Wankt das kosmologische Standardmodell?

  • Hallo zusammen,


    wir hatten gerade zum Thema Dunkle Materie diskutiert. Müssen wir an ihr festhalten?


    Das Lamba-CDM Modell gilt als durch die Beobachtung gesichert. Es stützt sich auf die Dunkle Energie (Lambda) und die Dunkle Materie (CDM - Cold Dark Matter), die zusammen 95% der Energiedichte des Universums ausmachen. Doch worum handelt es sich da? Trotz intensiver Suche konnten Teilchen der DM nicht dingfest gemacht werden und noch gibt es keine theoretische Begründung für die Natur der DE. Sie gilt als intrinsische Eigenschaft des Vakuums.


    Für Zweifel am gegenwärtigen Modell sorgt insbesondere die sog. Hubble-Tension, hier dokumentiert durch Figure 2: Evolution of the Hubble tension. Immer genauere Messungen scheinen zu zeigen, dass die Hubble-Konstante im frühen Universum einen signifikant kleineren Wert als heute hatte. Dies ist mit dem Lambda-CDM Modell aber nicht vereinbar. - Für Irritationen sorgt auch, dass gewisse Vorhersagen der DM nicht im Einklang mit der Beobachtung sind, dazu zählt die Zahl und Verteilung von Zwerggalaxien.


    Wie immer wuchern Erklärungsversuche, wenn ein eigentlich anerkanntes physikalisches Modell Schwächen zeigt. So auch hier. Für spannend halte ich Alexandre Deur's Ansatz der Einbeziehung der Selbstwechselwirkung SI (Self-Interaction) gravitativer Felder. Deur hat dazu bereits eine Reihe von Publikationen veröffentlicht, die den peer-review Prozess durchlaufen haben. D.h. Deur's SI ist durchaus Gegenstand der Physik.

    Grob zusammengefasst sagt Deur, SI verstärkt die gravitative Wirkung von Materieansammlungen mit der Folge, dass die die Gravitation zwischen solchen Ansammlungen (Galaxien, Galaxienhaufen ...) abnimmt. Damit ist das Lambda-CDM Modell obsolet, denn SI liefert ohne DM/DE genau den Mechanismus, der der die Beobachtung bestätigt. Die Einstein'schen Feldgleichungen werden nicht angetastet, es werden lediglich die 95% unbekannter Zutaten zum Universum durch SI ersetzt.

    Soweit klingt das alles wie eine nette Hypothese, wären da nicht die frappierenden Übereinstimmungen mit der Beobachtung des Mikrowellenhintergrunds und der Supernovae - Daten FIG. 2: Power spectrum of the CMB temperature anisotropy FIG. 3: Left panel: Supernova apparent magnitudes vs. redshift.


    Noch scheint Deur wenig beachtet zu werden - doch das kann sich ändern. Genauso gut kann die Hubble-Tension sich in Luft auflösen, falls doch noch entsprechende systematische Fehler gefunden werden. Doch was passiert dann mit SI? Entweder es gibt sie, oder es gibt sie nicht. ;)


    Grüße

    Günter

  • Hallo Günter,


    Danke für den Hinweis, sieht sehr spannend aus. Grundlegende Vorhersagen kommen passend raus, das ist klasse. Theorien, die ohne dunkle Materie und Energie auskommen, finde ich immer unfassbar attraktiv :) Interessant wäre zu wissen, wo die Theorie (noch) nicht passt.


    Herzliche Grüße, Holger

    :milky_way: 10" f/5 Newton-Bino :comet: 120mm f/5 Achromaten-Bino :hammer_and_wrench: 8" f/8 Jones-Schiefspiegler-Bino

  • Hallo Holger,


    ich habe mich da noch nicht im Detail beschäftigt. Etwas für mich undurchschaubar sind die Modifizierungen der Friedmann Gleichungen, die ja nun statt auf rho und Lambda auf seinem SI Term beruhen. Das ist wichtig, weil ja davon die zeitliche Abhängigkeit des Skalenfaktors beruht.


    Grüße

    Günter

  • Für die, die's interessiert: einen guten Überblick, Zusammenfassung und Diskussion gibt's hier:


    Deur's Work On Gravity
    Background MOND and other modified gravity theories  that explain dark matter A phenomenological toy-model theory developed in 19...
    dispatchesfromturtleisland.blogspot.com


    Wird immer spannender - und das Standardmodell immer abstruser ... spätestens wenn man den (scheinbaren?) unterschiedlichen Gehalt an dunkler Materie in elliptischen und Spiralgalaxien erklären muss. Das ergibt sich bei Deur einfach aus der unterschiedlichen Symmetrie.


    Herzliche Grüße, Holger

    :milky_way: 10" f/5 Newton-Bino :comet: 120mm f/5 Achromaten-Bino :hammer_and_wrench: 8" f/8 Jones-Schiefspiegler-Bino

  • Hallo Günter, hallo Holger,


    vielen Dank auf den interessanten Hinweis und die Links. Meldungen, dass das Standarmodell der Kosmologie mit Dunkler Materie und Dunkler Energie nicht passt tauchen immer wieder mal auf, etwa 99% der Kosmologen sind allerdings von dessen Gültigkeit überzeugt, und wie das Video zeigt Geht es auch ohne Dunkle Materie?

    dass es ohne sie nicht geht, mehr noch man kann den Eindruck gewinnen, einige sind ziemlich genervt wenn Laien diese Frage immer wieder aufwerfen.


    Ich finde sehr bemerkenswert, dass Modifikationen des Graviatonsgesetzes (MOND) auf der lokalen Skala Vorhersagen machen, die dann durch Beobachtungen bisher bestätigt wurden, das Standardmodell tut dies für einzelne Galaxien nicht, und dennoch sind die Fits der Dynamik nicht besser als die von MOND. Selbst wenn MOND, erst mal nur ein empirisches Gesetz das die Bewegung nur auf der Basis 'normaler' Materie beschreibt, als Theorie falsch ist, so scheint der neue Ansatz hier von Deur die Dynamik auf der Skala von Galaxien, also MOND ähnliches Verhalten, aber auch die Dynamik von Galaxienhaufen ( das kann MOND nicht) sowie des Powerspektrums der kosmischen HIntergrundstrahlung korrekt beschreiben. Ich finde das äußerst bemerkenswert. Ob die Hubble Konstante nun so entscheidend ist , über deren Wert wird seit ihrer Einfürhung gestritten. Eine zentrale Frage wird sein, ob die Theorie von Deur voll mit der Allgemeinen Relativitästheorie kompatibel ist, von der wird sich kaum jemand so schnell trennen wollen und ob neue Felder (Skalarfelder) eingeführt werden müssen, es heisst oft dadurch werden durch die Hintertür auch neue Teilchen eingführt. Auf den ersten Blick scheint mir das nicht der Fall zu sein.


