Mehr Scheibengalaxien als die Theorie erlaubt

  • Das Standardmodell der Kosmologie beschreibt, wie das Weltall nach Ansicht der meisten Physikerinnen und Physiker entstanden ist. Forschende der Universität Bonn haben nun auf seiner Basis die Entwicklung der Galaxien untersucht. Dabei sind sie auf erhebliche Abweichungen zu tatsächlichen Beobachtungen gestoßen. An der Studie waren auch die Universität von St. Andrews in Schottland sowie die Karls-Universität in Tschechien beteiligt.


    Die meisten Galaxien, die von der Erde aus sichtbar sind, ähneln einer flachen Scheibe mit verdicktem Zentrum. Sie gleichen also in etwa dem Sportgerät eines Diskuswerfers. Laut Standardmodell der Kosmologie sollten solche Scheiben aber eher selten entstehen. Denn ihm zufolge ist jede Galaxie von einer Art Heiligenschein aus dunkler Materie umgeben. Dieser Halo ist unsichtbar, übt jedoch aufgrund seiner Masse eine starke Anziehungskraft auf Galaxien in der Umgebung aus. „Daher kommt es immer wieder dazu, dass Galaxien miteinander verschmelzen“, erklärt Prof. Dr. Pavel Kroupa vom Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik der Universität Bonn.


    Dieser Crash bewirke zweierlei, erläutert der Physiker: „Zum Einen durchdringen sich die Galaxien dabei, wodurch die Scheiben-Form zerstört wird. Zum Zweiten verringert sich durch ihn der Drehimpuls der durch die Fusion entstandenen neuen Galaxie.“ Vereinfacht gesagt, nimmt dadurch ihre Rotationsgeschwindigkeit stark ab. Die Drehbewegung sorgt normalerweise dafür, dass sich durch die dabei wirkenden Fliehkräfte eine neue Scheibe formiert. Ist der Drehimpuls dazu zu schwach, passiert das jedoch nur sehr langsam oder unterbleibt ganz.

    In der aktuellen Studie hat Kroupas Doktorand Moritz Haslbauer eine internationale Forschungsgruppe geleitet, um den Werdegang des Universums anhand der aktuellsten Superrechner-Simulationen zu untersuchen. Die Berechnungen basieren auf dem Standardmodell; sie zeigen, welche Galaxien sich bis heute hätten bilden müssen, sollte diese Theorie korrekt sein. Ihre Ergebnisse verglichen die Forscher dann mit den momentan wohl genauesten Beobachtungsdaten des von der Erde sichtbaren Universums.


    „Dabei sind wir auf eine erhebliche Diskrepanz zwischen Vorhersage und Realität gestoßen“, sagt Haslbauer: „Es gibt augenscheinlich deutlich mehr flache Scheibengalaxien, als sich durch die Theorie erklären lässt.“ Allerdings ist die Auflösung von Simulationen auch auf heutigen Supercomputern begrenzt. Es kann daher sein, dass die Zahl der Scheibengalaxien, die im kosmologischen Standardmodell entstehen würden, unterschätzt wurde. „Selbst wenn wir diesen Effekt berücksichtigen, bleibt aber ein gravierender Unterschied zwischen Theorie und Beobachtung“, betont Haslbauer.


    Anders sieht es bei einer Alternative zum Standardmodell aus, die ohne Dunkle Materie auskommt. Nach der sogenannten MOND-Theorie (das Kürzel steht für „Theorie der MilgrOmscheN Dynamik) wachsen Galaxien nicht, indem sie miteinander verschmelzen. Stattdessen entstehen sie aus rotierenden Gaswolken, die sich mehr und mehr verdichten. Auch in einem MOND-Universum werden Galaxien immer größer, indem sie Gas aus der Umgebung aufnehmen. Fusionen ausgewachsener Galaxien wie im Standardmodell sind aber selten. „Unsere Bonn-Prag-Forschungsgruppe hat die weltweit einzigartige Fähigkeit aufgebaut, diese Alternative ebenfalls durchzurechnen“, sagt Kroupa, der auch Mitglied in den Transdisziplinären Forschungsbereichen „Modelling“ und „Matter“ der Universität Bonn ist. „Die Vorhersagen von MOND entsprechen dem, was wir tatsächlich sehen.“


