Alpha Ori Min 2020
Zu den visuellen Beobachtungen und deren unterschiedliche Wahrnehmung durch verschiedene Personen möchte ich folgendes beitragen:
Rote Sterne sind immer problematisch zu beobachten, denn jedes Auge reagiert je nach Umständen anders. Es kommt dabei sehr stark auf die genauen Beobachtungsbedingungen an. Aus meiner jahrzehntelangen Erfahrung folgendes:
Rote Sterne erscheinen v.a. in der Dämmerung (bei noch aufgehelltem Himmel) deutlich heller als bei dunklem Himmel. Bei Vollmond, also hellem Himmel, trifft dies auch zu (zumindest in Mondnähe). Daher soll man rote Sterne beim Schätzen nur sehr kurz anblicken – schaut man etwas länger hin, so erscheint der rote Stern heller. Beispiel Betelgeuze am Do. Abend (16.01.2020):
–A. Als ich aus dem Hellen in das Dunkel vor dem Haus getreten bin, „fehlte“ Betelgeuze im ersten Augenblick: er erschien deutlich schwächer als die Gürtelsterne. Ein sehr ungewohnter Anblick, der aber nach nur wenigen Sekunden schon vorbei war, als das Auge sich auf die dunklere Umgebung umgestellt hatte. (#8805; +2.0)
–B Beim raschen Anblick schien Betelgeuze etwa gleichhell wie Gamma Ori: +1.5
–C Bei der Verlagerung des Blickes, so dass Veränderlicher und Vergleichsstern gleichzeitig außerhalb der Blickfeldmitte (aber in etwa gleichem Abstand zu ihr) stehen, war beim Vergleich sowohl mit Gamma Ori wie mit Gamma Gem Betelgeuze beide Male schwächer (bei dieser indirekten Sicht sind nur die Stäbchen beteiligt, die Farbe spielt in diesem Fall keine Rolle) (Helligkeit > +1.5 bzw. > +1.9)
–D meine „normale“ Schätzung ergab: Betelgeuze etwa in der Mitte zwischen Beta Gem (Pollux) und Gamma Gem (Alhena): +1.7
–E bei längerer Betrachtung des roten Sternes erscheint dieser ja heller (sog. Purkinje-Effekt), in diesem Fall lag die Helligkeit von Betelgeuze zwischen der von Castor und Pollux, den beiden hellen Zwillingssternen: +1.5
Fazit: je nach Beobachtungsumstand kann ein so heller roter Stern wie Betelgeuze bei ein und demselben Beobachter um mehrere Zehntel Magnitude abweichen. Wichtig ist für eine Beobachtungsserie, dass immer möglichst gleiche Beobachtungsbedingungen vorherrschen – sonst sind die Ergebnisse selbst eines einzelnen Beobachters nicht vergleichbar und aussagekräftig.
Zwei weitere Effekte kommen hinzu:
1. Jedes Auge reagiert zwar unterschiedlich, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass bei schwächeren rötlichen Sternen, bei denen die Farbe nicht erkennbar ist, der Augen-visuelle Eindruck gegenüber der V-Helligkeit (Visuell, sie wird immer für Sterne angegeben) gemäß der Johnson-Korrektur abweicht. Diese richtet sich nach dem Farbindex des Sternes (B-V, also blau-visuell) und nimmt mit zunehmendem Farbindex wie folgt zu: B-V = 0 --> +0.0 mag, B-V = 0.5 --> +0.1 mag, B-V = 1.0 --> + 0.2 mag, B-V = 1.5 mag (schon stark rötlich!) --> +0.3 mag. Betelgeuze hat einen Farbindex von +1.5, d.h. zu den oben angegebenen Helligkeiten sind -0.3 zu addieren, um die übliche V-Helligkeit zu erhalten. Obige Schätzung D wäre demnach +1.4 statt +1.7 mag u.s.w.
2. Auch der Winkel spielt eine Rolle, also ob die beiden Sterne, die verglichen werden, horizontal nebeneinander oder vertikal übereinander angeordnet sind. Der obere Stern erscheint heller, auch wenn er tatsächlich geringfügig schwächer ist als der untere. Das kann man schön an der Deichsel des Kleinen Wagens beobachten: Delta und Zeta UMi invertieren ihre Helligkeit je nach Orientierung, wobei Zeta +0.1mag heller ist; jetzt am Abendhimmel steht Delta über Zeta und erscheint (mir) als der hellere. Freundlicherweise haben beide denselben Farbindex von +0.04, so dass die Farbe in diesem Fall keine Rolle spielt.
HINWEIS: bei den genannten Beobachtungen habe ich für Gamma Gem (Alhena) die Helligkeit von +1.93 (B-V = 0.00), allerdings habe ich gestern festgestellt, dass mir der Stern im Vergleich zu den blauen Sternen Gamma Ori und Zeta Ori heller erscheint und ich ihn auf +1.6 schätze. Entsprechend heller wären dann die oben genannten Schätzungen. Soweit zur Problematik Rot-Blau.
Vergleiche mit Alhena und mit jeweils Castor, Pollux bzw. Aldebaran führten alle zu einer Helligkeit von +1.7 (Johnson V-Helligkeit) (18.01.2020). Die V-Beobachtungen bei der AAVSO liegen bei +1.5, so dass in meiner individuellen Wahrnehmung Betelgeuze weitere 0.2 mag schwächer ist. Diese 0.2 mag sind offenbar mein individueller Korrekturfaktor, da seit Mitte Dezember, als ich die Schätzungen Betelgeuzes aufnahm, meine V-Schätzungen konstant 0.2 mag schwächer sind als bei der AAVSO, die allmähliche Helligkeitsabnahme sich aber genauso deutlich abzeichnet. Zu allen Schätzungen kommt also noch ein individueller Korrekturfaktor hinzu, der auch den unten genannten Korridor von 0.3–0.4 mag erklären könnte.
FAZIT: es gibt also jede Menge Tücken bei der Beobachtung von Sternen, die zu Ungenauigkeiten führen. Das führt zu scheinbar widersprüchlichen Ergebnissen wie die, dass für den einen Beobachter der Vergleichsstern, für einen anderen der Veränderliche heller erscheint! Je rötlicher ein Stern ist, desto größer ist die Bandbreite der Schätzungen – sie kann im Rahmen von bis zu 1.0 mag (!) liegen. Die AAVSO-Schätzungen von Alpha Ori weisen eine Bandbreite von 0.7 mag auf mit Ausreißern, die die „Amplitude“ auf über 1.2 mag erhöhen können: während ein Beobachter Betelgeuze auf +0.5 schätzt, kann ein anderer durchaus auf +1.8 kommen (so die Extreme am 29./30.12.2019). Erfahrene Beobachter liegen in einem Korridor von 0.3–0.4 mag (s.o. Graphik bei Stathis). Das sieht zwar wie ein krasser Widerspruch aus, ist aber letzten Endes dem Wunder „menschliches Auge“ zuzuschreiben, das nicht für Helligkeitsmessungen erschaffen wurde und daher kein Photometer ist.
Grüße
Christoph