Servus beinand,
wie ich mit Erstaunen feststellen musste, ist das Sternbild Zwilling bisher erst zweimal in den Fokus des Objekts des Monats gekommen. Dabei bietet es doch so viele, interessante Objekte. Da ab April wohl die Galaxien im Mittelpunkt stehen werden, habe ich mich als Abgesang auf den Winter bzw. die Wintermilchstraße für Offene Sternhaufen entscheiden. Hierbei möchte ich auf vier (bis fünf) Haufen verweisen, die alle sehr nahe beisammen stehen und auf einen Rutsch vergleichend betrachtet werden können:
Abbildung von wikisky.org (DSS), Markierungen / Beschriftung von mir eingefügt
Als Startpunkt unserer kleinen Tour und quasi zum Aufwärmen dient Messier 35. Es handelt sich hierbei um einen noch nicht sehr alten Offenen Sternhaufen, der durch seine Nähe und seinen Sternreichtum besticht. Man kann ihn in einer guten Nacht bequem mit bloßem Auge sehen. Bouy et al. (2015) geben an, dass M 35 mit großer Wahrscheinlichkeit mehr als 1000 Sterne enthält. Für 305 Sterne geben sie die Wahrscheinlichkeit, zum Haufen zu gehören, mit 95% an, für 1726 mit 50% und für weitere 4349 Sterne mit immerhin noch 50% an. M 35 wird meist mit 28‘ Durchmesser angegeben, dabei sind erstreckt er sich vermutlich über mehr als ein Grad im Durchmesser. Was wir als Sternhaufen wahrnehmen, ist eben nur der kompakte Kernbereich. Er ist 5m1 hell und knapp 2400 Lichtjahre entfernt. Das Alter liegt bei 133 Millionen Jahren.
Übrigens: HD 252260 (8m6) und HD 41996 (7m4) sind kräftig gelb. Wem fällt das bei dem Gefunkel von M 35 auf?
Direkt südwestlich von M 35 kann man einen weiteren, aber sehr weit entfernten und zudem alten Sternhaufen bewundern: NGC 2158. Auch hierbei handelt es sich um einen überaus kompakten, sternreichen Haufen, denn er enthält immer noch 800 Sterne (Mitgliedswahrscheinlichkeit jedes dieser Sterne von über 90% – siehe Sariya et al. 2021). Er ist bereits 2,4 Milliarden Jahre alt, was bedeutet, dass alle hellen Sterne, die im HRD links oben stehen, bereits über die Riesenphase zu Weißen Zwergen wurden. Diese wenigen, sonst herausstechenden Sterne fehlen also, weshalb man aus dem Nebelfleck viele, ungefähr gleich helle Sterne herausblitzen sieht. Je nach Öffnung des Teleskops sind das wenige bis „plötzlich“ sehr viele, die wie Puderzucker glitzern. NGC 2158 ist 15000 Lichtjahre von uns entfernt(!) und trotzdem 8m6 hell, was aus der sehr große Zahl von Mitgliedssternen folgt.
Wir haben also zwei Sternhaufen direkt nebeneinander (bzw. M 35 überlappt sogar mit NGC 2158) und sehen gestaffelt in unterschieidliche Spiralarme unserer Galaxie. M 35 liegt wie unser Sonnensystem im Orionausläufer, nur am äußeren Rand desselben, während wir für NGC 2158 durch diesen und zudem auch den Perseusarm hindurch sehen, um in den Äußeren Arm (Ausläufer des Norma-Arms) zu sehen.
Ich vermute, dass Viele die beiden bereits ausgiebig angesehen haben. Doch wer weiß, dass westlich davon ein weiterer Doppelhaufen liegt? Es geht um IC 2156 und IC 2157. Netopil et al. (2015) gehen davon aus, dass IC 2156 entweder ein Asterismus oder ein klumpiger Ausläufer von IC 2157 sei. Tadross & Hendy (2016) wiederum sehen in ihm einen Offenen Sternhaufen und geben für ihn an, dass er 295 Sterne enthält, 250 Millionen Jahre alt ist und 9400 Lichtjahre von uns entfernt ist (die große Zahl an Sternen lässt an IC 2157 denken, daher vermute ich, dass hier die beiden als Synonym gelten?).
IC 2157 (= Koposov 65) ist laut Glushkova et al. (2008) 7800 Lichtjahre von uns entfernt, also etwas näher als IC 2156 und korrigiert frühere Altersangaben, die über einer Milliarde Jahren lag, insofern, dass er weniger als 1 Milliarde Jahre als Ergebnis erhält. Er ist 8m4 hell, für IC 2156 habe ich keine Helligkeitsangabe gefunden. Inwiefern sich die Angaben auf einen oder alle beiden Haufen gemeinsam beziehen, ist mir unklar. Es ist eben noch nicht alles geklärt, trotz umfangreicher Untersuchungen an Offenen Sternhaufen. Wie auch immer, ob zwei oder ein Haufen, optisch erscheint hier ein Doppelhaufen, der im Perseusarm beheimatet ist.
