren wir dort von Steilwänden und Graten umringt. Im Norden ragt die Felswand hoch auf und auch im Südwesten steht ein hoher Berg. In allen anderen Richtungen ebenfalls Bergspitzen, die jedoch weiter entfernt sind. Aber über den Felsen ein imposanter Sternenhimmel, der das Beste, was ich bisher auf der Schwäbischen Alb gesehen hatte, noch übertraf, zusätzlich geschmückt mit den Perseiden, die immer wieder wie Feuerwerksraketen über das Firmament schossen. Obwohl man dort also von Bergen eingeschlossen ist, war die Sichtbehinderung letztlich geringer als befürchtet. Vor allem ist der Süden relativ frei. Bis die Sterne hinter dem Berg im Südwesten verschwinden, haben sie den Meridian bereits durchlaufen.



    <font size="3"><u>Astropädagogik</u></font id="size3">


    Mein Beobachtungsgast war praktisch ohne astronomische Erfahrung. In seinem Leben hatte er bislang nur dreimal überhaupt in ein Teleskop gesehen, das letzte Mal vor 5 Jahren. Wie geht man in einer solchen Situation pädagogisch am besten vor? Obwohl es mich sehr gereizt hätte, die super schweren Objekte unter diesem Himmel zu probieren, kam ein Beobachtungsprogramm voller Exoten natürlich nicht in Frage. Statt dessen wählte ich helle Objekte aus, an denen auch ungeübte Beobachter ihre Freude haben, die aber auch dem Fortgeschrittenen etwas bieten. So stellte ich jeweils ein Objekt ein, setzte den Gast ohne Vorinformationen ans Okular, und bat ihn zu beschreiben, was er sah. Gelegentlich fragte ich gezielt nach, um seine Aufmerksamkeit auf das eine oder andere zu lenken: „Schau mal rechts oben, siehst Du dort vielleicht …?“ Dann ging ich selbst ans Fernrohr und beschrieb meine Eindrücke. Danach war der Gast wieder dran. Intensive und zeitaufwendige Detailbeobachtungen sind auf diese Weise natürlich nicht möglich. Aber man konnte sehr schön vergleichen zwischen dem, was ein Anfänger und ein geübter Beobachter in der gleichen Situation wahrnehmen.


    Hier unsere Objekte:


    1) <b>M 27</b>: nur um sicher zu stellen, daß es nicht gleich zu Anfang eine Frustration geben würde.


    2) <b>Saturnnebel (NGC 7008)</b>:
    Schon auf den ersten Blick bei 230x beschreibt mein Gast ihn (ohne Vorinformation) so: „Rund, in der Mitte etwas dunkler, und links und rechts stehen solche Dinger weg.“
    Ich selbst sehe darüber hinaus den Zentralstern, und an den Enden der Antennen zeigen sich die stellaren Lichtpunkte in einer Deutlichkeit, wie ich sie noch nie gesehen habe.
    Mein Gast, nachdem ich ihn auf diese Punkte hingewiesen habe: „Das ist ja dumm. Immer wenn ich auf diese Stellen schaue, verschwindet das Licht.“
    Daraufhin versuche ich, ihm indirektes Sehen beizubringen: „Schau auf den rechten Punkt, wenn Du den linken sehen willst, und umgekehrt.“ Doch das will ihm nicht so recht gelingen. Während ich selbst im Nachhinein oft gar nicht mehr weiß, ob ich ein Objekt nun direkt oder indirekt gesehen habe, erinnerte mich diese Situation daran, daß indirektes Sehen erlernt werden muß.


