Liebe Sternfreunde,
ich habe einen Freund, den Mathias, das ist ein Guter. Er hat es schon einmal fertig gebracht, dreieinhalb Stunden Fahrt auf sich zu nehmen und zu mir zu fahren, mit mir zusammen zu beobachten und dann wieder nach Hause zu fahren.
Inzwischen ist er ruhiger geworden und übernachtet auch mal bei mir.
Ich habe es bislang noch nicht geschafft, ihm einen Gegenbesuch abzustatten. Letzten Samstag aber war es nun endlich soweit und ich besuchte Mathias im wunderschönen Erfurt.
Da auch das Wetter sich von seiner besten Seite präsentierte, beschlossen wir, in die Rhön zu fahren. Weiße Nächte hin oder her, irgendwas geht immer.
Mathias hat drei Standorte in der Rhön, an denen er regelmäßig beobachtet, hier hat er schon einmal zwei davon gezeigt.
Zuerst fuhren wir zu seinem Platz, den er ansteuert, wenn es schnell gehen muss, auf die Hohe Geba, 751 m ü.NN, Thüringen.
Schnell heißt 1:20 h Fahrt . Belohnt wurden wir mit diesem fantastischen Ausblick, hier exemplarisch nach Süden und Westen:
Das ehemalige Militärgelände wurde inzwischen hübsch hergerichtet, es gibt ein Bergstübchen, etwas Camping und sogar vier Beobachtungsplattformen für Fotografen und Visuelle, sowie einen Planetenweg.
Rund um den Berg erkundeten wir die Landschaft und konnten ab und an einen Blick mit unseren Ferngläsern in die umliegenden Täler zu werfen.
Weil aber Samstag war und die Wahrscheinlichkeit bestand, dass die Ausflügler und Camper dort auf dem Berg nicht zur Ruhe kommen, zog es uns weiter zum zweiten Platz von Mathias, dem Schwarzen Moor, ein Hochmoor im Dreiländereck auf der bayerischen Seite der Rhön. Das auch bei Touristen beliebte Ausflugsziel liegt auf 779 m ü.NN.
Hier haben wir uns mit dem Auto einen Wirtschafts- und Wanderweg entlang geschlichen um auf diesen Platz zu gelangen.
Mathias meinte, er wurde in einer Nacht einmal vom Ranger besucht und freundlich gebeten, den Platz zu verlassen, sonst hatte er aber bislang immer Glück und konnte dort ungestört beobachten.
In guten Nächten steigt das SQM-L dort auf Werte bis 21.8 mag und Gelände und Vegetation sorgen dafür, dass keine störenden Lichter aus den Tälern zu diesem Platz vordringen.
Hier ein Blick nach Westen und Norden:
Gar nicht weit entfernt steht Mathias sein persönlicher Beobachtungsturm …
... mich hat nur gewundert, dass er keinen Schlüssel dafür dabei hatte
Was solls, der Wind blies ordentlich und ich war froh, nicht so exponiert in luftiger Höhe beobachten zu müssen.
Alles in allem muss ich als Kontinentalklimaflachländer sagen, dass mich die Landschaft und das satte Grün dort schon sehr beeindruckt haben.
Bis zum Dunkelwerden hatten wir noch ein wenig Zeit und kehrten deshalb in den 1,5 km entfernten Berggasthof ein, ein Hotel mit sehr, sehr, sehr gemütlichem Gaststübchen und Panoramafenstern in die östlichen Täler.
Wir schlurften Bionade-Brausen in verschiedensten Geschmacksrichtungen und philosophierten mehr oder weniger laut, dass das in der Tat ein tolles Hotel für einen Astroulraub wäre.
Der netten Kellnerin war das egal. Sie meinte nur, es nützt ihr die ganze dunkle Dunkelheit nichts, wenn sie gleich nach Hause will.
So machten wir uns um 22:30 Uhr auf den Rückweg zum befestigten Platz am Schwarzen Moor.
Wie von Mathias erwartet, fielen zu diesem Zeitpunkt die letzten Quellwolken schnell in sich zusammen und nur einige letzte Fetzen, getrieben vom recht steifen, aber warmen Wind zogen über uns hinweg.
Die Temperatur sollte in dieser Nacht nicht unter 14° C fallen und die Luftfeuchte hielt sich aufgrund des Windes in angenehmen Grenzen.
