Hallo zusammen,
ich möchte von meinem gestrigen Mondspaziergang berichten, der voller Überraschungen war.
Es ist Mittwoch Abend, 03.05.2023, 19:00 Uhr. Die Vorhersage verspricht gutes Seeing heute Nacht; also werde ich einen weiteren Test mit meinem Carl Zeiss Jena Cassegrain 150/900/2250 auf der Montierung Ib in meinem Garten (Ort: Schwedt/Uckermark) fahren. Nochmal schnell in den Mondatlas geguckt: ja, eines meiner Lieblingsobjekte, der Swirl Reiner Gamma, könnte als Testobjekt dienen. Die Beleuchtung des Mondes beträgt zwar 96,3 %, aber die Libration mit -5° 1’ in der Länge ist durchaus interessant.
Ich bereite schon mal alles in der Kuppel vor, bringe Notebook, Webcam ALccd 5L-IIc und was ich sonst so alles benötige in die Kuppel. Die Sonne ist zwar gerade erst untergegangen und der Himmel ist sehr hell, aber Mond und Venus stehen gut am Himmel. Schnell alles angeschlossen, Teleskop auf Venus ausgerichtet, Webcam per Adapter in eine Hülse des Okularrevolvers gesteckt, mit Scheiner-Blende auf Venus fokussiert, und dann Live-Bild über die Software EZPlanetary auf dem Notebook. Super, hat geklappt, jetzt mal schnell aus Neugierde auf den Mond geschwenkt, und … oh ja … das wird interessant heute Nacht.
20:45 Uhr gehe ich wieder ins Haus und warte bis 22:00 Uhr, dann sollte die Dämmerung ja weitestgehend abgeschlossen sein.
21:45 Uhr, ab in die Kuppel, ich kann es nicht mehr abwarten. Ich richte das Teleskop auf einen Stern im Bootes aus, hänge die Scheiner-Blende davor, und siehe da, die Fokussierung vor ca. eineinhalb Stunden auf Venus am hellen Abendhimmel war schon sehr gut. Jetzt noch schnell minimal nachfokussiert, Blende abgenommen und das Teleskop auf den Mond geschwenkt. Visuelle Beobachtung geht ja nicht, weil, ich auf die Webcam fokussiert habe. Also setze ich mich vor meinem Notebook, schaue mir das Live-Bild an und suche über die manuelle Feinjustierung in Rektaszenion und Deklination an der Montierung Ib den Swirl Reiner Gamma. Und da ist er schon. Fotografisch mag Reiner Gamma nicht so interessant sein, weil es sich um eine magnetische Anomalie im Oceanus Procellarum handelt. Er ist halt nicht so kontrastreich wie zum Beispiel ein Krater, weil er keine Schatten wirft. Aber für mich sieht er aus wie eine Schlange. Da ist zum einen der dicke Kopf, und dann schlängelt sich die Anomalie wie ein Schlangenkörper über die Oberfläche des Oceanus Procellarum. Das magnetische Feld dieser Anomalie ist stark genug, um den Sonnenwind abzulenken. Da man annimmt, dass der Sonnenwind die Mondoberfläche über Jahrmillionen dunkeln lässt, wird spekuliert, dass die Anomalie der Albedo möglicherweise ihre Ursache in der magnetischen Anomalie hat.
Und was ist das? Oberhalb Reiner Gamma nahe am Terminator liegen Grimaldi und Hevelius und zwischen den beiden der Krater Lohrmann. Aus der Terminatorgrenze senkrecht herauskommend weist ein langer schwarzer Keil direkt auf Lohrmann. Immer wieder geht mein Blick dahin; richtig auffällig liegt dieser schwarze Keil im beleuchteten Teil des Mondes, spitz weist er auf Lohrmann und verbreitert vereinigt er sich am Ende des Terminators mit dem unbeleuchteten Teil. Hat Lohrmann auf seiner Kraterwand einen hohen Berg, der seinen Schatten in Richtung Terminator wirft? Im Video beginnt der Schatten aber nicht direkt an der Kraterwand von Lohrmann. Ich bin gespannt, was die Auswertung der Videos bringt, die ich zwischendurch immer wieder mit unterschiedlichen Auflösungen starte. Und in Mondatlanten werde ich natürlich auch nach dem Auslöser dieses Schattenwurfes suchen.
Aristarch und Herodot mit dem Vallis Schroteri liegen zwar etwas außerhalb des Terminators; aber optisch finde ich diese Mondgegend faszinierend, also schwenke ich jetzt das Teleskop hierhin. Ich kann mich garnicht genug daran satt sehen: Aristarch mit seinen Terrassen an der Innenwand des Kraters, sehr hell ausgeleuchtet, daneben der dunklere Herodot mit seinem flachen Kraterboden. Und auch das Vallis Schroteri wirkt für mich wie eine Schlange, die auf die beiden Krater zuschlängelt, mit einem flachen Kopf, der Herodot neugierig beobachtet.
Wow, beim Wandern entlang der Terminatorgrenze stoße ich auf einen riesigen Krater, der innerhalb des Terminators liegt. Etwas vor ihm im beleuchteten Teil liegt Schiller. Den habe ich ja noch nie gesehen. Schnell mal im Mondatlas nachgeblättert, ja, es handelt sich um Bailly (Achtung: mit Doppel-l, Baily mit einem l ist ein kleiner Krater irgendwo anders auf dem Mond), eine der größten Wallebenen auf dem Mond mit 300 km Durchmesser! Er liegt nur etwa 20° vom Südpol entfernt. Mal schnell bei Astrotreff unter „Suchen“ Bailly eingegeben, aber da gibt es nichts. Gigantisch, diese Wallebene, sogar einzelne größere Einschlagkrater sind zu erkennen. Da die kreisrunde Wallebene nahe am südwestlichen Mondrand liegt, erscheint sie bei geeignetem Lichteinfall als ganz schlanke Ellipse (etwa 1:10). Wenn sie bei extremer Libration noch näher zum Mondrand rückt, ist sie im Kratergewirr des Hochlandes manchmal kaum auszumachen. Doch heute bei günstiger Libration in Länge von -5° erkenne ich Bailly als Ellipse im Verhältnis von etwa 1:4. Hoffentlich kann ich die Videoaufnahmen vernünftig auswerten. Einfach phatastisch!
