Hallo Gerhard,
Astigmatismus kann man auf drei Arten in eine Glasscheibe hineinbekommen:
1. Die Scheibe ist in sich verspannt, d. h. es liegt ein starker Eigenspannungszustand vor. Durch Schleifen und Polieren wird dieser Spannungszustand gestört, und die Scheibe verbiegt sich. Da die Sattelform die einfachste Biegeform für eine Scheibe ist, entsteht so oft ein unkontrollierbarer Astigmatismus.
2. Die Glasscheibe wird beim Schleifen und oder Polieren mittels äusseren Kräften verspannt. Für Yolo-Toroide, also stark astigmatische Spiegel wird hierzu eine spezielle Spannfassung an die Scheibe angebracht, die diesen Torisch verbiegt. Nachdem die verbogene Scheibe sphärisch poliert wurde, wird die Spannfassung gelöst und die Oberfläche der Scheibe wird zum Toroid.
3. Man poliert einen Astigmatismus ins Glas hinein. Bei Volltool geht das, indem man das gegenseitige Drehen von Werkzeug zu Spiegel unterlässt und in der Axe des längeren Krümmungsradius längere Striche macht. Mit kleinerem Werkzeug wird die Axe des längeren Krümmungsradius stärker poliert.
Unsere dünnen Borofloatrohlinge werden meist durch Methode 2 zum Astigmatismussorgenfall. Statt einer Spannfassung wird das Verspannen des Rohlings durch ungleichmässigen Druck auf die Rückseite beim "Spiegel unten"-Polieren der Scheibe erzeugt. Aufgrund ihrer geringen Steifheit verbiegen sie sich viel stärker als die "alten" 1:6-dicken-Rohlinge.
Der ungleichmässige Druck kommt
a)von einer nicht planen Rückseite des Spiegels oder
b)von einer nicht planen Oberfläche des Schleifbockes, also der Unterlage (entweder in der Oberfläche drin oder aus Verbiegung des Schleifbockes).
c) auch eine ungleichmässig harte oder ungleichmässig dicke weiche Zwischenlage (Kalkablagerungen, Ceri- oder Schelifmittelreste) kann zu einer ungleichmässigen Druckverteilung auf der Spiegelrückseite und damit zu Asti führen.
In Fall A lässt sich ein Astigmatismus kaum verhindern. Höchstens ausschliessliches Spiegel-oben-polieren oder das Polieren auf einer Unterlage, die aus einer statisch bestimmten Dreipunktlagerung in einer Spiegelzelle besteht, kann hier helfen.
In den Fällen B und C hilft fleissiges Drehen des Spiegels gegen die Unterlage gegen Asti, da sich der Druck im Zufallsprinzip immer wieder anders auf die Rückseite des Spiegels verteilt, sich also keine Axen herausbilden können.
Ich denke, die Grundlagen zur Astivermeidung sind heutzutage bekannt:
- Spiegelrückseite plangeschliffen
- Werkfläche ebenfalls möglichst Plan und zwar dauerhaft (Metall, Steinfläche, Glasfläche, Holzwerkstoffe mit dauerhafter Beschichtung). Der Schleifbock darf sich verbiegen, aber nur rotationssymmetrisch. Ein möglichst starrer Schleifbock ist anzustreben, aber wer hat schon so einen?
- Eine weiche Zwischenlage, wie weich, bestimmt sich aus der Planität von Bock und Spiegel. Wären beide ideal plan, verzichtet man auf die Zwischenlage, ist die Oberfläche des Bocks unbekannt, nimmt man eher eine dicke, weiche Zwischenlage, auch wenn sich dann der Spiegel kaum noch zähmen lässt....
Ich sehe weiteren Bedarf für "Forschung" in folgenden Belangen:
- wie Plan muss die Rückseite sein? In Nanometern, bezogen auf die Schlankheit des Rohlings. Hier ist vielleich noch eine Begriffsschärfung notwendig, denn Plan muss die Rückseite zur Vermeidung von Asti nicht sein, nur rotationssymmetrisch! Definieren wir den obigen Wert damit besser als Abweichung von der rotationssymmetrischen Form.
- Wie steif muss der Schleifbock sein? Genügt die doppelte Steifigkeit wie der Rohling sie hat oder brauchts mehr?
- Welche Unterlagen sind geeignet? Zottelteppich? Ikea-Baumwollteppich? Gummi? Schaumstoff? Antirutschmatte? Wie dick sollten sie sein? Wie oft auswechseln?
Am Schluss des Exkurses noch zu deiner Frage: Bei krummer Spiegelrückseite fängt man sich den Asti immer schon im Feinschliff ein. Wenn die Rückseite rotationssymmetrisch ist, kommts auf die Gewohnheiten an: Jemand der nach jeder Schleif-Charge den Spiegel abhebt, im Wännchen wäscht und dann zurück auf den krummen Bock stellt, hat nach dem Feinschliff mit etwas Glück noch keinen Asti, und holt ihn sich erst, wenn er beim Polieren nur alle 30 Minuten mal den Spiegel dreht [}:)]. Ist der Bock wie die Spiegelrückseite gerade und die Zwischenlage gerade richtig weich und regelmässig, kommt er dann vielleicht auch ohne Asti bis zum Sterntest [:D].
Grüsse
Max