    Das aktuelle Originalpaper vom Mai/ Juni 2022 in dem gezeigt wird dass Kosmische Hintergrundstrahlung sich in dem Modell mit Selbst-Wechselwirkung in sehr guter Einstimmung findet sich auch auf arxiv

    Effect of the field self-interaction of General Relativity on the Cosmic Microwave Background Anisotropies


    Ich musst mich erst mal schlau machen, was mit self-interaction hier gemeint ist, wenn ich es recht verstehe, sind das Graviton-Graviton Wechselwirkungen. Beim Elektromagnetismus würde dies Photon-Photon Wechselwirkungen entsprechen, die sind allerdings sehr schwach.


    Mich würde sehr interessieren, was ein Kosmologe (z.B. Bartelmann aus dem Video) zu den Arbeiten sagt.


    beste Grüße


    Thomas

  • Hallo zusammen,


    der Astrophysiker Pavel Kroupa von der Uni Bonn ist entschiedener Gegner des Konzepts der Dunklen Materie und erklärt das im sehr interessanten Video Der Astro-Rebell auf dem Youtube-Kanal HYPERRAUM.TV. Dort wird z.B. auch auf den unterschiedlichen Gehalt an DM in elliptischen und Spiralgalaxien eingegangen. Insgesamt ein interessanter Report. Er spricht aber nicht von Deur's Selbst-Wechselwirkung.

    Mich würde sehr interessieren, was ein Kosmologe (z.B. Bartelmann aus dem Video) zu den Arbeiten sagt.

    Bartelmann und Springel (Befürworter der DM) sagen dazu, dass die MoND Theorien einfach weniger erfolgreich die Beobachtungen erklären als Newton und die Allgemeine Relativitätstheorie. Also eklatanter Widerspruch zu Kroupa.


    Vg

    Micha

    Starsplitter II 18" f/4,45 Gitterrohr Dobson mit Hauptspiegel aus dem Jahr 1993-94 von Galaxy Optics und 3,5"-Fangspiegel aus dem Jahr 2021-22 von Antares Optics. Okulare: 31 mm Nagler, 24 mm ES, 17 mm Ethos, 13 mm Ethos, 9 mm ES, 6 mm Ethos, 4,7 mm Ethos; 2" Powermate 2x; Astronomik 2"-Filter visuell: [OIII], UHC, H$\beta $.

    3 Mal editiert, zuletzt von mkmueller ()

  • Ich musst mich erst mal schlau machen, was mit self-interaction hier gemeint ist, wenn ich es recht verstehe, sind das Graviton-Graviton Wechselwirkungen. Beim Elektromagnetismus würde dies Photon-Photon Wechselwirkungen entsprechen, die sind allerdings sehr schwach.


    Mich würde sehr interessieren, was ein Kosmologe (z.B. Bartelmann aus dem Video) zu den Arbeiten sagt.

    Hallo Thomas,


    Ja, es geht um die Graviton-Graviton Wechselwirkung und irgendwo verweist Deur auf die Analogie zum Elektromagnetismus. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass die String Theorie ein Teilchen dem Graviton zuordnet. Aber ob man es jemals nachweisen kann, steht in den Sternen und ob die String Theorie mehr ist als ein hochkomplexes mathematische Konstrukt ebenfalls. Und die ART kommt ohne es aus. Vielleicht ist diese Unsicherheit Deur’s Schwachstelle und der Grund für geringe Akzeptanz.


    Gut dass Du Bartelmann erwähnst. Ich war mit ihm vor einiger Zeit wegen einer anderen Sache in Kontakt, ich frag ihn einfach mal, was er davon hält.


    Grüße

    Günter

  • Gut dass Du Bartelmann erwähnst. Ich war mit ihm vor einiger Zeit wegen einer anderen Sache in Kontakt, ich frag ihn einfach mal, was er davon hält.

    Suuuper! Bin sehr gespannt drauf.

    Bitte nicht nur was, sondern auch warum :)


    Herzliche Grüße


    Holger

    :milky_way: 10" f/5 Newton-Bino :comet: 120mm f/5 Achromaten-Bino :hammer_and_wrench: 8" f/8 Jones-Schiefspiegler-Bino

  • Hallo Günter,

    wie bist du denn auf die ungewöhnlichen Arbeiten von A. Deur gestoßen?


    Sie werden von der Fachwelt komplett ignoriert, seit 13 Jahren. Das könnte bedeuten, dass das Model einen schweren konzeptionellen Fehler enthält, so schwer/trivial, dass die Fachwelt es unter ihrer Würde sieht sich damit auseinander zu setzen. Andernfalls, wieso hat niemand die bemerkenswerten Ergebnissen nachgerechnet, Kritik geäussert oder aufgegriffen? Selbst die MOND-Protagonisten Kroupa und McGaugh ignorieren Deur vollständig, und das obwohl Deur er in einer Arbeit von 2020 erläutert, warum MOND auf galaktischen Skalen empirisch funktioniert, auch wenn er MOND als Theorie im Sinne von 'new physics' für falsch hält. McGaugh sollte die Arbeiten aber kennen, denn Deur dankt ihm in einer Arbeit von 2020 für die Übersendung von Daten. In seinem eigentlichen Fachgebiet, Theoretische Teilchenphysik ist Deur sehr erfolgreich, viele hochkarätige Veröffentlichungen und Reviews, auch mit anderen hochangesehen Autoren.



    Ich finde das alles ziemlich merkwürdig, bin sehr gespannt was du
    durch deine Verbindungen da in Erfahrung bringen wirst.



    Beste Grüße



    Thomas

  • Hallo Holger und Thomas,


    Ich gehe da völlig mit Dir einig, Thomas, zunächst völlig unverständlich dieses Desinteresse. Darauf gestoßen bin ich durch einen Thread im PhysicsForums an dem ich mich dann auch beteiligt habe. Auffallend war, dass PeterDonis, den ich für sehr kompetent halte, seine anfängliche Skepsis später deutlich relativierte, nachdem er sich etwas mit dem mathematischen Hintergrund befasst hatte.