    Allerdings sind die genauen Mechanismen des Galaxien-Wachstums auch bei MOND noch nicht vollständig verstanden. Zudem haben in MOND die Newton’schen Gravitationsgesetze unter bestimmten Umständen keine Gültigkeit, sondern müssen abgeändert werden. Das hätte weitreichende Konsequenzen auch für andere Bereiche der Physik. „Dennoch löst die MOND-Theorie alle bekannten extragalaktisch-kosmologischen Probleme“, sagt Dr. Indranil Banik, der maßgeblich an diesen Untersuchungen beteiligt war. „Unsere Studie belegt, dass junge Physikerinnen und Physiker auch heute noch die Chance haben, bedeutende Beiträge zur fundamentalen Physik zu leisten“, ergänzt Kroupa.


    Weitere Infos auf den Seiten der Uni Bonn unter https://www.uni-bonn.de/de/neues/021-2022

  • Hallo Ralf,


    das ist halt eine Pressemitteilung, deren Hauptprotagonist seine gesamte wissenschaftliche Karriere gegen den wissenschaftlichen Mainstream auf MOND aufgebaut hat. Da erwarte ich nichts anderes. Die in der Meldung gemachten Statements a la "MOND sagt alles richtig voraus" und "Mond löst alle kosmologischen Probleme" halte ich für ziemlich dreist, dabei wird nämlich fleißig unter den Tisch gekehrt, was mit MOND alles falsch herauskommt. Aber ja, spannend bleibt das Thema Dunkle Materie auf jeden Fall. Man ist allerdings weit davon entfernt, sich von ihr zu verabschieden.


    Viele Grüße

    Caro

  • Hallo Caro,


    vielen Dank für den Hinweis auf diePresseerklärung.

    Unter den Astrobegeisterten gibt es sicherlich auch viele Physiker, deren Arbeitsgebiet mit Astro nichts zu tun hat, die sich nur extrem ungern von dem einfachen
    Gravitationsgesetz, das formal dem Coulombgesetz ähnelt, verabschieden würden. Neue Teilchen zu postulieren, wie Neutrino oder auch Higgs, nach denen dann lange gesucht wurde sind sie dagegen gewohnt. Andererseits, wenn man MOND eher als kinematische Vorschrift sieht, die erst mal nur beschreibt, wie die Bewegung auf galaktischen Skalen aussieht, dann wundert es viele, dass so ein einfaches Gesetz mit nur einem Parameter die Bewegung gut beschreibt und Vorhersagen macht die sich als korrekt erwiesen haben, während das etablierte Model der kalten dunklen Materie hier viele Problem hat obwohl ihre Verteilung im Raum quasi frei gewählt werden kann. Ich denke daher es gibt viele, die beiden Modellen, vielleicht sogar gleichermaßen, recht skeptisch gegenüber stehen.


    Ich lese gelegentlich den Blog Tritonstation von Stacy McGaugh, der auch ein Kritiker des etablierten Kosmologischen Modells ist. Wie werden seine Arbeiten in Astrokreisen, unter Kosmologen gesehen, was hälts du davon, magst du dazu etwas sagen?


    Beste Grüße


    Thomas

  • Hallo Thomas,


    ohne hier in gewisse OT-Bereiche abdriften zu wollen - ich denke mit Themen gegen den wissenschaftlichen Mainstream ist es ähnlich wie mit Vorgängen, wie wir sie in der Politik aktuell oder in den letzten Jahren beobachten konnten. Die Medien widmen lauten Schreihälsen wie Pegida oder "Spaziergängern" viel zu viel Aufmerksamkeit und als Folge bekommt die Öffentlichkeit den Eindruck, ein viel größerer Anteil der Bevölkerung als in Wirklichkeit würde hinter dem entsprechenden Gedankengut stehen und solchen Unsinn unterstützen. Gewisse populärwissenschaftliche Medien greifen Themen wie MOND ebenso gerne auf wie Paralleluniversen, Zeitreisen, Aliens (Avi Loeb läßt grüßen...) usw., wodurch in der interessierten Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, daß da ständig neue überzeugende Beweise gegen die Dunkle Materie vorgebracht werden und die Leute sich wundern, "warum die Wissenschaft ihr immernoch anhängt". Ider Realität ist MOND dagegen nur ein Randthema in der Kosmologie, weil sie sich in zentralen Voraussagen leicht widerlegen läßt.