Am Start waren Mathias sein 10“ Dobson, ich hatte zwei Ferngläser im Gepäck, ein 15x56 FG und ein 10x32 FG, beide separat auf Stativ für Vergleichsbeobachtungen.
Ein Stativ musste hier nur für diesen nächtlichen Schnappschuss herhalten.
Wir tun hier nicht nur so, als ob wie etwas beobachten, nein, wir hatten tatsächlich Venus im Visier.
Mathias seine letzte Nacht in der Rhön lag aufgrund wiedriger Umstände schon etwas länger und so wollte er ausgehungert nach so langer Abstinenz auch ein wenig ernsthaft beobachten. Deshalb habe ich mir im Vorfeld vorgenommen, mich auf meine Ferngläser zu konzentrieren und ihn möglichst in Ruhe zu lassen und nicht voll zu quatschen, wie ich es sonst oft bei meinen Mitbeobachtern mache.
Ja, vornehmen kann man sich viel. Die Nacht wurde natürlich gaaaanz anders. Anfangs sprangen wir zwischen Teleskop und Ferngläsern hin und her und nahmen viele Klassiker ins Visier, die vor allem in der Dämmerung schon zu beobachten sind. Bis auf Galaxien haben wir wohl keine Objektklasse ausgelassen.
Fasziniert war ich davon, wie hoch das Sternbild Skorpion hier über den Horizont erhebt. Aber hey, hätte ich im Nachgang nur nicht recherchiert. Das schwarze Moor liegt nur 1,5° unterhalb des Breitengrades bei mir zu Hause. Ich denke, der Eindruck wurde hier verstärkt, weil es Richtung Süden faktisch keine Aufhellungen am Horizont gab und das Sternbild deshalb einfach besser zu sehen war als bei mir zu Hause, wo zwei nahe Städte für ordentlich Lichtverschmutzung sorgen.
Zwei brachiale Kracherlacher haben wir uns auch wieder einmal geleistet. Für den ersten war ich unfreiwillig zuständig, als ich meinte: „… Mensch, Mist, Mathias, da ziehen Schlieren rein von Osten“.
Mathias besah sich das näher und meinte trocken: „Ne, du, dass ist die Great Rift in der Milchstraße“.
Waaaas? Ja, komm, ich kenne die Milchstraße und ihre Strukturen. Aber hier und heute bei einem Himmel, der laut SML-noch unter 21 mag lag, hatte ich das nicht erwartet.
Später dann habe ich nach jeder Objektbeobachtung ehrfürchtig in Richtung Schwan-Adler-Schild geschaut und konnte den Anblick kaum fassen. Nicht nur eine oder zwei Milchstraßenwolken, sondern richtig viele helle. große und kleine Klumpen. Was für ein transparenter Himmel war das denn? Krass schön.
Beobachtet haben wir Querbeet, was sich uns bot. Beeindruckend fand ich die südlichen Messier-Nebel in den Sternbildern Schild und Schütze in Mathias seinem Teleskop.
Bei Messier 4 zeigte Mathias mir einen nebligen Strich, wohl eine Sternspur, die ich so noch nie wahrgenommen habe. Eindrucksvoll.
In der Schildwolke Messier 24 besahen wir uns noch einmal ganz in Ruhe den Sternhaufen NGC 6603 (hier habe ich mich schon einmal darüber ausgelassen). Laut Mathias absolut zeichnungswürdig.
Vielfach haben wir in der Nacht einfach nur herumgerührt ohne Sternkarten und unsere Zufallstreffer bestaunt, zum Beispiel Messier 12 und Messier 15 wunderschön zusammen im Gesichtsfeld der Ferngläser. Hier konnte das kleine 10x32 Fernglas auch zeigen, zu was es fähig ist und stand dem 15x56 Fernglas in Sachen Bildästhetik kaum nach.
Bei den ungleichen Sternhaufenpaar IC 4756 und NGC 6633 dann ließ das 15x56 die Muskeln spielen, im 10x32 FG waren beide Haufen dafür schöner in Szene gesetzt bei 7,5° Gesichtsfeld. Laut Mathias wieder absolut zeichnungswürdig. Ich glaube, das der meistgehörte Spruch von Mathias in dieser Nacht.
