Farbsehen und "visueller Weißabgleich"

  • Hallo zusammen,


    folgende Beobachtung von gestern abend zum Farbsehen von Deep-Sky-Objekten:


    Wenn ich den Hantelnebel im Teleskop hin- und herschwenke und dann stoppe, sehe ich ihn anschließend eine ganze Zeitlang in einem schönen, manchmal sogar recht kräftigen Türkiston, der aber mit der Zeit und insbesondere bei anschließendem Bewegen der Augen verschwindet (so eine Art visueller Weißabgleich?). Teilweise reicht es für die Farbe auch, den Hantelnebel nur von außen schnell ins Gesichtsfeld zu holen. So bin ich auch drauf gekommen: ich hatte den Hantelnebel eingestellt und war kurz vom Teleskop weg; als ich wieder mit Schwung ins Okular schaute, war er satt türkisgrün. Wenn ich ihn an Ort und Stelle im Gesichtsfeld lasse, mag die Farbe nicht kommen, egal wie ich drauf- oder dran vorbeischaue. Vielleicht würde es reichen, mal kräftig mit den Augen zu rollen, das habe ich nicht ausprobiert.


    Kennt ihr diesen Effekt? Gibt es eine physiologische Erklärung dafür? Ich freu mich jedenfalls schon drauf, das dann mal am Orionnebel auszuprobieren...!


    Alles mit dem 10"-Bino bei niedriger Vergrößerung (6 mm AP) und ohne Filter.


    Herzliche Grüße, Holger

    :milky_way: 10" f/5 Newton-Bino :comet: 120mm f/5 Achromaten-Bino :hammer_and_wrench: 8" f/8 Jones-Schiefspiegler-Bino

  • Holger,

    das erinnert mich an komplementäre Farbeindrücke, bei der die Komplementärfarbe nachklingt. Wenn man auf eine Farbe konzentriert schaut, speichert die Netzhaut ein Bild in Komplementärfarbe für eine Weise danach als Sinneseindruck. Die sieht man dann selbst mit geschlossenen Augen.


    Komplementärfarben addieren sich zusammen zu einem Grauton.

  • Hallo Holger,


    der Hantelnebel leuchtet im sichtbaren Spektrum ja hauptsächlich im Licht der grünen OIII-Linie. H-Alpha-Emissionen werden kaum wahrgenommen, H-Beta ist bei M27 deutlich schwächer, aber ebenfalls blau-grün. Das türkise ist also seine richtige Farbe und anscheinend ist Dein Farbsehen empfindlich genug, dass Du es zumindest zeitweise wahrnehmen kannst.


    Wie Dein Gehirn diesen „Weißabgleich“ hinbekommt, kann ich Dir aber leider auch nicht sagen. Ich habe aber schon oft beobachtet, dass mir M27 mit OIII oder UHC-Filter grün erscheint, ohne Filter aber weiß. Dabei leuchtet der Nebel ja in beiden Fällen mit dem gleichen Licht, also auch in der gleichen Farbe. Er sollte also sowohl mit als auch ohne Filter gleich erscheinen.

    Ich habe das immer darauf geschoben, dass mit Filter die umgebenden Sterne ja ebenfalls grün sind und ich hatte deshalb die Farbe des Nebels eher als optische Täuschung eingeordnet. Es ist viel Grün im Gesichtsfeld, also sehe den Nebel auch grün.


    Aber deine Beobachtung deutet ja eher darauf hin, dass genau das Umgekehrte der Fall sein könnte. Spannend. 8) Ich muss das bei der nächsten Gelegenheit unbedingt auch mal ausprobieren.


    Bis dann:

    Marcus

    16" f/4 Dobson, 6" f/5 Dobson, C8, 60/360 Apo, 70/700 PST-Mod "Sunlux"


    Zeige mir einen Dobson und ich zeige Dir eine Baustelle

  • Ggf. könnte hierfür der Purkinje-Effekt verantwortlich sein.