    Das heißt nicht, daß damit das letzte Wort in Sachen Dunkle Materie gesprochen ist, und Wissenschaftler wie Kroupa oder McGaugh sind wichtig wenn es darum geht Alternativen aufzuzeigen, denn so funktioniert wissenschaftlicher Diskurs. Man hört sich gegenseitig an, diskutiert, zeigt Widersprüche auf. In anderen Bereichen der Wissenschaft haben Protagonisten mit kruden Theorien enormen Schaden angerichtet, man denke nur an Andrew Wakefield oder Henrik Svensmark. Soweit sind wir bei Dunklen Materie vs. MOND dankenswerterweise nicht.


    Was halt leider nicht funktioniert, ist die Einordnung der Bedeutung von Außenseiterheorien im Bewußtsein der nichtwissenschaftlichen Öffentlichkeit - gerne befeuert durch die Presseabteilungen der Institutionen, an denen entsprechende Protagonisten tätig sind.


    Viele Grüße

    Caro

  • Hallo Caro,



    vielen Dank erst mal dafür, dass du so detailliert auf meinen Beitrag und die Fragen eingegangen bist, in vielem stimmen wir vermutlich überein, das Statement am Ende der Presserklärung von I. Banik finde ich auch sehr irritierend. Die Debatte um kosmologische Modelle ist sehr interessant, und ich habe ein Weile gebraucht bis mir klar wurde was mich häufig irritiert.


    Du schreibst oben, man hört sich gegenseitig an, diskutiert, zeigt Widersprüche auf. So sollte es sein, doch in wie weit entspricht dieses positive Bild der Realität? Die wenigen Verfechter von MOND setzen sich sehr intensiv mit dem Standardmodell auseinander, vorzugsweise den Schwächen, denn sie wollen es widerlegen. Die Protagonisten des Standardmodells werden gelegentlich auch die Resultate alternative Modelle zur Kenntnis nehmen, doch interessieren sie sich wirklich dafür, hoffen sie, dass sie für ihre eigenen Arbeit etwas lernen können, ihre Modelle verbessern? Da bin ich skeptisch, in vielen Lehrbüchern der Astrophysik und Kosmologie wird MOND komplett ignoriert. Die Frage, wann ist eine Theorie widerlegt, was sind die Kriterien wird auch kaum thematisiert. Warum wird nicht geschrieben wo MOND versagt, aber auch dargestellt wo MOND überraschender Weise korrekte Ergebnisse liefert und Vorhersagen macht die später durch Beobachtungen bestätigt werden?


    Oder nochmal aus einer anderen Perspektive, warum stimmen die Ergebnisse einer falschen Theorie in manchen Bereichen so gut mit den Beobachtungen überein, besser als die des Standardmodells, steckt etwas dahinter, und wenn ja, was? Es geht mir hier weniger um MOND, ich bin dem Modell auch skeptisch gegenüber, sondern um die Frage, ob das Standardmodel konzeptionell etwas Fundamentales übersieht oder dahinter sich eine umfassendere Theorie verbirgt, die wir heute noch nicht sehen. Der wissenschaftliche Nachwuchs interessiert sich voranging für offene Fragen und die Schwierigkeiten von Modellen, weil er dann selbst mit der Klärung etwas Wichtiges beitragen kann, es fällt ihm leichter mit Denkmustern zu brechen. Am Platz kann es nicht liegen, wenn Astrobücher MOND oder allgemeiner Modelle mit modifizierter Graviation unter den Tisch fallen lassen. Der 'Demtröder', das Standardlehrbuch der Experimentalphysik für Studienanfänger muss in einem Band das breite Spektrum von Kern-, Teilchen- und Astrophysik abdecken, doch dort wird MOND erwähnt. Vielleicht ist es aus der Distanz einfacher über Alternativen und Probleme zu berichten, und ich habe mich gefreut, dass du trotz deiner Skepsis die o.g Arbeiten vorgestellt hast.


    Bald gibt es hoffentlich Neues zu dem Thema, es wird spannend wenn das James Webb Teleskop erste Ergebnisse liefert, Blicke in das ganz junge Universum, die uns hoffentlich zeigen wie damals Galaxien aussahen und wie deren Entwicklung abläuft .