Der zweite Lacher war ein kleiner, feiner Disput zu einem Objekt, das ich gefunden hatte. Ich war mir sicher, ich zeige Mathias Messier 14, war selbst erstaunt, wie hell der Kugelsternhaufen sich präsentierte. Selbst Mathias sein Hinweis, dass Messier 11 ja eindeutig wegen des hellen Sterns östlich im Haufen ist, ließ ich an mir abprallen. Dabei reichte ein Blick nach Westen im Fernglas zum nahen Fish Hook, ein auffälliges Riesensternmuster … und es dämmerte mir, ich war tatsächlich ordentlich verrutscht. Naja, Messier 11 ist ja auch seeeeehr sehenswert. Vor allem in Mathias seinem 10-Zöller bei 120-facher Vergrößerung gingen mir die Augen über. Diese mitunter wahrnehmbaren charakteristischen Kanäle waren mehr als deutlich und von der groben Struktur ähnelte M 11 einem Quadrat, wenn man die schwachen Außenbereiche ausblendete.
Ihr seht schon, kein ruhiges, konzentriertes Beobachten von keinem von uns beiden. Es ging mal wieder wild hin und her.
Mitten in der Nacht dann ein Schreckmoment .. ein helles Licht, langsam näher kommend. Mathias wurde unruhig. Hoffentlich nicht der Ranger!
Wir haben uns beide etwas vor die Augen gehalten, ich todesmutig den heranfahrenden Radfahrer angeblafft, er möge bitte das Licht ausmachen oder schnell vorbeifahren. Der Radfahrer zog einen Kreis, machte sein Licht aus und freute sich mit einem Jubelspruch, er sei auch Astronomiker und weiß Bescheid.
Erste Erleichterung bei Mathias und mir, die aber sehr schnell umschlug in blankes Entsetzen, denn der Radfahrer war einer vom Typus „Ich erzähle euch meine Lebensgeschichte in 30 Minuten“.
Dafür war uns dann doch die Zeit zu schade. Ich zog mich elegant aus der Affäre, indem ich vorgab: „… ich geh dann mal ein Objekt im Teleskop einstellen“. Mathias traf es härter, aber er fackelte dann auch nicht lange und forderte den nächtlichen Gast unmissverständlich auf, auf sein Rad zu steigen und nach Hause zu fahren. Der war so verdattert, dass er es auch tat. Aber nicht ohne uns noch eine Geschichte von einem Freund hinterherzurufen, der CB-Funker ist wie er.
Wir tauchten wieder ab in unsere Welt, bestaunten den Cirrus-Komplex im Teleskop, buchstabierten Barnards E (Barnard 142 & 143) und rauchten eine Dunkelzigarre (Barnard 168) in den Ferngläsern. Kaum zu glauben, dass Mathias sich die Dunkelzigarre vorher noch nie bewusst angeschaut hat, ein Kerl mit über 1.000 Zeichnungen und darunter auch einige wunderschöne Dunkelnebel.
Beim Blick auf die Uhr wurde uns klar, dass die Dämmerung bevorstand. Letztes Objekt der Nacht sollte deshalb der Doppelsternhaufen h & chi (NGC 869 & 884) sein. Wunderbar im Teleskop, der Parachute (Zürn 1) auch prominent zu sehen … und in den Ferngläsern schön zusammen mit dem Muskelmännchen (Stock 2). Ich bin ja der festen Überzeugung, dass ASCC 8 auch noch zum Muskelmännchen gehört. So groß sehe ich es zumeist. Moment mal, das waren ja doch wieder eine Menge Objekte ... und auch nicht die letzten, aber lassen wir das besser
Während der zweistündigen Heimfahrt versprach ich Mathias, wach zu bleiben. Naja, bis auf 15 Minuten hat das ganz gut geklappt.
Der aufgehende Halbmond begleitete uns während der Fahrt beständig, zunächst blutrot und knapp über dem Horizont, dann immer heller und strahlender werdend.
Zurück in Erfurt begrüßte uns die Stadt im Tal mit funkelnden Lichtern. Ein schöner ausklang zu dieser wunderbaren, kurzweiligen Nacht.
Ich habe Mathias um ein Fazit gebeten: Sch … auf weiße Nächte, die Zeit um die Sommersonnenwende herum wird in Zukunft auch mit eingeplant.
Ich für meinen Teil beneide Mathias um diesen Beobachtungsplatz und kann jetzt noch mehr verstehen, dass er diese weiten Fahrten auf sich nimmt.
Und ich bin froh und glücklich, dass ich teilhaben und mit ihm diese schöne Nacht zusammen genießen durfte.
Viele Grüße
Rene