Schon seit Wochen macht das unbeständige Sommerwetter eine richtige Beobachtungsnacht unmöglich. Gestern, vom 14. auf den 15.7. sollte es laut Meteoblue über der Schwäbischen Alb die ganze Nacht sternklar sein – endlich! Am 14. nachmittags wurde die Angabe allerdings revidiert. Wolkenfelder wurden vorhergesagt. Trotzdem, ein Versuch mußte einfach sein. Nach sat24 arbeiteten sich die Wolken auf einer Linie von SW nach NO quer über den Bodensee voran. Obwohl es im Allgemeinen sinnlos ist, den Wolken lokal ausweichen zu wollen, entschied ich mich, diesmal nicht Richtung Ostalb zu fahren, sondern auf der Westalb zu beobachten. Dort habe ich einen Platz auf 950 m Höhe neben einem Motocross Übungsgelände, das nachts aber nicht benutzt wird. Auf dem Platz angekommen sehe ich Wolkenfelder im Osten, am Südhorizont und auch im Westen. Einzelne Wolken ziehen immer wieder im Zenith durch, bewegen sich aber schnell. Ob das wohl gut geht?
Für heute habe ich zwei Beobachtungsprojekte vorbereitet: Die Kugelsternhaufen in Ophiuchus und „The Spire“ in M 16.
1) Kugelsternhaufen in Ophiuchus als galaktische Entfernungsmarker:
Den Reiz der sommerlichen Kugelsternhaufen sehe ich darin, daß man sich mit ihrer Hilfe bis zum Zentrum der Galaxis vorarbeiten kann und sogar darüber hinaus bis zum jenseitigen Rand der Milchstraße. Direkt in der galaktischen Ebene können wir wegen des Staubes ja bekanntlich nicht weit sehen, und die gegenüberliegende Seite unserer Galaxis wird uns wohl für immer verschlossen bleiben. Aber knapp oberhalb und unterhalb der Scheibe ist die Sicht frei, und da benutze ich die Kugelsternhaufen des Sommers als Entfernungsmarker. So sieht man zwar nicht den jenseitigen Rand der Galaxis, aber man sieht die Kugelsternhaufen, die nah bei diesem Rand stehen. Von den zahlreichen Kugelsternhaufen in Ophiuchus habe ich mir 22 herausgeschrieben und nach Entfernung in Gruppen eingeteilt. Sie liegen alle in Richtung galaktisches Zentrum und darüber hinaus. (Die Informationen habe ich aus der Software „Where is M13?“, die unter http://www.thinkastronomy.com als freeware erhältlich ist und auch sehr schöne Visualisierungen der räumlichen Verhältnisse bietet.)
1. Gruppe: Zwischen uns und dem zentralen Bulge liegen NGC 6366, M 10, M 12, M 107. Entfernung: 10000 – 20000 Lichtjahre.
2. Gruppe: Direkt am Bulge liegen NGC 6304, M 62, NGC 6325, M 9, NGC 6342, NGC 6293, M 14, NGC 6287. Entfernung: 20000 – 30000 Lichtjahre.
3. Gruppe: Dicht hinter dem Bulge befinden sich: NGC 6355, NGC 6517, NGC 6401. Entfernung: 35000 Lichtjahre.
4. Gruppe: NGC 6356 und NGC 6284 liegen etwa so weit hinter dem Bulge, wie die Erde vor dem Bulge liegt. Entfernung von uns aus: 50000 Lichtjahre. Wenn es spiegelbildlich zu uns auf der anderen Seite der Milchstraße Sternbeobachter gibt, dann sind diese beiden Kugelsternhaufen für sie ungefähr das, was für uns M 4 ist.
5. Gruppe: Am äußersten, uns entgegengesetzten Rand der Galaxis liegen NGC 6436 und IC 1257. Entfernung: 65000 – 80000 Lichtjahre.
Zur Krönung hätte ich noch Palomar 15 versuchen wollen, der in 134000 Lichtjahren Entfernung weit jenseits des gegenüberliegenden Randes der Milchstraße liegt und deshalb auf den Bildern nicht mehr zu sehen ist.
… hätte wollen. Leider konnte ich nur den Anfang dieses Programms abarbeiten, nämlich die 4 nächstgelegenen Kugelsternhaufen und M 62. Denn während es in höheren Altituden klar war, zogen tief am Südhorizont immer wieder dichte Wolkenschwaden durch, die eine aufmerksame Beobachtung unmöglich machten. So mußte ich dieses Projekt vorzeitig abbrechen und auf eine anderes Mal vertagen.