    Nun, mein kurzer Email Austausch mit Prof. Bartelmann ist allerdings doch ernüchternd. Deur’s Forschung ist ihm als Kosmologen natürlich nicht unbekannt. Ich möchte ihn nicht zitieren und gebe stattdessen das Wesentliche mit meinen Worten wieder.

    Ein nichtlinearer Ansatz - wovon Deur ja ausgeht - ist mit der ART voll verträglich und insoweit schließt das auch die Selbstwechselwirkung von Dichtestörungen ein. Problematisch ist, welche methodische Vorgehensweise man da wählt. Deur setzt eine Störungsreihe an, was aber keinen Erfolg garantiert, denn die kann divergieren, wobei die Wahrscheinlichkeit dafür ziemlich hoch ist. Deshalb ist die Community vermutlich sehr zurückhaltend.

    Weit mehr Beachtung findet Thomas Buchert mit seinen Arbeiten, wonach wir im Zentrum einer riesigen unterdichten Region leben. Deren Radius liegt bei einem Gigaparsec, sodass auch die weit entfernten Supernovae erfasst sind, deren Daten eine (vermeintlich!) beschleunigte Expansion des Universums nahelegen. Hierzu eine Arbeit von Prof. Bartelmann https://www.aanda.org/articles…a24553-14/aa24553-14.html


    Wir waren uns einig, dass ein solches Szenario ein unschöner Rückfall in ein kopernikanisches Weltbild bedeuten würde. Prof. Bartelmann schließt “vermutlich kommt die Lösung der Hubble-Tension” aus einer völlig unerwarteten Ecke”.


    Fazit, wir leben wie andere vor und vermutlich auch nach uns in spannenden Zeiten.:)


    Grüße

    Günter

  • Nun, mein kurzer Email Austausch mit Prof. Bartelmann ist allerdings doch ernüchternd. Deur’s Forschung ist ihm als Kosmologen natürlich nicht unbekannt. Ich möchte ihn nicht zitieren und gebe stattdessen das Wesentliche mit meinen Worten wieder.

    Ein nichtlinearer Ansatz - wovon Deur ja ausgeht - ist mit der ART voll verträglich und insoweit schließt das auch die Selbstwechselwirkung von Dichtestörungen ein. Problematisch ist, welche methodische Vorgehensweise man da wählt. Deur setzt eine Störungsreihe an, was aber keinen Erfolg garantiert, denn die kann divergieren, wobei die Wahrscheinlichkeit dafür ziemlich hoch ist. Deshalb ist die Community vermutlich sehr zurückhaltend.

    Hallo Günter,


    da hast du schnell eine interessante Einschätzung bekommen. Das ist schon ein heikles Thema, von jemanden der ein Buch über das Standardmodell der Kosmologie verfasst hat und zum Modell steht seine Sicht auf ein Model zu hören, das all dies in Frage stellt. Da kommt es dann sogar auf die Wortwahl an, was heist die Community ist vermutlich sehr zurückhaltend? Was hält er selbst von den Arbeiten?


    Vorweg, ich verstehe von ART und der Mathematik viel zu wenig um mir ein fundiertes Urteil zu erlauben, doch wenn es heist dass die Wahrscheinlichkeit, dass der störungstheoretische Ansatz divergiert ziemlich hoch ist, kann man schon die Gegenfrage stellen, wie wahrscheinlich es ist, dass das in diesem Fall der erste Term der Reihentwicklung ohne weitere Zutaten die wichtigen Beobachtungen, die die Basis für das Standardmodell bilden ohne dunkle Materie und dunkle Energie erklärt, und zwar wenn ich es recht verstehe ohne freie Parameter.


    Viele Aussenstehende, Laien werden sich fragen, ob das Model mit Selbstwechselwirkung korrekt ist, ob es weitere Prüfungen übersteht, weiter Beobachtungen wie die Ergbebnisse von Gravitationslinsen uws. richtig wiedergibt. Nur, wer wird das machen? Welche etabliert Gruppe die seit vielen Jahren mit dem Standardmodell arbeitet wird den Anstatz aufgreifen, weil sie ihn so spannend findet oder zeigen will, dass er nicht funktioniert?


    Ich bin gespannt, ob das neue Paper, das das Leistungspektrum der kosmischen Hintergrundstrahlung, u.a. auch die Hubble Diskrepanz zu erklären scheint aufgefriffen wird oder ob die etablierten Gruppen es bequemer finden ihre Modelle zu verfeinern und ein vielleicht revolutioneres Paper wie bisher ignoriern. Vielleicht möchte sich auch ein schlaues Nachwuchstalent damit etablieren, dass es zeigt, das Model macht Sinn, oder auch andersherum es zu widerlegen.


    Also, wie du schreibst, es bleibt vielleicht spannend.


    beste Grüße


    Thomas

  • Hallo Thomas,


    mit Störungsrechnung habe ich mich nicht befasst und hier auch nicht nachgehakt. Es handelt sich tatsächlich um seine Einschätzung, die ich nicht hinterfragen kann. Für ihn scheint scheint dieser Ansatz nicht überzeugend. Wenn ich wieder zuhause bin, werde ich am PC Deur’s Papers nach “perturbation” durchforsten, vielleicht bezieht er zu dieser Problematik selbst Stellung, das sollte er eigentlich.

    Vorweg, ich verstehe von ART und der Mathematik viel zu wenig um mir ein fundiertes Urteil zu erlauben, doch wenn es heist dass die Wahrscheinlichkeit, dass der störungstheoretische Ansatz divergiert ziemlich hoch ist, kann man schon die Gegenfrage stellen, wie wahrscheinlich es ist, dass das in diesem Fall der erste Term der Reihentwicklung ohne weitere Zutaten die wichtigen Beobachtungen, die die Basis für das Standardmodell bilden ohne dunkle Materie und dunkle Energie erklärt, und zwar wenn ich es recht verstehe ohne freie Parameter.

    Genau die richtige Frage. Darauf erhielt ich leider keine klare Antwort. Prof. Bartelmann findet sowohl Deur’s Ansatz wie auch den einer unterdichten Region “unnatürlich”. Aber im Gegensatz zu Letzterem wird Deur’s SI kaum diskutiert.


    Muss gerade Schluss machen.


