Hallo Gerd und alle Mitleser,
ich habe mir so meine Gedanken gemacht, was die Veröffentlichung von Strehlkurven betrifft.
Diese Darstellung ist noch relativ modern und nicht jeder Hersteller veröffentlicht solche Kurven und auch die verwendeten Glassorten werden nicht von jedem Hersteller preisgegeben.
Als Hersteller kann man sorgfältig rechnen und Diagramme veröffentlichen, was jedoch daraus „gelesen“ wird hat man nicht in der Hand. Ich kann mir nun vorstellen, dass der Blick auf die Strehlkurven jedem technisch begabten Leser erlaubt die Kurven zu vergleichen und auch den Verlauf der Kurven zu bewerten. Das Ideal wäre eine Gerade von sagen wir 380nm bis 740nm mit Strehlwert 1.
„Schwäche“ hier und „Einbrechen“ dort ist dann schnell gesagt, aber eine reale Vorstellung von der Bedeutung des Verlaufs zu entwickeln ist eine schwierige Angelegenheit.
Wo die Strehlkurven im Verständnis hilfreich sind, ist z.B. der Vergleich der Verläufe von FLT 105/1000 und FLT 135/1080.
Gleicher Objektivtyp mit Fluorit Mittenelement, gleiche Partnergläser, aber unterschiedliche Öffnung und unterschiedliches Öffnungsverhältnis.
Durch Werbung geprägt, ist der Blick oft nur auf die FPL – Sorte oder Fluorit gelenkt, dann Triplett oder Doublet, schließlich wird ED
Doublet in einen Einheitstopf geworfen.
Hier helfen Deine Rechenbeispiele, dass dem nicht so einfach ist, wie geglaubt wurde, oder noch wird.
Wo ich aber „Gefahr“ sehe ist, wenn nur aufgrund der gerechneten Kurve auf eine reale Optik oder die Leistung derselben geschlossen wird.
Einige Stichworte wild aufgelistet:
Temperaturanpassungsverhalten
Wirkung der verwendeten Vergütung z.B. auf Tönungen
tatsächlich erreichte Fertigungsqualität
Qualität der Politur
Langlebigkeit
Qualitätsstreuung
Stabilität der Fassung
Servicefreundlichkeit des Objektives
Feldabbildungseigenschaften
Unempfindlichkeit gegen Stöße wie bei Transport etc.
Gewicht usw....
Hinzu kommt aus meiner Sicht ein völlig anderer Betrachtungsumstand, den ich auch kurz anreißen möchte.
Früher gab es Personen, die mit optischen Geräten auch heute noch im Bewusstsein stehen. Z.B. Josef Fraunhofer oder Ernst Abbe.
Nachfolgend haben sich Marken ins Bewusstsein gebracht wie eben Zeiss, Takahashi, Astro-Physics usw.
Heute werden in großer Zahl Optiken in China gefertigt, zu unglaublich günstigen Preisen, deren Fabriken im Hintergrund bleiben und bei Abnahme einer gewissen Stückzahl durch Händler jeden gewünschten Namen oder Logo aufbringen.
Da geht meiner Meinung nach der Bezug verloren und ein Vergleich nur basierend auf Rechnungen und Glassorten wird einer Kleinserienfertigung der Astro-Optik-Manufaktur auch nicht gerecht wo ein Mann, Optikermeister Peter Große, die Optiken eigenhändig vom Rundieren angefangen bis hin zum Einbau in die Fassung, komplett Alleine fertigt.
Die Herausforderungen der Fertigung wird in Foren so gut wie nicht besprochen. Wie schwierig S-FPL Gläser zu polieren sind, wie Empfindlich diese Gläser reagieren oder wo Detailarbeit in der Umsetzung notwendig ist, geht da völlig unter. Das muss aus dem Blickwinkel des Anwenders auch nicht interessieren, hat aber doch Einfluss auf das Endergebnis.
So ist es doch letztlich die Fertigungsqualität, die entscheidend ist. Die schönste Strehlkurve nutzt nichts, wenn die Umsetzung nicht entsprechend gut erfolgt.
Mein Appell ist, die Kurven im Kontext zu betrachten.
Auf die Fotografie möchte ich gar nicht eingehen weil durch heutige Bildbearbeitung auch nicht vom Bild auf die Optik 1:1 geschlossen werden kann.
Bei der visuellen Beobachtung gilt, es "ist so weil ich es gesehen habe". Wenn Gerd oder die Astrotreffleser auch gerne in Geselligkeit mit Ihrem Apo beobachten, habt Ihr vermutlich auch schon feststellen können, dass die Mitbeobachter durchaus andere Wahrnehmung haben als Ihr selbst.
So führt die Beschäftigung mit Strehlkurven zwangsläufig zur Beschäftigung mit unserer Sehfähigkeit, wenn eine Aussage für die visuelle Beobachtung daraus gezogen wird. Damit angefangen, war ich doch erschrocken wie komplex der Vorgang „Sehen“ sich darstellt.
Z.B. hier mal einlesen: http://tuprints.ulb.tu-darmsta…ller_Dissertation_ULB.pdf
Interessant fand ich auch, dass jenseits der 650nm praktisch kein Farbtonunterschied mehr wahrgenommen wird.
https://de.wikipedia.org/wiki/Spektralfarbe
Ein anderer Weg ist „Rückwärts“ von der praktischen Beobachtung am Teleskop und direktem Vergleich von verschiedenen Optiken mit bekannten Strehlkurven im „Hinterkopf“, auf den Einfluss zu schließen. Das habe ich selbst mit einigen Dutzend Optiken vorgenommen und auch sehr detaillierte Rückmeldungen von anderen Beobachtern, Sternfreunden oder Kunden erhalten. Ich denke hier auch an Christoph, der sehr akribisch vergleicht oder auch an einen Arzt ( mit augenärztlicher Ausbildung ) der z.B. den AOM 130/1200 mit seinem TMB 120/1200 über längere Zeit verglichen hat.
Was auf den Strehlkurven als deutliche Unterschiede in den Randbereichen des visuellen Spektrums erscheint, wirkt sich in der Wahrnehmung nicht in gleicher Weise aus. Natürlich ist ein perfekter Kurvenverlauf oder nahezu eine Gerade wünschenswert, Klasse oder einfach eine tolle Vorstellung die einem das Gefühl gibt am „Ziel“ angekommen zu sein.
Richtig toll beobachten kann man auch mit weniger, wenn die Optik gut ausgeführt ist, und der Spaß an der Beobachtung sollte dabei der Maßstab sein.
Besten Gruß
Ralf