2) „The Spire“ - die Turmspitze in M 16
Statt dessen habe ich mich nun dem Adlernebel (M 16) zugewendet, der höher am Himmel stand und wolkenfrei zugänglich war. Nach den 3 Säulen, die ich neulich bereits beobachtet hatte, wollte ich nun weitere Dunkelstrukturen erkunden, insbesondere „the spire“ (deutsch: Turmspitze oder Felsnadel). Ähnlich wie die Säulen handelt es sich hier um einen Elefantenrüssel, der radial vom Sternhaufen NGC 6611 weg weist, aber gegenüber den Säulen um 90° gedreht ist. In all diesen Strukturen findet Sternentstehung statt. „The spire“ ist viel länger als die Säulen und in seinem oberen Teil deutlich breiter, während der Schaft stellenweise äußerst dünn ist, aber in einen breiten Fuß ausläuft. Die besten Beobachtungsergebnisse habe ich bei ca. 300x mit einem UHC Filter bekommen. Der OIII Filter bringt zwar viel Kontrast, verwischt aber die inneren Strukturen der dunklen Filamente.
Hier ein Bild. Der „spire“ ist die lange dünne Struktur links der Mitte:
http://stardustobservatory.org…/M16%20Eagle%20Nebula.jpg
Und hier noch das dramatische Hubble Photo:
http://en.wikipedia.org/wiki/F…ar_spire_eagle_nebula.jpg
Zwischendrin mußte ich immer wieder aufschauen, denn am Westhorizont hatte sich eine Wolkenbank gebildet, aus der Kumuluswolken hervorwuchsen. Das sah sehr nach Regen aus. Die Wolken bewegten sich aber nach NO und der Regen würde mich, so hoffte ich, verschonen.
Der obere, dem Sternhaufen zugewandte Teil des „spire“ war recht gut zu erkennen, und zwar zunächst die kleine dunkle Wolke. Dann wurden auch die hellen Partien sichtbar. Ähnlich wie die große Säule reflektiert das obere Ende offenbar sehr viel Sternlicht und ist somit nicht dunkler, sondern heller als die Nebelumgebung. (Ich frage mich, ob die kleine dunkle Wolke vielleicht deswegen so dunkel ist, weil sie von uns aus gesehen vor dem Sternhaufen liegt und sich daher nur zufällig in der Sichtlinie zum „spire“ befindet.) Auch die breitere, obere Hälfte des „spire“ ist im Okular noch zu erkennen. Allerdings mußte ich ein Photo zuhilfe nehmen und mich an den Sternen entlang hangeln, um die Struktur zu identifizieren. Der untere, dünne Stiel war aber trotz aller Hilfsmittel nur noch zu erraten. Dagegen zeigte sich der breite Fuß wieder etwas deutlicher, vor allem weil die Flanken ebenso wie die Spitze Licht reflektieren und sich somit ein stärkerer Kontrast zum Dunkelnebel ergibt. Mit dem Herausarbeiten des „spire“ war ich länger als eine Stunde beschäftigt. Schließlich habe ich noch die Dunkelwolken unterhalb der Säulen sowie die reizende kleine Globule aufgesucht, die rechts von den Säulen frei im Raum schwebt. All das ließ sich gut identifizieren.
Inzwischen war zwar die Regenfront nach NO weitergezogen, aber der Himmel wölkte sich trotzdem immer mehr ein. Im Zenith war es noch klar, so daß ich abschließend auf NGC 6543 zielte. Der Grund für diese Wahl war mein neues 2,5 mm Nagler Okular (Geburtstag), das ich unbedingt an einem hellen Objekt ausprobieren wollte. So habe ich die Vergrößerung des Katzenaugennebels Schritt und Schritt erhöht. Bei niedrigeren Vergrößerungen erschien dieser PN als Oval, bei 500x bis 700x trat die spiralige oder helixartige Struktur hervor. Bei 1000x im 2,5 mm Nagler verstärkte sich allerdings der Eindruck, daß innerhalb der ovalen Grundform und quer zu ihr ein weiteres Oval steht, ungefähr so wie in diesem Photo von Jimi Misti:
http://www.mistisoftware.com/astronomy/Nebulae_ngc6543.htm
Das Seeing war übrigens mäßig, aber anscheinend verträgt dieses Objekt jede Vergrößerung.
So, nun zieht sich der Himmel endgültig zu, und ich sage Fuchs und Hase gute Nacht. Auf dem Heimweg kreuze ich die Linie, auf der die Wetterfront nach NO gezogen ist. In 20 Kilometer Luftlinie von meinem Beobachtungsplatz dampft die Straße vom frischen Regen - Glück gehabt!
Johannes