    Beste Grüße


    Thomas

  • Hallo Thomas,


    das hier sind die Astronews und nicht die Allgemeinen Astronomischen Themen - ich stelle hier Pressemitteilungen deutschsprachiger Forschungseinrichtungen mit Astronomiebezug ein, ohne jede Wertung. Wenn ich ein Lehrbuch schreiben würde, und sei es nur, damit die vielen Fehler im Demtröder entlich korrigiert werden, hätte ich im Zweifelsfalle auch genug anderes, was ich dort eher unterbringen würde als MOND. Aber mal mit deinen Worten, aus einer anderen Perspektive: Du erwartest überspitzt gesagt, daß ich in diesem Lehrbuch dann auch Flacherdler gleichberechtigt zu Wort kommen lasse, weil auch die Vorstellung von einer flachen Erde einzelne Beobachtungen erklären könnte. Nicht besser wohlgemerkt, denn das tut auch MOND mit unserem Universum nicht, aber halt bequemer für diejenigen, für die der topfebene Horizont vor ihrer Nase das einzig Wahre ist.


    Der Witz an der Sache ist, tatsächlich passiert das sogar, als Außenstehender bekommst du es nur selten mit. Um sich mit den Arbeiten von drei MOND-Anhängern auseinanderzusetzen, braucht es nämlich nicht die gesamte Kosmolog*innen-Gewerkschaft, es reicht wenn sich immer mal wieder drei Leute die Zeit dazu nehmen. Da aber auch in der Bildzeitung bestenfalls auf Seite 14 in drei Zeilen steht, daß der gestern angekündigte Asteroideneinschlag doch leider ausfallen muß, erregt das Widerlegen von Behauptungen selten große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Meinen Studierenden hingegen bringe ich in der Tat bei, was es mit Crackpottery a la flache Erde auf sich hat - und wie sie Flacherdler in Grund und Boden argumentieren können. In diesem Sinne weiß jede*r Astrophysik-Studierende zumindest grob, was es mit MOND auf sich hat - und die Entscheidung, selbst diesen Pfad einzuschlagen, steht allen offen. Macht halt kaum jemand, denn die meisten, die sich damit näher beschäftigen, sehen sich da schnell in einer Sackgasse.


    Der weit verbreitete Irrtum ist halt die Vorstellung, daß der Rest der Kosmolog*innen-Welt mit dem Standardmodell bis ins letzte Detail glücklich und zufrieden ist und es täglich rauf-und runterbetet. Der zentrale Begriff ist hier der des Modells - ein Modell ist in der Naturwissenschaft etwas, das bestimmte Aspekte der Welt beschreibt, aber ein Modell ist immer eine vereinfachte Beschreibung der Welt, und es hat Grenzen. Modelle werden verworfen, wenn ihnen andere überlegen sind, insbesondere wenn es einzelne Bereiche betrifft. Es käme niemand auf die Idee, die einfachere Newtonschen Bewegung für den Alltag zu verwerfen, bloß weil Einstein allgemeingültiger ist - aber man wird zu recht kritisiert, wenn man Newton auf relativistische Bedingungen anwendet. Genauso ist man auf der Suche nach einer möglichst allgemeingültigen Kosmologie - und da sind bei MOND die Einschränkungen halt größer als anderswo, also nimmt mans normalerweise nicht.


    Viele Grüße

    Caro

  • und wie sie Flacherdler in Grund und Boden argumentieren können

    Ich gebe zu bedenken, dass FEhler schon bei der ersten Witterung eines Argumentes, welches vielleicht auch noch belegt ist, komplett dicht machen. Wie das bei Gläubisten *) halt so ist.


    *) Gläubisten: Jene Spezies, die 1. ihren Glauben als den einzig richtigen ansehen (was zunächst einmal weniger problematisch ist), aber 2. - und das ist das Problem - mit aller Gewalt (auch physisch) alles andere auszurotten versuchen.

  • Hallo Caro,


    danke für die klaren Worte, die Bootschaft ist angekommen.