    Viele Grüße aus Noja, einem malerischen Örtchen an der kalabrischen Küste.


    P.S. Hier noch etwas zu Störungstheorie https://books.google.es/books?id=fN58DwAAQBAJ&pg=PA156&lpg=PA156&dq=physik+störungsrechnung+teilchenphysik+divergierend&source=bl&ots=9GM373HC7o&sig=ACfU3U0KyVYi8K6PjNBb90ursFXuGgpoiA&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwjnpbPyjeD4AhVn_bsIHR8EDawQ6AF6BAgaEAM#v=onepage&q=physik%20störungsrechnung%20teilchenphysik%20divergierend&f=false


  • Vorweg, ich verstehe von ART und der Mathematik viel zu wenig um mir ein fundiertes Urteil zu erlauben, doch wenn es heist dass die Wahrscheinlichkeit, dass der störungstheoretische Ansatz divergiert ziemlich hoch ist, kann man schon die Gegenfrage stellen, wie wahrscheinlich es ist, dass das in diesem Fall der erste Term der Reihentwicklung ohne weitere Zutaten die wichtigen Beobachtungen, die die Basis für das Standardmodell bilden ohne dunkle Materie und dunkle Energie erklärt, und zwar wenn ich es recht verstehe ohne freie Parameter.

    Hallo Thomas,


    mittels durchforsten nach "perturbat" wurde ich fündig:


    Hier http://dispatchesfromturtleisl…-gravity-and-related.html wird Deur aus seinem 2017 paper zur Thematik Störungstheorie wie folgt zitiert:


    ... Aside from such possible insights, the main purpose of addressing the strong interaction here --given that more sophisticated approaches already exist-- is mostly to further verify the pertinence of the model in the more complex case of General Relativity for which non-perturbative methods are not as developed. The results have important implications on the nature of Dark Matter. In particular, non-perturbative effects naturally provide flat rotation curves for disk galaxies, without need for non-baryonic matter, and explain as well other observations involving Dark Matter such as cluster dynamics or the dark mass of elliptical galaxies.


    und weiter unten:


    From experience with QCD, a non-perturbative approach is required to fully account for field self-interaction, making post-Newtonian formalism inadequate. In Refs. [2, 3], a nonperturbative numerical lattice method was used.


    Demnach erhält Deur die flachen Rotationskurven ohne einen störungstheoretischen Ansatz der ART. Vielmehr bezieht er sich bei der Selbstwechselwirkung auf die Analogie zur QCD.


    Hm, zu den Ausführungen des Kosmologen aus HD passt das allerdings nicht.


    Viele Grüße

    Günter

  • Hallo Günter,


    inzwischen haben ich die Arbeiten von Deuer intensiver angeschaut und aus der Perspektive eines Außenstehenden sehen sie beeindruckend aus, eine echte Herausforderung für das Standardmodell der Kosmologie.


    Ich stimme dir zu dass die aus Heidelberg geäusserte Kritik, bezogen auf eine Störungstheoretische Behandlung der Selbstwechselwirkung unberechtigt ist weil in den Arbeiten immer wieder explizit betont wird, dass das Model darauf verzichtet und stattdessen als Ausgangspunkt sehr aufwendige Gitterrechnungen (die Arbeit von 2009) verwendet die allerdings eine Reihenentwicklung nutzen. Das garantiert natürlich nicht dass die Arbeiten und der Ansatz richtig sind aber es schreit im Grunde danach, dass sich jemand Kompetentes damit intensiv auseinander setzt. Das ist vermutlich aufwendig und nur wenige Kosmologen kennen sich mit denen aus der Teilchenphysik kommenden Ideen, den mathematischen Methoden und benötigen Codes hinreichend aus.


    Mit einer kleinen Handbewegung scheinen mir die Arbeiten daher nicht so einfach vom Tisch gefegt werden zu können. Physik lebt vom Diskurs. Dass niemand Deur's Arbeiten zitiert wirft die Frage auf, ob er als Sprecher auf Konferenzen eingeladen wird, ob er überhaupt zu Konferenzen geht. Um die Ideen der Arbeiten besser zu verstehen, habe ich in den letzten Tagen viel zum Thema Teilchenphysik, Quarkconfinement, Gluonenaustausch usw. gelesen, auch Historisches von den Anfängen vor hundert Jahren bis heute, hoffentlich viel gelernt, z. B. dass das heutige Bild der Teilchenphysik auch nicht vom Himmel gefallen ist, es gab viele Krisen, auf Konferenzen wie den berühmten Solvays wurde bisweilen heftig gestritten. Da darf man fragen, wie offen wird heute diskutiert, wird die Kontroverse überhaupt gesucht, werden in den verschiedenen 'Denkrichtungen' nur Selbstgespräche geführt?


    Was mich allerdings sehr wundert, Self-interaction und Backreaction werden schon untersucht, doch selbst in diesem Feld wird Deur nicht zitiert. Vielleicht liegen die Gründe auf der Hand, eine Arbeit die ein ganzes Gebiet zu revolutionieren scheint und damit auch die eigenen Arbeiten in Frage stellt, zitiert man vermutlich nur, wenn man sie für seriös hält aber klare Schwachstellen identifizieren, sich zumindest in Teilbereichen bestätigt sieht, etwas Substantielles hinzufügen kann oder sie tatsächlich als revolutionier akzeptiert. Nichts scheint bisher davon zuzutreffen, ich bin auf das erste Fremdzitat sehr gespannt.


    Beste Grüße


    Thomas


    p.s. Soviel erst mal zum wissenschaftlichen Kontext, ich hab auch noch ein paar inhaltliche Punkte und Fragen (melde mich per privater Konversation)

  • Hallo Thomas,


    Du hast Dich intensiv mit dieser Materie befasst ich kann dir nur zustimmen.


    Ganz interessant ist die Diskussion im Anschluss an diesen http://dispatchesfromturtleisl…-gravity-and-related.html Blog.


    Da taucht ein rigolin auf,


    I am working on something similar to that of Dr. Alexandre Deur. I am also using the self-interaction of gravity. But I'm doing the self-interaction in reverse of how he's using it. And I am getting very good results in fitting to the rotation curves of the galaxies.
    Atte. Dr. Rigoberto carbajal Valdez.
    email: rcarbajal68@gmail.com


    der sich ebenfalls mit Deur's Thema beschäftigt, allerdings kein Hinweis auf Publikationen.


