410 mm BVC Spiegel

  • Hallo zusammen,
    über Stathis konnte ich günstig einen nicht vollendeten 410 mm BVC Spiegel eines anderen Sternfreundes erwerben. Bei dem Material handelt es sich um verbackene schwarze Keramikplatten, die eine Dicke von 35 mm ergeben. Diese Art Rohlinge wurden durch eine kanadische Firma, die mittlerer weile nicht mehr existiert hergestellt und sorgten schon in der Vergangenheit auf dieser Liste für zeitweilige Aufregung. Das Wärmeausdehnungsverhalten soll dem von Pyrex ähneln. Der Spiegel hat eine Brennweite von 1750 mm und war sauber auspoliert, ohne Zonenfehler, aber leider mit einer insgesamt sehr starken Überkorrektur. Als gelegentlich zur Faulheit neigender Mensch wollte ich den Spiegel mit einem vorhandenen 280 mm Tool zur Sphäre zurückpolieren. Einige Stunden später gab ich auf, da die Randzone einfach nicht sphärisch werden wollte. Nach der nun leider notwendigen Anfertigung eines 410mm Gipstools konnte der Spiegel in nur einer Stunde zur perfekten Kugelform poliert werden (TOT). Das BVC Material ist weich und hat den Nachteil sehr anfällig für Kratzer zu sein. Der Vorteil ist, dass man selbst heftigere Kerben innerhalb von 1-2 Stunden wieder rauspoliert hat. Das Parabolisieren erfolgte TOT mit einem 180mm Tool und war alles andere als erheiternd. Hier zeigte das Material dann doch seine Tücken, in der Form, dass der Spiegel nicht so auf Strichbewegungen reagierte wie einer aus Pyrex o. ä. Der Spiegel hatte die Neigung in der Endphase der Parabolisierung unkontrolliert in eine Überkorrektur zu kippen. Vielleicht lag das ja auch am weichen Material oder an dem genau entgegengesetzten Ausdehnungskoeffizienten. Jedenfalls hatte ich zeitweise das Gefühl , überhaupt nicht mehr zu wissen was ich da tat. Im vierten Anlauf bin ich dann dazu übergegangen Spiegel am Stern zu parabolisieren. Ausgehend von einer Unterkorrektur wurde 2-3 Minuten parabolisiert und anschl. direkt am Stern getestet. So konnte ich mich dann in etwas über zwei Stunden an einem einzigen klarem Abend doch noch an eine vernünftige Parabelform herantasten. Das Polieren für kurze Zeit mit zimmerwarmem Pech auf einen bis ca.2 bis 3 Grad abgekühltem Spiegel war vollkommen unproblematisch. Das Spiegelmaterial muss eine recht gute Wärmeleitfähigkeit haben, denn nach ca. 10 bis 15 Minuten konnte ich schon wieder vernünftig am Stern testen. Astigmatismus ist kein Thema, Verspannungen waren nicht feststellbar. Die Beugungsscheibchen sind kreisrund. Ich schätze, dass die Wärmeausdehnung in etwa der von Pyrex entspricht, nur das sie genau umgekehrt ist. Der Spiegel hat bei daher beim Auskühlen eine leichte Neigung zur Unterkorrektur. Deswegen habe ich den Spiegel einen kleinen Tick Überkorrektur verpasst, trotzdem zeigt er nach einiger Zeit immer noch einen Hauch Unterkorrektur. Der Spiegel wurde seeingbedingt bis max . 336-fach getestet. Die Restfehler sind vernachlässigbar. Wichtig ist, dass die Abbildung knackscharf ist. Mittlerer weile ist die Optik verspiegelt und von einem klassischen Gitterrohrdobson ummantelt. Eine tolle Beobachtungsnacht wurde mir gegönnt, seitdem ist der Himmel dicht. Ist wohl immer so.......

  • Hallo Rüdiger,
    Glückwunsch zum fertiggestellten "Spezialspiegel"!
    "Normale" Spiegel waren ja noch nie deine Stärke, oder?
    Wenn ich mich recht erinnere, hatte Stathis das Teil mal dienstags in unserer Spiegelschleifergruppe vorgestellt, bevor Du es bekommen hast.


    Ich verstehe "umgekehrte Wärmeausdehnung so, daß sich das Material bei Abkühlung ausdehnt[:0] - kann das sein?


    Jedenfalls liefert dein Bericht eine plausible Erklärung, warum dein Vorgänger die Scherbe aufgegeben hat.


    Außerdem zeigt dein Bericht wieder mal schön, wie sinnvoll ein Volltool zum Auspolieren ist [^].


    Viel Freude beim Beobachten!


    Gruß,
    Martin

  • Hallo Martin,
    danke für die Glückwünsche. Soweit mir bekannnt ist werden Glas und Keramik mit einem "geheimen Verfahren" vermengt.
    Raus kommt so etwas wie Zerodur o. Sitall. Die beiden gegensätzigen Wärmeausdehnungskoeffezienten bringen dann die Ausdehnung auf nahezu null. Ich habe mal irgendwo aufgeschnappt, dass Ceranfelder Abfallprodukte der Zerodurentwicklung sein sollen. Irgendwann kam ein Kanadier auf die Idee Ceranplatten zusammen zu pappen und als Spiegelrohlinge zu verhökern.
    Der wirtschaftliche Erfolg war aber leider wohl nicht von Dauer.

  • Hallo Rüdiger,


    danke für Deinen Bericht! Ich lese sowas immer sehr gern. Manchmal klemmt die Säge und mit solchen Berichten im Hinterkopf kann man vieles besser einschätzen.
    Da Du schon einige Spiegel aus eher exotischem Material geschliffen hast, Du bist herzlich eingeladen darüber etwas im Thread "Spiegel aus Fensterglas" zu schreiben.


    Viele Grüße
    Kai

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