Nach den beiden Doppelhaufen gilt es zum Abschluss, denn aller guten Dinge sind drei, einen Jungspund aufzusuchen: NGC 2129. Mit 10 Millionen Jahren ist er der jüngste Sternhaufen unserer kleinen Tour (vgl. Tripathi et al. 2013). Wikipedia gibt 5000 Lichtjahre Abstand an, Tripathi et al. (2013) hingegen 6800 Lichtjahre. Die scheinbare Helligkeit beträgt 6m7 und der kleine Haufen misst 6 Bogenminuten im Durchmesser. Der Unterschied zu den bisher besuchten Haufen dürfte sehr deutlich sein: zwei Sterne stechen deutlich hervor, der Haufen ist farbig, mit blauen und roten Sternen. Der hellste Stern ist 7m4 hell. Ein Gefunkel auf 6 Bogenminuten im Durchmesser. Und wie findet man NGC 2129? Nun, entweder geht man von dem Doppelhaufen IC 2156/2157 direkt nach Süden oder man geht zurück zu M 35 und nutzt die Verlängerung von M 35 und NGC 2158, um direkt die passende Richtung für NGC 2129 zu haben. Falls man dabei 1 Geminorum (4m16) ins Gesichtsfeld bekommt, muss man nur etwas westlich nach dem Sternhaufen suchen.
Alle Objekte sind im 10 × 50 Fernglas (wenn der Himmel mitspielt) zu sehen, wobei IC 2156/57 hierbei am schwierigsten ist. Erste Sterne wird man bei NGC 2158 vermutlich mit 6 Zoll sehen, bei sehr gutem Himmel eventuell mit 4 Zoll.
Hier noch die Koordinaten und Entfernungen:
M 35: 06h 09m 05s +24° 20‘ 19“ – 2400 Lj
NGC 2158: 06h 07m 26s +24° 05‘ 46“ – 15000 Lj
IC 2156: 06h 04m 51s +24° 09‘ 37“ – 9400 Lj
IC 2157: 06h 04m 51s +24° 03‘ 21“ – 7800 Lj
NGC 2129: 06h 01m 07s +23° 19‘ 20“ – 5000 Lj
Um bei der Sternhaufenwanderung das Dreidimensionale nicht zu vergessen, habe ich alle auf dieser Milchstraßenkarte markiert – sie liegen alle bei 186° Galaktischer Breite, also fast genau gegenüber des Zentrums unserer Galaxie:
Abbildung von Wikipedia / Wikimedia – https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/12/Artist%27s_impression_of_the_Milky_Way_%28updated_-_annotated%29.jpg – rote Markierungen und Beschriftung von mir
Folgende Fragestellungen bieten sich an:
1.) M 35 mit bloßem Auge (Himmeltester) – klappt das, wenn ja, wie gut?
2.) Mit welcher Optik kann man Sternfarben in M 35 unterscheiden? (Darauf habe ich bisher auch noch nicht geachtet, was ich unbedingt nachholen muss)
3.) Ab welcher Öffnung kann man NGC 2158 in erste Sterne auflösen?
4.) IC 2156/57 im Fernglas: bis zu welcher Öffnung und Vergrößerung klappt das?
5.) IC 2156/57: inwieweit sind zwei unterscheidbare Haufen im Teleskop zu erkennen?
6.) NGC 2129: Sind visuell Farbunterscheide bei den Sternen zu erkennen?
7.) Zeichnungen und/oder Fotos: mit passender Brennweite müssten alle Objekte auf ein Foto passen, denn sie sind wirklich sehr nah beinander. M 35 zu zeichnen wäre eine Sisiyphusarbeit, aber die kleineren Haufen lohnen sich.
Natürlich muss/soll niemand sich dazu aufgefordert sehen, alle Fragestellungen abzuarbeiten. Vielleicht kommt aber doch das Eine oder Andere zusammen – Hautpsache ist der Spaß am Beobachten / Fotografieren!
Ich wünsche allen Freude beim Blättern in den Archiven und beim Live-Beobachten. Dank der relativ großen Höhe am Himmel kann man diese Objekte noch recht lang als Ausklang des Winters beobachten.
Literatur:
Bouy et al. (2015): Messier 35 (NGC 2168) DANCe I. Membership, proper motions, and multiwavelength photometry. Astronomy and Astrophysics 575: A120. DOI: 10.1051/0004-6361/201425505 – https://www.aanda.org/articles/aa/pdf/2015/03/aa25505-14.pdf
Glushkova et al. (2007): Automated search for galactic star clusters in large multiband
surveys: I. Discovery of 15 new open clusters in the Galactic anticenter region. Astronomy and Astrophysics 486(3), DOI 10.10501/0004-6361:20078630 – https://webda.physics.muni.cz/ccpp/glushkova.pdf
Sariya et al. (2021): A Comprehensive Analysis of NGC 2158 in the Gaia Era: Photometric Parameters, Apex, and Orbit. The Astronomical Journal 161: 101 (12pp) – https://iopscience.iop.org/art…3847/1538-3881/abd31d/pdf
Tripathi et al. (2013): Photometric study of Galactic open cluster NGC 2129, NGC
1502 and King 12. Bull. Astr. Soc. India (2013) 41: 209–226 – https://astron-soc.in/bulletin/13September/209412013.pdf
Liebe Grüße,
Christoph