    Auf den schon erwähnten Thread im PhysicsForums komme ich per PM.

    Deur wird durchaus schon wahrgenommen, aber nicht von Kosmologen. Womöglich haben die es nicht so gern, wenn jemand aus einer anderen Zunft, ausgerechnet ein Teilchenphysiker, in ihre Suppe spuckt.


    Viele Grüße

    Günter

  • Hallo Günter,


    wie ich schon schrieb habe ich mir die Arbeiten von Deur intensiver angeschaut, fast wie ein Krimi, das spannenste Astro-Thema seit Jahren.


    Vorweg, ich äußere mich hier über Dinge von denen ich viel zu wenig verstehe, vieles ist sicherlich ungenau und ich kann falsch liegen, dennoch versuche ich mal meine Eindrücke zusammen zu fassen. Mit den zentralen Aussagen des Modells hattest du die Diskussion mit dem Hinweis auf Deur's Arbeiten hier eröffnet, ich nenne sie trotzdem nochmal, besonders für die die hier nur gelegentlich mitlesen.


    Es gibt die lokalen, galaktischen Aspekte, die Punkte 1-3, und dann die den Kosmos als Ganzes (4-6) betreffen:

    1. Das Modell wurde in 20 Jahren entwickelt, daraus resultieren etwa zehn Manuskripte/Veröffentlichungen.
    2. Die zentrale Idee kommt aus der Parallele zur Teilchenphysik, dass die bisher vernachlässigte Selbstwechselwirkung der Gravitation berücksichtigt werden muss. Aus der Selbstwechselwirkung folgt eine sehr starke Kraft, allerdings nur in anisotropen Systemen wie Galaxien und Galaxienhaufen.
    3. Auf diesen Skalen erklärt das Modell, ohne irgendeinen freien Parameter die Beobachtungen besser, sowohl als das Standardmodell und auch MOND.


    In den Arbeiten ab 2019 werden auch Aspekte des gesamten Kosmos untersucht:

    1. Die durch die Selbstwechselwirkung auf galaktischen Skalen bedingte zusätzliche Energie muss wegen Energieerhaltung auf großen Skalen kompensiert werden, hierfür führt er eine Abschwächungsfunktion D ein, er begründet dies mit einer Parallele zur Teilchenphysik. Dies Argument kann man vielleicht mit einer Analogie zur Elektrostatik verstehen, der Gauss'sche Satz besagt, dass das Oberflächenintegral um eine Quelle deren Ladung entspricht. Ein entsprechender Gauss'sche Satz für die Gravitation kann wohl nur lokal verletzt werden, über den gesamten Raum betrachtet muss er wieder stimmen, also wenn das Integral bei kleinen Werten zu groß ist, muss es bei großen kleiner werden, reine Spekulation meinerseits. Die Abschwächung der Gravitation gegenüber der ohne Selbstwechselwirkung zu Erwartenden könnte man fälschlicherweise als Beschleunigung interpretieren. Im Standardmodell entspricht dies dann als dunkle Energie.
    2. Alle Aussagen des Modells die das ganze Universum betreffen, wie die Bildung von Galaxien, die Helligkeit von Supernovae (bisher der Beleg für dunkle Energie), die Fluktuation der kosmischen Hintergrundstrahlung, fußen auf einem Modell für diese Abschwächungsfunktion, die nur von der Rotverschiebung abhängt. Mit dieser Abschwächungsfunktion, die auch Strukturbildung bestimmt scheint das Modell alle wichtigen kosmologischen Beobachtung gut zu erklärt, also das Wachstum von Galaxien, Helligkeit von Supernovae, die Fluktuationen der kosmischen Mikrowellenhintergrundstahlung, sowohl dass die Schwankungen sehr klein sind als auch die Winkelverteilung. Ganz wichtig, eine einzige Abschwächungsfunktion erklärt alle Beobachtungen! Diese Funktion kann aber nicht berechnet werden, sondern nur gut begründet, somit ist dieser Teil des Modells etwas spekulativer.


    Das Model kann natürlich total falsch sein, ich kann das gar nicht beurteilen, aber ich bin extrem beeindruckt. Allein der Erfolg bei der Dynamik von Galaxien und Galaxienhaufen (ich gehen mal davon aus, dass die Daten nicht manipuliert wurden) bringen das Standardmodell in extreme Schwierigkeiten. Wenn der Ansatz des Modells richtig ist, dass aus der Selbstwechselwirkung die sehr starken Kräfte folgen, bricht das Standardmodell vollständig zusammen. Da verwundert es schon, dass Deur's Ansatz von 2009 nie geprüft wurde.


    Für MOND ist die Situation nicht ganz so dramatisch, das empirische Kraftgesetz ist immerhin ähnlich, allerdings treten die MOND-ähnlichen Kräfte nur bei starker Anisotropie wie in Scheibengalaxien auf. Die Strukturbildung wird aber ähnlich wie bei MOND ablaufen, Galaxien kontinuierlich wachsen, also nicht durch Verschmelzung wie beim Standardmodell. Wieso ignorieren die Protagonisten von MOND das Modell ebenfalls?


    Die spannende Frage ist jetzt, wer sich als erstes inhaltlich zu dem Modell äußert, wo Kritik kommt, weshalb, ob jemand das Modell aufgreift und verfeinert, und natürlich
    wann kommt die erste Reaktion.


    Beste Grüße


    Thomas

  • Hallo Thomas,


    nun bist Du in diese komplexe Materie tiefer eingedrungen, als ich das vermag.


    Vielleicht ist das

    1. Ganz wichtig, eine einzige Abschwächungsfunktion erklärt alle Beobachtungen! Diese Funktion kann aber nicht berechnet werden, sondern nur gut begründet, somit ist dieser Teil des Modells etwas spekulativer.

    ein wichtiger Punkt. Aber selbst wenn seine Begründung angreifbar wäre, erklärt das die Stille nicht. Es ist vermutlich auch naiv zu glauben, Deur hätte die Abschwächungsfunktion einfach so gefittet, dass alles passt.

    In den Friedmann-Gleichungen bestimmen zwei voneinander unabhängige "Zutaten" des Universums, die Materiedichte und die Kosmologische Konstante (~Dunkle Energie), die zeitliche Entwicklung des Skalenfaktors. Die physikalische Natur der dunklen Bestandteile, die zusammen 95% (70% DE + 25% DM) der Energiedichte des Universums ausmachen, ist bis heute unbekannt. Die Notwendigkeit DE und DM zu postulieren würde entfallen, wenn Deur's Annahme stimmt.