    CS & VG

    Stefan

    :star: Deep Sky: Sky-Watcher QUATTRO 150P | TS PHOTOLINE 106/700 f6.6 | ASKAR FRA300 Pro 60mm f/5 | Samyang 135mm F2.0 ED UMC :ringed_planet: Mond, Planeten (,Sonne): Sky-Watcher Skymax Mak-Cas 150/1800 | Sky-Watcher Skymax Mak-Cas 102/1300 :sun_with_face: Sonne: Lunt LS60MT Ha B1200 :camera: Kameras: ZWO ASI533MC Pro, ZWO ASI178MM, ZWO ASI178MC, ZWO ASI585MC, QHY 5III 715C :magnet: Autoguiding: Svbony SV106 | QHY 5III 178c :telescope: Montierung: iOptron CEM26 :high_voltage: Powerbank: FOX HALO 96K Power Pack :globe_showing_Europe_Africa: Webseite: https://www.junger.net/

  • Hallo zusammen,


    Danke fürs Interesse an dem Thema, und für eure Ergänzungen. Ich hätte auch fragen können: warum bringe ich die fürs Farbsehen zuständigen, aber eher unempfindlichen Zapfen in meinem Auge auf diese Weise dazu, mir die tatsächliche Farbe des Hantelnebels anzuzeigen, während sie (oder die Signalverarbeitung dahinter) sich ansonsten weigern? -

    Abgesehen von der Sehphysiologie finde ich auch den beobachtungstechnischen Aspekt dabei spannend (und Deine Erfahrungen mit/ohne Filter, Marcus).

    Beim Ringnebel hat es übrigens auch bei etwas höherer Vergrößerung genauso funktioniert, die Sterne daneben blieben schön weiß.


    Herzliche Grüße, Holger

    :milky_way: 10" f/5 Newton-Bino :comet: 120mm f/5 Achromaten-Bino :hammer_and_wrench: 8" f/8 Jones-Schiefspiegler-Bino

  • Hallo Norman,

    Vielleicht ist das Sehen mit beiden Augen auch irgendwie begünstigend,

    Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Ich habe den Hantelnebel kaum je so deutlich grünlich gesehen wie in unserem alten 10-Zoll Bino, bei kleiner Vergrößerung.


    Und ähnlich jetzt gerade am ITT: Bei sehr transparentem Rückseitenwetter erschien der Orionnebel schon im 6-Zoll Bino-Refraktor deutlich farbig, mit dem türkisen Zentrum und den rötlichen "Schwingen". Und das nicht nur bei der geringsten Vergrößerung, auch noch bei 70-fach. Das kenne ich so - bei vergleichbar gutem HImmel - nicht so deutlich mit dem (Mono-) 10-Zöller. Vielleicht nimmt das Hirn die Informationen der farbempflichen Zapfen bei beidäugigem Sehen irgendwie besser wahr.


    Servus

    Ben

  • Einen ähnlichen Effekt habe ich ganz unastronomisch beobachtet. Von meinem Hochhausfenster kann ich seit Monaten ein rotes T-Shirt erkennen, das von irgendwoher in einem Baum geweht wurde. Nachts erscheint es schwarz, auch durch ein Fernglas. Wenn ich beim Blick durchs Fernglas aber gezielt daneben schaue, ist für einen kurzen Augenblick die rote Farbe deutlich zu erkennen. Ohne Fernglas klappt das aber nicht.


    Mit dem oben erwähnten Purkinje-Effekt kann ich mir das nicht erklären.


    Helmut

  • Salve Helmut,


    beim indirekten schauen werden die schwarz/weiß Rezeptoren belichtet.

    Somit kann dort nicht wirklich ein echtes Rot sichtbar sein.

    Für das Farbsehen muß das Beobachtungsobjekt im Zentrum deiner Netzhaut betrachtet werden, also so gesehen beim direkten Anblick.


    Ich fand diese gefundene Erklärung auch recht spannend vom Bayrischen Rundfunk.

    Sie zeigt ganz gut das Farbe nicht gleich Farbe ist sondern eine Gemisch von Bio-Chemie :)


    Stäbchen und Zapfen - Die Farbenküche der Netzhaut

    Den entscheidenden Schlüssel für das Verständnis des Farbensehens liefern die lichtempfindlichen Sinneszellen der Netzhaut. Von diesen Fotorezeptoren gibt es zwei Sorten: Stäbchen und Zapfen. In beiden Rezeptortypen sind Sehpigmente eingelagert, die auf eine bestimmte Wellenlänge optimal reagieren. Das in den Stäbchen eingelagerte Sehpigment heißt Rhodopsin und wird wegen seiner roten Farbe auch Sehpurpur genannt. Das Sehpigment der Zapfen heißt Iodopsin. Rhodopsin und Iodopsin sind lichtempfindliche Einweißmoleküle mit unterschiedlichen Farbstoffzusätzen. Sie ändern ihre chemische Beschaffenheit, sobald Licht in die Rezeptorzellen fällt.

