In einem anderen Thread beklagte ich mich soeben darüber, dass so wenig im Board los sei. Dabei schoss mir durch den Kopf: "Christopher, Du hast auch nicht gerade viel losgetreten in letzter Zeit." Um dies wieder gut zu machen, berichte ich hier über Struve 1694, der Nordstern der Wikinger!
Bei einer Reise in den Harz vor einigen Wochen war es zu taunass und ich zu müde um ein Gerät aufzustellen. Also stellte ich mich hin und liess das Auge an einem köstlich klaren Himmel schweifen. Dabei fielen mir zwei Sterne auf im Raum zwischen Polaris und Kappa DRA, die mir zuhause, im lichtversifften Rheintal zwischen Darmstadt und Heidelberg, nie aufgefallen waren. Mir kam der Gedanke, dass der nördliche der beiden – Struve 1694 in CAM – wohl am Himmelsnordpol zur Zeit der Wikinger gewesen sein muss.
Dieser historisch sehr spannende Aspekt hat mich dazu veranlasst, zuhause weiter zu diesem Stern zu recherchieren und ihn in jeder klaren Nacht zu besuchen. Inzwischen sehe ich den Stern auch regelmäßig zuhause mit blossem Auge. Wozu so ein kurzer Tripp unter besseren Himmel doch alles gut ist!
Meine Recherche-Ergebnisse:
Daten:
12h49m14s / +83°24'46"
PA 328° in 2003, 21,5 Bogensekunden Abstand, A und B Komponenten mit 5m3 und 5m7 Helligkeit.
Geschichtliches/Wissenschaftliches:
Dieser Stern stand im 9. Jahrhundert nach Christus genauso nahe am Himmelsnordpol wie Polaris es jetzt tut. Folglich war dieser Stern wohl der zentrale Navigationsstern der Wikinger! Den genauen Zeitpunkt der größten Nähe zum Himmelnordpol habe ich nicht eruiert. Mir reicht die Vorstellung, dass im Mittelalter die Wikinger in ihren Schiffen - und jeder andere auf der Erde - den Himmel um diesen Stern drehen sahen.
In den letzten zwei Jahrhunderten haben sich sowohl der Abstand der Komponenten zueinander als auch deren Positionswinkel kaum verändert, es handelt sich also um ein „proper motion pair“.
Interessant ist weiterhin, dass Struve 1694 in manch einem Atlas als 32 Cam kartiert wird. Diese Nummer stammt nicht von Flamsteed, sondern von Johannes Hevelius, aus seiner Durchmusterung um 1690. Daher wird die Bezeichnung 32 Cam in den meisten professionellen Datenbanken nicht geführt, sondern der Stern wird als STF 1694 oder auch HD 112028 verzeichnet.
Beobachtung:
Wie ich mittlerweile erkenne, ist Struve 1694 selbst unter vorstädtischem Himmel mit bloßem Auge auszumachen, unter gutem Landhimmel auffällig.
Im Fernglas ist eine Trennung schon bei 7x möglich, wobei mehr Vergrößerung die Sache natürlich wesentlich entspannter macht.
Reverend T.W. Webb, ein bedeutender englischer Beobachter des 19. Jahrhunderts, nennt die Farben „zart gelb, zart violett“. Sissy Haas, eine moderne Doppelstern-Beobachterin, spricht von einem „samtig weissen Paar“. Wer mit Teleskop unterwegs ist, kann sich 1° SSW am 10m6 hellen planetarischen Nebel IC 3568 (Lemon Slice Nebula) erfreuen.
Mich würde interessieren, ob andere Beobachter die 7x-Vergrößerung für eine Trennung noch unterbieten können. Und vor allem: was sind Eure Farbeindrücke?
Gruss, Christopher