    Die spannende Frage ist jetzt, wer sich als erstes inhaltlich zu dem Modell äußert, wo Kritik kommt, weshalb, ob jemand das Modell aufgreift und verfeinert, und natürlich
    wann kommt die erste Reaktion.

    Es ist fast wie "Warten auf Godot". :)


    Grüße

    Günter

  • Hallo Günter und alle die mitlesen,


    nochmal eine kleine Ergänzung, Inzwischen finde ich, dass die Publikation von Deur aus 2021


    Relativistic corrections to the rotation curves of disk galaxies


    mit die interessanteste seiner Arbeiten ist, die das Standardmodell zum Wanken bringen, denn hier wird ein Ansatz verwendet der in der Astrophysik sehr etabliert ist, nämlich der Gravitationslinsen–Effekt, die Selbstwechselwirkung der Gravitation wird auf diese Weise berechnet.


    Der Ansatz, nach der Allgemeinen Relativitätstheorie verbiegt eine große Masse den Raum, dadurch werden Lichtstrahlen abgelenkt, aber nicht nur Lichtstrahlen, sondern auch die Feldlinien eines Gravitationsfeldes und zwar abhängig von der Form und Größe der Masse. Bei einer Scheibengalaxie werden die Feldlinien vom Zentrum aus in die Ebene der Spirale verbogen, die Feldlinien-Dichte und damit die resultierende Kraft zum Zentrum nimmt zu. Die Rechnung in der o.g. Veröffentlichung sagt für Scheibengalaxien am äußeren Rand eine Verstärkung von 10-100 fach voraus, eine riesiger Effekt der sich in guter Übereinstimmung mit den Beobachtungen befindet, dass im Bild des Standardmodells Scheibengalaxien 10-100 mal mehr Dunkle als normale Materie enthalten, je flacher um so mehr (siehe Abb. 6 in der Veröffentlichung). Wie stark die Verstärkung ist hängt stark von der Masse ab und zeigt damit, dass die Allgemeine Relativitätstheorie wegen der Selbstwechselwirkung im Gegensatz zum Newton’schen Gravitationsgesetz - dem Limit für kleine Massen - nicht-linear ist. Die Rechnung in der 2021er Veröffentlichung enthält keine freien Parameter, da ist nichts gefittet, nur wohlbekannte etablierte Physik und etablierte Rechenmethoden. Doch es scheint, dass dieser wichtige, nicht-linearen Effekt der Allgemeinen Relativitätstheorie, dass die große Masse einer Galaxie nicht nur den Raum sondern damit auch die Kraftlinien der Gravitation verbiegt und in bestimmen Richtungen zu viel stärkeren Kräften führen kann in allen anderen bisherigen Simulationen übersehen wurde.


    Immer mal wieder wird von Kritikern des Standardmodells die Frage aufgeworfen, ob es sich überhaupt falsifizieren lässt. Ich denke die o.g. Arbeit von 2021 widerlegt es im Grunde, besonders wenn man das Ergebnis mit einbezieht, dass es bei perfekt sphärischen Galaxien, wie einigen Ellipsen keine 'Verstärkung‘, oder korrekter, keine Art Fokussierung der Gravitation gibt, sie im Standard-Bild in Übereinstimmung mit den Beobachtungen also praktisch frei von Dunkler Materie sind. Um das Standardmodell zu retten, müsste schon gezeigt werden, dass die genannte Rechnung falsch ist. Dann wäre die gute Übereinstimmung mit den Beobachtungen zufällig, aber es müsste im Standardmodell eine Begründung gefunden werden, warum der Anteil Dunklen Materie um so größer wird je flacher eine Galaxie ist. Solch ein Effekt ist dort nicht zu erwarten, ich habe nichts gefunden, wo er diskutiert wird, offensichtlich ist hier eine interessante Korrelation in den Beobachtungsdaten übersehen worden, obwohl sie in den Beobachtungsdaten, wie die in der Arbeit von 2021 zitierten Veröffentlichungen zeigen vorhanden ist.


    Ein weiterer Aspekt dieser Korrelation widerspricht auch dem was man im Standardmodell erwarten würde, denn die Galaxie wachsen dort durch Verschmelzung, es bilden sich vorzugsweise aus Spiralgalaxien elliptische, die dann auch sehr viel Dunkle Materie enthalten sollten, im Widerspruch zu den Beobachtungen.



    Alles in allem ist die Publikation eine extreme Herausforderung für das Standardmodell. Es hat sich über die Jahre etabliert und mag andere Dinge, besonders auf kosmologischen Skalen (scheinbar) gut erklären. Mit meiner Einschätzung kann ich total falsch liegen, vielleicht übersehe ich auch etwas, doch wenn es bei zentralen Aspekten ganz klar versagt, wer wird an ihm festhalten wollen?



    Beste Grüße


    Thomas

  • Für Irritationen sorgt auch, dass gewisse Vorhersagen der DM nicht im Einklang mit der Beobachtung sind, ...

    Hallo Günter,

    dazu kann ich einen Auszug aus einem umfassenderen Paper von Thierry De Mees verlinken, der die ursprüngliche Begründung für Dunkle Materie auseinandernimmt ...

    CS Jan

  • Hallo Jan,


    mittlerweile gibt es eine große Zahl von Studien die das Standardmodell in Zweifel ziehen, die weitaus meisten sind mehr oder weniger exotische Theorien, manche sogar fehlerhaft oder unsinnig, das Paper von De Mees gehört zu dieser Kategorie, man sieht recht schnell, dass seine Rechnung nicht sinnvoll ist.

    Die Flut von abwegigen Vorschläge ist vielleicht mit auch ein Grund, dass die Arbeiten von Deur die das Thema dieses Threads sind übersehen wurden. Schwachstellen des Standardmodells zu finden, es zu kritisieren ist ein ganz normaler Vorgang in der Kosmologie, auf diese Weise wird es verbessert.