    Stäbchen sorgen für Hell-Dunkel-Kontraste

    Die Netzhaut des menschlichen Auges ist mit etwa 120 Millionen Stäbchen besetzt, die für das Dämmerungssehen optimiert sind. Sie nehmen hauptsächlich Hell-Dunkel-Kontraste wahr und vermitteln die Wahrnehmung von Grautönen (Detektionsempfindlichkeit). Hätten wir nur Stäbchen, erschiene uns die Welt ausschließlich schwarz und weiß.

    Jetzt wird es bunt - Zapfen nehmen Farbe wahr

    Die rund sieben Millionen Zapfen sind für das hochauflösende Farbensehen bei Tage und die Bewegungswahrnehmung zuständig. Sie kommen in drei spezialisierten Typen vor, die sich durch die Zusammensetzung des Sehpigments und die optimal aufgenommene Wellenlänge unterscheiden. Stark vereinfacht gibt es Zapfen, deren Sehpigment am stärksten auf Rot, beziehungsweise Grün oder Blau anspricht. Der chemische Prozess, den die aufgenommene Lichtenergie in den Fotorezeptoren anstößt, wandelt das optische Signal in einen elektrischen Nervenimpuls um. Anschließend setzen die so genannten Ganglienzellen diesen elektrischen Reiz in ein neuronales Signal um, der das Gehirn über unterschiedliche Schaltstellen und Leitungswege erreicht.


    saluti Giovanni

  • Kann das durch Rotlicht verstaerkt sein, z.B. Beleuchtung in der Sternwarte?


    Ich hatte das mal bei einer Zusammenkunft mit ein paar Sternfreunden bei bewoelktem Himmel, der durch die uebliche Lichtverschmutzung grau war. Wir sassen in unserer Gartenbar und diskutierten, wobei eine monochrome LIchterkette an war. Sie war meiner Erinnerung nach auf "gruen" gestellt. Als einer meiner Besucher mal raus musste und durch den dunklen Garten ging, berichtete er von einem feuerroten Himmel. Unsere Theorien schossen bald ins Kraut: Helle Polarlichter scheinen durch Wolken, oder ein Feuer irgendwo ... bis es mir daemmerte, dass wir in einem gruen beleuchteten Raum sassen. Ich stellte die Lichterkette auf rot um, und nach ein paar Minuten erschien der Himmel draussen blau. Wir experimentierten noch mit verschiedenen anderen Farben, und es war immer die Komplimentaerfarbe, die sich einstellte, um nach einigen Minuten im Garten wieder einem Grau zu weichen.

  • Ich finde es schon seltsam, wie meine Beobachtung, die ich mehrfach überprüft habe, hier einfach als nicht möglich bezeichnet wird. Ich hatte ja auch zuerst gedacht, das sollte eigentlich nicht so sein. Ist aber so - und ich kann es jederzeit reproduzieren. Das rote Hemd hängt da immer noch. Und hätte es diesen Thread nicht gegeben, hätte ich es auch nicht erwähnt.


    Helmut

  • Hallo Helmut,


    finde ich spannend, deine Beobachtung! Kannst ja das wilde Rumschwenken auch mal probieren - bei mir war das der Knaller. Lass Dich nicht irritieren :)



    Hallo Jürgen,


    guter Punkt mit dem Rotlicht und den Komplementärfarben. Da ich beim Beobachten keinerlei Licht dulde (nicht mal Rotlicht für den Atlas), scheidet das in meinem Fall aus...



    Ben, Norman, mono- vs. binokular macht sicher auch nochmal einen Unterschied. Darauf wollte ich aber gar nicht raus. Bin aber gespannt, was Du monokular für Effekte siehst, Norman.



    Herzliche Grüße und danke euch fürs Interesse an diesem Thema


    Holger

    :milky_way: 10" f/5 Newton-Bino :comet: 120mm f/5 Achromaten-Bino :hammer_and_wrench: 8" f/8 Jones-Schiefspiegler-Bino

  • Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Ich habe den Hantelnebel kaum je so deutlich grünlich gesehen wie in unserem alten 10-Zoll Bino, bei kleiner Vergrößerung.

    Deckt sich mit meiner Erfahrung, zwar nur in "mono", dass Farben am besten in soweit möglich kleinen Vergrösserungen wahrgenommen werden. Bei Sternen. Bei zunehmender Vergrösserung verliert sich der Farbeindruck auch zunehmend, ausser es handelt sich um wirklich helle Sterne wie Aldebaran und dgl.. Würde den Effekt also hauptsächlich auf die verwendete Vergrösserung zurückführen.