    3) <b>Little Gem (NGC 6818)</b>:
    Hier ein Bild dieses weniger bekannten PN:

    Image credit: Mitch and Michael Dye/Adam Block/NOAO/AURA/NSF


    Ich beginne mit 150x und steigere schrittweise bis 500x (ohne Filter). Mein Gast beschreibt die Grundform korrekt als Oval. Er lokalisiert auch die Helligkeitsvariationen entlang des Randes und erkennt, daß das Oval an einer der beiden spitzen Seiten offen ist. Ich selbst sehe auch den schwachen Halo außerhalb der beiden langen Seiten des Ovals, der dem Objekt insgesamt eine eher kreisrunde Gestalt gibt. Diesen Halo sieht mein Gast jedoch nicht, auch nicht nach genauem Hinweis von mir.


    4) <b>Adlernebel (M 16)</b>:
    Bei 150x (ohne Filter) springt dem Gast zuerst der Sternhaufen ins Auge. Den leuchtenden Gasnebel darüber sieht er erst, nachdem ich ihm erkläre, wo er steht, und vor allem wie groß er erscheint. Für meine Begriffe leuchtete der Nebel sehr hell, doch das Problem für den Gast lag wohl darin, daß der Nebel fast das ganze Gesichtsfeld ausfüllte und sich daher nicht von einem Hintergrund abhob.
    Dann sagt der Gast: „Aber da ist etwas Dunkles in der Mitte des Nebels.“
    Ich gehe auf 230x und bitte ihn, die Form des Dunklen zu beschreiben.
    Er sagt: „Das sieht aus wie der Abdruck eines Entenfusses mit drei Zehen, nur sind die Zehen nicht so weit gespreizt.“
    Darauf halte ich 3 Finger der rechten Hand in die Höhe und frage: „Sieht das so aus?“ – Antwort: „Ja, genau so!“
    Ein Anfänger sieht am Silvretta völlig unbefangen die Säulen der Schöpfung! Die Nachbetrachtung am Photo zeigte, daß er die mittlere und die kurze Säule gesehen hat, aber von der großen, die auch die schwierigste ist, wohl nur den dunklen Sockel, auf dem sie zu stehen scheint. Ich selbst war überwältigt vom Anblick im Okular. Die Säulen standen da, als wären sie mit Händen zu greifen. So deutlich hatte ich sie noch nie gesehen.


    5) <b>NGC 7331</b>:
    Diese Galaxie hatte ich schon oft mit 18“ beobachtet, aber noch nie 25“. Sie erschien nun deutlich detaillierter als ich sie bislang kannte. Als mein Gast gerade zur Beschreibung ansetzte, verschwand sie aus dem Blick – Wolken! Von Südwesten her hatte sich plötzlich fast der ganze Himmel zugezogen. Lediglich über dem Felsmassiv im Norden war noch ein schmaler Streifen frei, in dem wir zusammen die Staubbänder und die Lichtknoten in M 82 erkundeten, bis auch dort das Licht ausging.


    Inzwischen war es Mitternacht. Da keine Aussicht auf Abzug der Wolken bestand, packten wir möglichst leise ein, fuhren zum Gasthof und legten uns schlafen. Noch ein letzter Blick im Schlafanzug aus dem Zimmerfenster Richtung Nordosten: Der Perseus steigt majestätisch auf in einen prachtvollen Sternenhimmel, über den mehrere Meteoriten hinwegsausen! – Die Wolken waren vollständig verschwunden. So ist das wohl mit der eingeschränkten Horizontsicht.


    Am nächsten Morgen wanderten wir den Seerundweg ab. Strahlender Sonnenschein, die Luft zunächst noch kühl, dann aber immer wärmer werdend, und am Ende kamen uns die Leute in kurzen Hosen entgegen. Die Szenerie dort oben ist ganz wunderbar: Typische Alpenflora oberhalb der Baumgrenze mit hellgrünen Gräsern und Teppichen kleiner Blumen, ein leuchtend blauer Himmel, dazu die weißen Gletscher und die Felsspitzen der 3000er. Am Silvrettasee hatten wir ein herrliches Naturerlebnis – bei Nacht und am Tag.


    Viele Grüße
    Johannes