    Der fundamentale Unterschied von Deur's Arbeiten zu allen anderen kritischen Arbeiten besteht darin, dass er darauf hinweist, dass - ich denke - bei allen anderen kosmologischen Simulationen ein sehr wichtiger Term, die Selbstwechselwirkung der Gravitation übersehen wurde, in der Veröffentlichung von 2021


    Relativistic corrections to the rotation curves of disk galaxies



    wird klar, dass dies kein exotischer Prozess ist (siehe den Beitrag #18) sondern, die Selbstwechselwirkung auch als eine Art Gravitationslinsen-Effekt verstanden werden kann ( siehe oben, Beitrag #18). Deur's Modell kann indem es die Selbstwechselwirkung berücksichtigt ohne Dunkle Materie und Energie die zentralen Beobachtung erklären und bringt das Standardmodell damit in arge Bedrängnis, auch weil sein im Grunde einfaches Modell Beobachtungen erklärt, die im Widerspruch zum Standardmodell stehen ( ausführliche Beschreibung in Beitrag #18).


    beste Grüße


    Thomas

  • Hallo Thomas,


    vielen Dank für Deine Erläuterungen in Post #18. Es ist erstaunlich, wie Deur unter Einbeziehung des Gravitationslinsen-Effektes die Dichte der Feldlinien in Abhängigkeit von der Geometrie einer Galaxie mittels der anerkannten Mean-field Theory berechnet.


    Inzwischen finde ich, dass die Publikation von Deur aus 2021


    Relativistic corrections to the rotation curves of disk galaxies


    mit die interessanteste seiner Arbeiten ist, die das Standardmodell zum Wanken bringen, denn hier wird ein Ansatz verwendet der in der Astrophysik sehr etabliert ist, nämlich der Gravitationslinsen–Effekt, die Selbstwechselwirkung der Gravitation wird auf diese Weise berechnet.

    Das ist ein Punkt, bei dem ich nicht ganz sicher bin.


    Deur stellt bei Summary fest:


    The values of galactic masses and characteristic distances suggest that field self-interaction, a feature of general relativity (GR), needs to be included in studies of galaxy dynamics

    ...

    In this article, we presented a new approach to compute the effects of GR’s self-interaction based on a mean-field technique and the formalism of gravitational lensing.


    Das klingt für mich so, als wären seine Resultate der Feldlinien Ablenkung beim Gravitationslinsen-Effekt mit der a priori Annahme der Feld Selbst-Wechselwirkung plausibel. Jedenfalls präsentiert er in diesem Artikel keinen numerischen Ausdruck einer Feld Selbst-Wechselwirkung, den man mit früheren Berechnungen vergleichen könnte. Etwa dem in seinen Paper An explanation for dark matter and dark energy consistent with the standard model of particle physics and General Relativity in dem er schreibt:


    In this article, a modified Friedmann equation effectively accounting for self-interaction is derived from Einstein’s field equation.


    Zentral in dieser modifizierten Friedmann Gleichung ist die depletion function (18), die quasi die Energiedichten des Stress-Energy Tensor T (Energie-Impuls Tensor) ersetzt. Dieser steht auf der rechten Seite der berühmten Einstein Gleichung G..=8piT. Der Einstein Tensor G, der die Krümmung der Raumzeit beschreibt, ist damit festgelegt. Der Stress-Energy Tensor enthält jedoch keine gravitative Energie Dichte. Ich frage mich, wie Deur damit umgeht. Der Ausgangspunkt seiner modifizierten Friedmann Gleichung setzt nach meiner Meinung eine modifizierte Einstein Gleichung voraus. Dazu habe ich nichts gefunden.


    Damit's kein Missverständnis gibt, ich äußere hier keine Kritik, für mich besteht lediglich noch Klärungsbedarf. Vielleicht kannst Du mir da weiter helfen.


    Viele Grüße

    Günter

  • Immer mal wieder wird von Kritikern des Standardmodells die Frage aufgeworfen, ob es sich überhaupt falsifizieren lässt. Ich denke die o.g. Arbeit von 2021 widerlegt es im Grunde, besonders wenn man das Ergebnis mit einbezieht, dass es bei perfekt sphärischen Galaxien, wie einigen Ellipsen keine 'Verstärkung‘, oder korrekter, keine Art Fokussierung der Gravitation gibt, sie im Standard-Bild in Übereinstimmung mit den Beobachtungen also praktisch frei von Dunkler Materie sind. Um das Standardmodell zu retten, müsste schon gezeigt werden, dass die genannte Rechnung falsch ist. Dann wäre die gute Übereinstimmung mit den Beobachtungen zufällig, aber es müsste im Standardmodell eine Begründung gefunden werden, warum der Anteil Dunklen Materie um so größer wird je flacher eine Galaxie ist. Solch ein Effekt ist dort nicht zu erwarten, ich habe nichts gefunden, wo er diskutiert wird, offensichtlich ist hier eine interessante Korrelation in den Beobachtungsdaten übersehen worden, obwohl sie in den Beobachtungsdaten, wie die in der Arbeit von 2021 zitierten Veröffentlichungen zeigen vorhanden ist.

    Ich habe mir erlaubt, diesen Punkt zu unterstreichen. Jetzt sollten Kosmologen nichts eiligeres zu tun haben, als ihre Daten daraufhin zu durchforsten.


    Hier stellt sich mir noch eine andere Frage. Nach meiner Kenntnis nimmt man für die Dichteschwankungen des CMB sphärische Symmetrie an. Nach dem Standardmodell bestehen sie aus Dunkler- und baryonischer Materie, z.b. hier Further evidence for dark matter comes from measurements on cosmological scales of anisotropies in the cosmic microwave background. ...

    Und hier the nascent density fluctuation considered as spherically symmetric . Sollte das nach Deur nicht bedeuten, dass diese Dichteschwankungen ausschließlich aus baryonischer Materie bestehen? Allerdings krankt die Analogie zu sphärischen Galaxien daran, dass zwischen diesen große Zwischenräume anzunehmen sind.

    Thomas, Du hast vermutlich weit mehr recherchiert als ich, bist Du bei Deur irgendwo auf eine Diskussion des CMB gestoßen?


    Grüße

    Günter

  • das Paper von De Mees gehört zu dieser Kategorie, man sieht recht schnell, dass seine Rechnung nicht sinnvoll ist.

    Hallo Thomas,


    vielen Dank für Deine Antwort, die ich gerade erst sehe, hatte keine Benachrichtigung erhalten.