    Mir wird das hier zu aufgeladen. Mag sein, dass ich selbst mit meinen letzten Zeilen das mit ausgelöst habe, das wäre bedauerlich, aber es wir mir jetzt auch zu platt. Ich musste an einen Vortrag von Justin Khoury über Superfluid Dark Matter denken, hier die Folie 24,


    Superfluid Dark Matter


    wer sich für MOND interessiert und die Vorhersagen die sich als richtig erweisen anerkennt - man ist damit ja nicht automatisch ein MOND-Anhänger - sollte sich um seinen Ruf Gedanken machen.


    beste Grüße


    Thomas

  • Guten Tag.

    Der dunkle Materie und der dunkle Energie wird es irgendwann genau so ergehen wie dem Äther: sie werden verschwinden.

    Selbst wenn MOND Schwächen und Fehler hat, ist meiner Meinung nach der Weg richtig: Es muss eine neue Theorie her. Das koste Zeit, Geld und Unterstützung auch von den etablierten Wissenschaftlern. Aber wie soll eine neue Theorie entstehen, wenn jeder Ansatz gleich platt gemacht wird.

    Viele Grüße,

    Wilhelm

  • Servus Wilhelm,


    wer sagt denn, dass neue Ansätze gleich plattgemacht werden, weil sie neu sind? Wenn aber ein Ansatz falsifiziert werden kann, dann wird er fallen gelassen.


    Beispiel: Ptolemaeus hat einen Ansatz für das Sonnensystem geliefert, mit dem man recht genau die Bahn der Planeten berechnen/vorhersagen kann (über Epizyklen). Sein Ansatz erklärt Vieles, zum Beispiel die Schleifen der Planeten in der Opposition. Aber sein Weltbild wird z. B. durch die Parallaxe der Sterne falsifiziert, denn die Erde ruht eben nicht, sondern bewegt sich um die Sonne.


    Würde heute jemand eine verbesserte Version der ptolemäischen Sichtweise propagieren (m Prinzip eine Koordinatenttransformation, die von einer ruhenden Erde ausgeht), würde sie die Keplerbahnen im Sonnensystem auch genau erklären/vorhersagen lassen. Der Ansatz würde aber "platt gemacht" werden, weil eine ruhende Erde anderswo unüberwindbare Widersprüche erschaffen würde.


    Wenn MOND manches elegant erklärt (also ohne Dunkle Materie), aber anderswo unüberwindbare Widersprüche erzeugt, wird die Hypothese fallen gelassen. Gerade das ist ja Wissenschaftlichkeit. Es geht nicht darum, was neu oder alt ist oder was einem netter erscheint, sondern darum, was plausibler ist.


    Liebe Grüße,

    Christoph

    Mein Verein: Astronomische Gesellschaft Buchloe e.V.

    Meine Ausrüstung:

    Teleskope: 22" (560 mm)  f/3.5 Dobson (Martini / Oldham Optical)  –  Omegon Ritchey-Chretien Pro RC 203/1624; Montierung: iOptron CEM40G  –  Ferngläser (8 x 42, 20 x 60)

    Kamera: Canon EOS 6D Mark II (Vollformat, unmodifiziert); Kameraobjektiv: meist Canon EF-200 mm f/2.8 Teleobjektiv

  • Danke Christoph, das verstehe ich.

    Was mich noch stört ist die Tatsache, dass die dunkle Materie schon fest etabliert ist. Schaut man bei Wikipedia z.B. nach der Masse der Milchstraße, findet man:

    Masse (inkl. Dunkler Materie)

    ca. 1,5 Billionen Sonnenmassen[]

    Dunkle Materie ist schon lange keinen Hypothese mehr, sondern ein Fakt. Das macht es bestimmt jungen Wissenschaftlern nicht leicht, Mittel (oder eine Stelle) für ihre Forschungen in andere Richtungen zu bekommen.

    Viele Grüße,

    Wilhelm

  • ... es geht aber auch darum, dass wir Menschen menschlich sind. Bei über 200 Projekten (und viele 100 Mio. investierten Euros), die nach dunkler Materie suchen ist zwangsläufig eine Richtung vorgegeben. In der Medizin gibt es doppelblind Versuche, damit der Fragesteller nicht seine eigene Überzeugung mit in die Untersuchung einbringt, das gibt es in der Kosmologie eben nicht. Hier ist die sachliche Persönlichkeit eines jeden Forschenden gefragt.