Weiter geht es zu Schickard und daneben liegend Phocylides. Ahh … sehr schön … imposant; und … hmmm … wieder ein Lichteffekt, diesmal kein schwarzer Keil, sondern ein Lichtstrahl, der von Schickards Kraterwand etwa auf Höhe des Kraters Drebbel in den flachen Boden von Schickard hineinfällt. Er ist natürlich deutlich kürzer als der schwarze Keil, der von Lohrmann ausgeht; aber er ist sehr deutlich zu erkennen. Irgendwie lässt mich dieses Phänomen auch nicht los. Das Auge bleibt mehr am Lichtstrahl haften als an diesen wunderschönen Krater. Hoffentlich kann ich ihn auch aus den Videos herausarbeiten.
Nun werde ich aber ganz verrückt: ich habe Darwin am Terminator angesteuert. Und was sehe ich? Einen Affenkopf! Dreidimensional steht dieser Affenkopf über den südlichen Teil von Darwin; zwei nahe am Terminator liegende kleine Krater bilden die Augen; passend dazu liegt leicht darunter die Nase; und der Mund: ein größerer Einschlagkrater in Darwin, in ovaler Form. Direkt in der Hell-Dunkel-Grenze, schon leicht dahinter, habe ich den Eindruck, dass kleine schwach angestrahlte Erhebungen das Haar dieses Affenkopfes bilden. Und er sieht mich an, der Affe, hämisch lachend: „Na, das hast du nicht erwartet!“. Und das ganze wie gesagt, macht einen dreidimensionalen Eindruck auf mich, als ob der Affenkopf über den südlichen Teil von Darwin schwebt. Vom Livebild auf dem Notebook habe ich ein Handy-Foto gemacht und heute Morgen beim Frühstück meiner Frau gezeigt. Sie konnte den Affenkopf nicht erkennen. Aber auch jetzt, wo ich mir das Video anschaue, siehe ich ihn, grinsend dreidimensional. Leider habe ich davon nur ein Video gemacht; aber auch hier bin ich sehr gespannt auf die Auswertung und ob ich hier den Affenkopf vorstellen kann. Und: ob ich der einzige bin, der ihn sieht. Ich war wohl so überrascht, dass ich vergessen hatte, mehrfach auf die Aufnahmetaste zu klicken.
Ganz zum Schluss bleibe ich noch bei Pythagoras hängen. Dieser Krater mit einem Durchmesser von 129 km fällt mir deshalb auf, weil sein Zentralbergmassiv, immerhin eine Höhe von ca. 3000 m, hell erstrahlt. Pythagoras liegt heute wunderschön am Terminator, natürlich in Ellipsenform und ist mit seinem hell erstrahlten Zentralbergmassiv ein wahrer Blickfang.
Ein Blick auf die Uhr: Oh, es ist schon 0:10 Uhr. Ich wollte doch eigentlich nur mal schnell das Teleskop mit Webcam und hoffentlich optimaler Fokussierung testen, Reiner Gamma aufnehmen und einen weiteren Test an irgendeinem Krater vornehmen. Konnte ich denn erwarten, dass aufgrund der günstigen Libration der Terminator kurz vor Vollmond mir so wahnsinnig interessante Mondformationen zeigt? Viele optische Beobachtungen sind ja auch psychisch-emotional gefärbt in der Wahrnehmung. War ich heute besonders aufnahmefähig für eigentlich ganz normale Erscheinungen?
Ach ja, ich überlege, einen Adapter zu kaufen, den ich direkt an die Einstellfassung (Fokussierung) schrauben kann mit einem 1,25“ Adapter für die Webcam und eventuell auch für Okulare. Also habe ich noch schnell den Okularrevolver abgeschraubt, die Einstellfassung ganz hineingedreht und die helle Seite meiner Scheinerblende hinter die Einstellfassung gehalten, bis ich ein scharfes Mondbild bekam. Der Fokusweg beträgt ca. 11,5 cm ab Ende Einstellfassung. Für einen 2“ Zenitspiegel sicher zu wenig, aber hoffentlich reicht es für den Adapter mit 1,25“ Steckhülse und Okular bzw. Webcam.
Ich werde mich jetzt an die Auswertung der Videos machen, es sind viele. Und ich werde sicherlich hier das eine oder andere Bild vorstellen. Aber erwartet bitte nicht zu viel, ich gehe von einer eher durchschnittlichen Qualität aus, weil ich die Aufnahmeparameter nicht von Video zu Video optimiert habe. Außerm ist das Teleskop schlecht eingenordet, die Mondformationen wanderten doch erheblich im Video; bei 1280x960 Pixel kam ich gerade so auf etwa 1000 Bilder, bei 640x480 konnte ich schon mal ca. 4000 Bilder erzielen. Aber Seitenränder werde ich nach dem Stacking wegschneiden müssen.
Also, warten wir die Bilder ab. Kann ich meine besonderen Wahrnehmungen auch bildlich wiedergeben? Für mich war es eine absolut überraschende und phantastische Nacht. Der Libration sei Dank!
CS
Andreas