    Leider kann ich im Moment nicht nachvollziehen, warum die Rechnung von De Mees nicht sinnvoll sein soll. Was mich aber generell an den kosmologischen Theorien stört, ist, dass sie offenbar durchwegs nur lokale Effekte berücksichtigen, insbesondere die Raumkrümmung, die die Wirkung des Potentialgradienten der Gravitation beschreibt. Offenbar findet aber die Wirkung weit entfernter Galaxien über das Gravitationspotential selbst keine Berücksichtigung. Dabei hat Einstein 1911 die Lichtablenkung an der Sonne dem lokalen Gravitationspotential der Sonne zugeordnet.


    Wenn man sich klar macht, dass das kumulative Gravitationspotential der entfernten Massen des Universums 106 mal größer ist als das zusätzliche Potential an der Sonnenoberfläche, ist man geneigt, sich für die Überlegungen von Ernst Mach zu interessieren. Dies umso mehr im Hinblick auf eine 1963 erschienene Arbeit von James C. Keith, siehe RevMexFis_12_1_1-1_050.pdf, der das Machsche Prinzip auf der Basis relativistischer Gravitationstheorien bestätigen konnte, siehe dort auf Seite 11. Keith hatte in dem Zusammenhang ein Laborexperiment vorgeschlagen, welches die Prüfung seiner Theorie ermöglichen sollte. Das Experiment wurde Anfang der 1970er Jahre durchgeführt, und die Ergebnisse scheinen die Voraussagen von Keith zu bestätigen. Das Machsche Prinzip wird aber offenbar seit langem nicht mehr ernst genommen. Vielleicht kannst Du dazu etwas sagen?


    CS Jan

  • Hallo Jan,


    zu De Mees kann ich Dir nichts sagen, ich denke da kennt sich Thomas besser aus.


    Was mich aber generell an den kosmologischen Theorien stört, ist, dass sie offenbar durchwegs nur lokale Effekte berücksichtigen, insbesondere die Raumkrümmung, die die Wirkung des Potentialgradienten der Gravitation beschreibt. Offenbar findet aber die Wirkung weit entfernter Galaxien über das Gravitationspotential selbst keine Berücksichtigung. Dabei hat Einstein 1911 die Lichtablenkung an der Sonne dem lokalen Gravitationspotential der Sonne zugeordnet.


    Wenn man sich klar macht, dass das kumulative Gravitationspotential der entfernten Massen des Universums 106 mal größer ist als das zusätzliche Potential an der Sonnenoberfläche, ist man geneigt, sich für die Überlegungen von Ernst Mach zu interessieren. Dies umso mehr im Hinblick auf eine 1963 erschienene Arbeit von James C. Keith, siehe RevMexFis_12_1_1-1_050.pdf, der das Machsche Prinzip auf der Basis relativistischer Gravitationstheorien bestätigen konnte, siehe dort auf Seite 11. Keith hatte in dem Zusammenhang ein Laborexperiment vorgeschlagen, welches die Prüfung seiner Theorie ermöglichen sollte. Das Experiment wurde Anfang der 1970er Jahre durchgeführt, und die Ergebnisse scheinen die Voraussagen von Keith zu bestätigen. Das Machsche Prinzip wird aber offenbar seit langem nicht mehr ernst genommen.

    Kosmologischen Theorien wie das Standardmodell berücksichtigen lokale Effekte gerade nicht und auch nicht die Raumkrümmung und nicht die Gravitationspotentiale von Galaxien. Das Standardmodell basiert auf dem idealen Fluid wonach es skalenunabhängig keine lokalen Effekte gibt. Deshalb setzt dieses Modell angewandt auf unser Universum sehr große Skalen voraus, sodass man mit einer mittleren Materiedichte rechnen kann. Die Raumkrümmung (nicht zu verwechseln mit der Krümmung der Raumzeit) ergibt sich aus den Dichteparametern und ist nach unserer Beobachtung sehr nahe bei Null.


    Das Standardmodell beruht auf nur zwei beobachtbaren Parametern, der mittleren Materiedichte und der Vakuumdichte der Kosmologischen Konstante, auch Dunkle Energie genannt. Aber wie dieser Thread zeigt stellt sich zunehmend die Frage, ob dieses Modell in seiner jetzigen Form zutrifft. Das Problem ist ja auch, dass wir mit den Daten, die unser beobachtbares Universum liefert, auf das gesamte sehr viel größere, vielleicht unendlich größere Universum schließen. Wir setzten das Kosmologisches Prinzip voraus, aber sicher werden wir nie sein können.


    Das Gravitationspotential bezieht sich auf Materie bzw. auf Materieansammlungen, die ein Gravitationszentrum haben. Viele Gravitationszentren machen hier keinen Sinn, sodass man nicht von einem "kumulativen Gravitationspotential entfernter Massen" sprechen kann.


    Einstein hatte sich einige Zeit an dem Mach'schen Prinzip orientiert und auch diese Bezeichnung geprägt, sich dann aber später davon abgewandt. Ich habe mich damit nicht näher befasst, aber klar dürfte sein, dass das MP die Physik nicht voran gebracht hat. Solche Effekte werden heute lokal begründet, so z.B. Claus Kiefer in "Der Quantenkosmos" Es sind gerade die lokalen Gravitationsfelder, welche für das lokale Trägheitsverhalten verantwortlich sind (und nicht wie Mach meinte, die fernen Fixsterne).


    Grüße

    Günter

  • Ich habe mich damit nicht näher befasst, aber klar dürfte sein, dass das MP die Physik nicht voran gebracht hat. Solche Effekte werden heute lokal begründet, so z.B. Claus Kiefer in "Der Quantenkosmos" Es sind gerade die lokalen Gravitationsfelder, welche für das lokale Trägheitsverhalten verantwortlich sind (und nicht wie Mach meinte, die fernen Fixsterne).

    Hallo Günter,


    danke für Deine Stellungnahme zu Deinem Thema. Deine oben zitierte Schlussbemerkung macht deutlich, dass Du die Sache diametral anders siehst als Mach und Keith. Keith kommt ja eindeutig zu dem Ergebnis, dass der Einfluss von lokalen Massen verschwindend gering ist im Vergleich zum langreichweitigen Einfluss der entfernten Massen des Universums. Dann sind aus Deiner Sicht gewiss auch die experimentellen Ergebnisse bedeutungslos, die anscheinend eher für die Keith-Theorie sprechen. Allerdings habe ich bislang auch noch nicht von Experimenten gehört, die darauf hinweisen, dass lokale Massen einen nennenswerten Einfluss auf die Trägheisgesetze hätten ...


    CS Jan

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