    Stellen wir uns vor, ein einfacher Seemann hätte im Mittelalter die Idee einer runden Erde gehabt. Die Beobachten konnte er alle machen und zu einem glaubwürdigen Bild (Theorie) zusammenfügen. Sie wäre sogar überprüfbar gewesen. Mit seiner Theorie wäre er aber über dem Wirtshaus-Stammtisch nicht heraus gekommen. Und wenn er dann zu den "Gelehrten" gegangen wäre, dann wäre er nicht ernst genommen worden.

    Das wiederum bedeutet im Umkehrschluss natürlich nicht, dass jede Stammtisch Diskussion gleich unser Weltbild verändern kann, auch wenn manche das gerne so hätten.

    Zu allen Fähigkeiten die gute Wissenschaftler*innen benötigen wie, Wissen, Intelligenz, Sachlichkeit, über Grenzen hinweg denken können ..., kommt noch eine weitere sehr wichtiger hinzu: Uneitelkeit


    Gruß,

    ralf

  • ... ich denke mit Themen gegen den wissenschaftlichen Mainstream ist es ähnlich wie mit Vorgängen, wie wir sie in der Politik aktuell oder in den letzten Jahren beobachten konnten. Die Medien widmen lauten Schreihälsen wie Pegida oder "Spaziergängern" viel zu viel Aufmerksamkeit und als Folge bekommt die Öffentlichkeit den Eindruck, ein viel größerer Anteil der Bevölkerung als in Wirklichkeit würde hinter dem entsprechenden Gedankengut stehen und solchen Unsinn unterstützen.

    Ich sehe es wie Caro.

    Ich bin wohl kein Wissenschaftler, arbeite jedoch als Techniker in einer solchen Institution an wissenschaftlichen Themen / Grundlagen / Dokumentationen mit.

    Ich konnte dort in vielen Jahren einiges über wissenschaftliche Arbeit erfahren und auch selber lernen. Aber auch wie negative Politik ( von aussen ) gemacht wird und

    entsprechend hindert ...


    Meine " Beurteilung " bzgl. wissenschaftlicher Sachverhalte insgesamt ist , ...

    Es wir nur " neues " geschaffen wenn " altes " in Frage gestellt wird.

    Die eine " Wahrheit " ist nie vorhanden. Weder kurz, noch auf Dauer.


    Aber manchen Menschen geht es weder um Wissenschaft, noch um Wahrheit ...


    Gruss

    ein wissenschaftlich interessierter ...

    Marco

  • Flacherdlern empfehle ich einen Besuch des Almberg-Teleskoptreffen. Bei guter Fernsicht kann man von dort den Großglockner sehen. Aufgrund der Erdkrümmung aber nicht als höchste Erhebung am Alpenhorizont (Der versinkt halt, weil nur in zweiter Reihe). Das er es aber ist, könnte man überprüfen, wenn man dann von dort nach Österreich hinter die ersten Alpenbergkette fährt. Vermutlich ergänzen sie ihre Flacherde-Theorie dann lieber noch mit aufblasbaren Bergmechanismen, als zu akzeptieren, was sie gesehen haben.

    So lange sich Wissenschaftler sachlich auseinander setzen, kann ich mit MOND noch leben. Es fehlt halt das entscheidende Experiment dagegen. Lachhaft wird's dann bei MoMOND (modifizierten MOND-Theorien).

    Allemal besser als so Themen wie

    Der Geruch von Ohrenschmalz

    Studie über die Überlebensdauer von Schokolade im Schwestenzimmer eines Krankenhauses

    oder Fakes unter den wissenschaftlichen Publikationen.


    Da ist das wissenschaftliche Bullshit-Bingo, was Jeremy Stribling, Daniel Aguayo und Maxwell Krohn schufen, fast schon wieder amüsant.

  • Hallo,


    diese Wissenschaft, Astrophysik und Kosmologie, wird sich weiterentwickeln, wenn wir mehr Daten sammeln, aber neue Daten machen ältere Daten nicht ungültig, sie ergänzen sie. Jedes "endgültige" Modell (so etwas wird es noch lange nicht geben) muss alle Daten erklären, und so wie die Dinge stehen, entwickelt sich die Wissenschaft weiter, also verwenden wir das Modell, das die meisten Daten am besten erklärt.