    Bei roten Sternen ist es m.E. besonders gut nachvollziehbar. War mir einst beim weniger hellen roten RS cyg, ca. 8m, sehr aufgefallen.


    Gruss

    Der auf Anderer Zehen tanzt

    Möge das Wetter mit dir sein

    ------------------------------------------

    Omegon Pro APO 110/660 Carbon Doublet, Baader BBHS Amici 2", Televue Delos 3.5, 6, 10mm, Nagler 22mm, Panoptic 35mm, Rigel Quikfinder, Tecnosky 8x50 finder, on aokswiss AYO II and Manfrotto 028, binoculars Leitz Trinovid 7x42

  • Salve Helmut,


    beim indirekten schauen werden die schwarz/weiß Rezeptoren belichtet.

    Somit kann dort nicht wirklich ein echtes Rot sichtbar sein.

    Für das Farbsehen muss das Beobachtungsobjekt im Zentrum deiner Netzhaut betrachtet werden, also so gesehen beim direkten Anblick.

    Das lässt sich ja leicht überprüfen. Man hänge ein rotes Tuch über eine 20-30 m entfernte Leine. Der Hintergrund sollte dunkel sein, da ich von oben gegen den Boden beobachte. Die Beleuchtung bei mir ist schwach, nur die Fenster der Umgebung und der Hamburger Vorstadthimmel. Auf jeden Fall sollt das rote Tuch beim direkten Ansehen dunkel und farblos, aber noch erkennbar sein.


    Meiner Meinung nach handelt es sich um den gleichen Effekt, den Cleo im ersten Post aufführt - es kommt auf die Augenbewegung an. Ein anderes Beispiel: Ich habe eine LED-Wohnzimmerlampe in gelblichem Weiß. Bei schneller Augenbewegung sehe ich dort manchmal für Sekundenbruchteile die Farben rot und grün.


    Helmut

  • Hallo Giovanni,


    die Zapfen gibt es ja nicht nur in der Mitte:


    Zapfen (Auge) – Wikipedia


    Man kann sich schon vorstellen, dass das so verschaltet ist, dass die Stäbchen leicht abseits der Fovea ansprechen müssen, damit ein schwacher Farbeindruck von dort durchkommt, und das besser funktioniert als das formale Sehen.


    Ich schau mal, ob ich noch was dazu rausfinden kann.


    Herzliche Grüße, Holger


    P S. Helmut, die Farbe bei der LED ist ein hochfrequenter Farbwechsel, der bei Augenbewegung aufbricht (Stroboskop-Effekt). Das ist was anderes

    :milky_way: 10" f/5 Newton-Bino :comet: 120mm f/5 Achromaten-Bino :hammer_and_wrench: 8" f/8 Jones-Schiefspiegler-Bino

  • Deckt sich mit meiner Erfahrung, zwar nur in "mono", dass Farben am besten in soweit möglich kleinen Vergrösserungen wahrgenommen werden ... Würde den Effekt also hauptsächlich auf die verwendete Vergrösserung zurückführen.

    Ja, und beim Bino kann man effektiv eben noch mit deutlich kleinerer Vergrößerung beobachten, bezogen auf die gleiche Menge an gesammeltem Licht - das dürfte die Farbrezeptoren der Zapfen freuen.


    Konkret an einem Beispiel, bei vergleichbarem Fernrohrtyp: Direkt auf die lichtsammelnde Fläche bezogen liefern die beiden Objektive eines 6-Zoll Binos in Summe etwa die Lichtmenge eines (Mono-) 8,5-Zöllers. Bei gleicher Austrittspupille von z.B. 6mm beobachtet man im 8,5-Zöller dann bei gut 37-fach, im Bino aber nur mit 25-fach - nur halt mit beiden Augen. Wieviel genau man effektiv mit beiden Augen mehr sieht als mit einem, ist dann wieder ein anderes Thema.


    Servus

    Ben

  • Hallo zusammen,


    hier eine entspannende Gutenachtlektüre :evil1: :P ^^


    Vision under mesopic and scotopic illumination
    Evidence has accumulated that rod activation under mesopic and scotopic light levels alters visual perception and performance. Here we review the most recent…
    www.frontiersin.org


    Herzliche Grüße, Holger

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