Objekt des Monats Juli 2022
Nördlich von Nordamerika – Reflexion, Absorption und Sternengefunkel
IC 5076, Barnard 351 und NGC 6991
Der Nordamerikanebel lenkt im Sommer sehr viele Blicke auf sich und wird immer und immer wieder aufs Neue fotografiert. Es gibt aber auch in dessen Nähe interessante Objekte, die hingegen nur sehr selten beobachtet oder abgebildet bzw. beachtet werden. Eines davon ist der Reflexionsnebel IC 5076, auch als VdB 137 bekannt.

Übersichtsfoto (Foto von mir selbst), 200 mm-Teleobjektiv f/2,8 mit Canon EOS 6D Mark II unmodifiziert – 63 Cygni und 59 Cygni sind mit bloßem Auge leicht zu sehen. IC 5076 ist erkennbar, aber dafür braucht man mehr Brennweite. Der östliche Teil von Barnard 351 ist hier rot hervorgehoben (Ausschnitt).
IC 5076 wurde im Jahr 1895 von Isaac Roberts entdeckt. Es ist ein blauer Reflexionsnebel, der von dem 5m6 (Simbad) hellen Stern HD 199478 (= HIP 103312) beleuchtet wird (Sellgran et al. 1996). Dieser Stern, ein blauer Überriese, besitzt den Spektraltyp B8Ia und hat eine Oberflächentemperatur von 10.000K (Sellgran et al. 1996). Auf der Grundlage der Parallaxe, die die Gaia-Mission gemessen hat (0,3195 Millibogensekunden) ergibt das eine Entfernung von 8300 Lichtjahren. Der Reflexionsnebel wird entsprechend weit von uns entfernt sein. Vorgelagert sind noch Dunkelwolken.
Eine davon, Barnard 351, erzeugt eine dunkle Kante auf der Westseite des Reflexionsnebels und weiter westlich einen langen auffälligen gewundenen Schlauch.
Und beiden, der Dunkelwolke und dem Reflexionsnebel vorgelagert ist noch der Offene Sternhaufen NGC 6991, der nur 2300 Lichtjahre von uns entfernt ist. Dieser lockere, relativ große Sternhaufen wurde bislang kaum näher untersucht. Er ist mit 1,3 Milliarden Jahren schon sehr alt. Betrachtet man NGC 6991, empfehle ich, darüber nachzudenken, dass der helle „Vordergrundstern“ HD 199478 in Wirklichkeit ein Monster eines Hintergrundsterns ist. Er ist schließlich ca. 3,5 mal weiter entfernt als der im Vordergrund stehende Offene Sternhaufen! Das zeigt, dass NGC 6991 aufgrund seines hohen Alters keine Blauen Überriesen mehr enthält und es zeigt zudem, wie leuchtkräftig HD 199478 ist.
Soweit zum theoretischen Hintergrund des Objektes des Monats. Was gibt es zu beobachten?
Zunächst den Blauen Überriesen HD 199478 mit dem von diesem in südwestlicher Richtung reichende Reflexionsnebel. Da der beleuchtende Stern sehr heiß ist und auch viel UV abstrahlt, zeigt der Nebel auch einen gewissen Anteil an Emissionslinien. Dave Knisely („Stargazerlounge“) empfiehlt daher den Einsatz eines H-Beta-Filters (Knisely 2007). Auch ein Blaufilter könnte helfen, da es hauptsächlich eben doch ein blauer Reflektionsnebel ist.
Auf Fotografien zeigt der Nebel eine Form, die mich an ein Gespenst erinnert:

(Bild von Wikisky.org – SDSS – die komplexe Form ist hier sehr gut zu erkennen und für Fotografen eine Herausforderung)
Die Analyse der genauen Form dieses Nebels ist eine Aufgabe für Besitzer von Teleskopen mit größerer Öffnung oder eben der Astrofotografie.
Hat man den Nebel gesehen, dann kann man direkt weitermachen und prüfen, ob man auf der Westseite des Nebels den Dunkelnebel Barnard 351 vor den Hintergrundsternen ausmachen kann. Am besten kann man das direkt am Westrand des Nebels, da hier der Dunkelnebel den dahinter liegenden Nebel IC 5076 bedeckt, wodurch dieser hier eine Bucht aufweist. Der Dunkelnebelschlauch zieht sich nach Westen recht weit durchs Bild, was bei Fotos mit kleineren Brennweiten ein Thema ist. Viele haben Barnard 351 bereits fotografiert, wissen nur nicht, dass dieser kleine, schwarze Lindwurm einen Namen hat.
Hat man nun sowohl IC 5076 als auch Barnard 351 gesehen, dann ist NGC 6991 die Abrundung des Ganzen. Der Sternhaufen liegt auch direkt westlich von IC 5076. Die hellsten Sterne haben ca. 9m5 und es sind einige weitere, zerstreute, relativ helle Sterne sichtbar. Hierfür braucht man ein Übersichtsokular, da NGC 6991 recht weit zerstreut ist. Wer kann einen Offenen Sternhaufen vom Hintergrund abgrenzen?
Wie findet man das Objekt des Monats?
Per GoTo ist es kein Problem. Und per Starhopping ist es auch sehr einfach. 59 Cygni ist mit 4m7 gut mit bloßem Auge zu erkennen. Ebenso 63 Cygni mit 4m6. Geht man von 63 Cygni in Richtung 59 Cygni (nach Westen), dann liegt HD 199478 auf halbem Abstand der beiden westlich von 59 Cygni. Man kann per Leuchtpunktsucher oder Telrad HD 199478 so auch direkt einstellen, wenn man 63 und 59 Cygni am Himmel mit bloßem Auge erkennt.
Es sind also drei Objekte auf einmal und zudem leicht zu finden. Man darf sich nur nicht von anderen Highlights im Schwan ablenken lassen.
Die Koordinaten der drei Objekte:
IC 5076 (hellster Bereich): RA 20h 55min 35s, Dekl. +47° 24‘ 00“
Barnard 351 (östlichster Punkt – dort grenzt er an IC 5076): RA 20h 55min 26s, Dekl. +47° 23‘ 51“
NGC 6991: RA 20h 54min 56s, Dekl. +47° 18‘ 38“
Die „Oregon Star Party Advanced Observing List“ des Jahres 2018 empfiehlt für die visuelle Beobachtung von IC 5076 und Barnard 351 Teleskope ab 10 Zoll Öffnung (OSP 2018). Hierbei dürfte Barnard 351 das schwierigste Objekt sein (fotografisch hingegen ist der Dunkelnebel sehr auffällig). NGC 6991 geht visuell auch mit kleineren Optiken.
Quellen:
Knisely D. (2007): Filter Performance Comparisons For Some Common Nebulae. Online unter https://stargazerslounge.com/a…/attachment.php?id=249714
OSP (2018): Oregon Star Party Advanced Observing List 2018; online unter https://oregonstarparty.org/wp…st-Details-2018-Rev-A.pdf
Sellgren K. et al. (1996): A Survey of Near Infrared Emission in Visual Reflection Nebulae. Astrophysical Journal Supplement v.102, p.369. Doi 10.1086/192262
Ich wünsche viel Erfolg beim Beobachten und/oder Fotografieren dieses Dreierpacks,
Christoph