    Die Entwicklung von Galaxien zu modellieren ist eine knifflige Angelegenheit, und es gibt noch vieles, was wir über die beteiligten Mechanismen nicht verstehen, aber das ändert nichts am Grundmodell eines expandierenden Universums, es zeigt nur, dass es immer noch Lücken in unserem Verständnis gibt. Die überwältigenden Daten für die Expansion aus vielen verschiedenen und unabhängigen Beweislinien sind in der Tat sehr solide. Doch keine Alternative kommt an die Erklärungskraft des Konsensmodells – LCDM – heran. Der einzige Weg nach vorne ist bessere Wissenschaft. Es hat keinen Sinn, dass irgendjemand irgendwo dem Konsensmodell widerspricht, es sei denn, er hat ein besseres, und leider haben sie so etwas nicht ...


    Viele Grüße, Reni

  • Aber ja, spannend bleibt das Thema Dunkle Materie auf jeden Fall. Man ist allerdings weit davon entfernt, sich von ihr zu verabschieden.

    Hallo Caro,


    kürzlich habe ich von einer Umfrage gelesen, wonach sich etwa die Hälfte aller Kosmologen von der Dunklen Materie verabschiedet haben. Leider finde ich das nicht mehr.

    Ja, das Thema ist sehr spannend und rangiert für mich gleich nach der Hubble Krise.


    Es ist ja nicht nur die Problematik, dass man bis heute trotz der vielen Experimente kein Teilchen gefunden hat, das die DM ausmachen könnte. Auch die Beobachtung von Zwerggalaxien scheint mit der Annahme der Dunklen Materie in Konflikt zu sein.


    Milchstraße hat deutlich weniger Satellitengalaxien als angenommen
    Neuste Daten zeigen, dass die Milchstraße wesentlich weniger Satellitengalaxien besitzt als bisher vermutet.
    www.forschung-und-wissen.de

    Zitat

    Kaum bis gar keine Dunkle Materie nötig

    Bisher ging man davon aus, dass die untersuchten Zwerggalaxien die Milchstraße umkreisen, doch dazu müssten sie massereicher sein, als es den Anschein hat. Denn die Milchstraße ist so groß und massereich, dass sich nähernde Zwerggalaxien normalerweise schon nach ein oder zwei Umläufen auseinanderbrechen müssten. Um ihre scheinbare Umlaufbahn zu erklären, wurde angenommen, dass die Zwerggalaxien von dunkler Materie dominiert werden, was sie massereicher macht. Wenn sie aber gar nicht von der Milchstraße eingefangen wurden, sondern sich zu schnell bewegen, als dass dies im kosmologischen Standardmodell möglich wäre, wäre keine dunkle Materie nötig, um ihre Umlaufbahn zu erklären, heißt es in einer im Astrophysical Journal veröffentlichten Arbeit.


    Satellite galaxies not randomly arranged – Astronomy Now

    Zitat

    Large galaxies like the Milky Way frequently are surrounded by smaller gravitationally bound dwarf galaxies. Generally accepted theory holds that the gravitational effects of dark matter, the as-yet-undetected material thought to make up roughly 27 percent of the universe, should ensure a random distribution of orbiting dwarf galaxies.

    The Milky Way and the nearby Andromeda galaxies were thought to be exceptions to the rule, with satellite galaxies arranged in disk-like planes. New findings from a team led by Oliver Müller of the University of Basel’s Department of Physics indicate this may be a more widespread phenomenon.


    ShieldSquare Captcha

    Zitat

    Our results point to a breakdown of the SEP, supporting modified gravity theories beyond GR.


    Jetzt aber Punkt, es gibt zahllose Artikel, die diesem Thema gewidmet sind. Für mich wäre MOND häßlich, aber dann fällt mir gleich Sabine Hossenfelder ein. ;)


    Grüße

    Günter

  • Hallo Günter,


    von der Umfrage, die du erwähnst, habe ich leider noch nie gehört, aber ich denke in der heutigen Zeit von Social Media Bubbles ist uns allen klar, wie leicht es ist, dafür zu sorgen, Umfragen zum gewünschten Ergebnis hin zu verzerren. Schaue ich mich in meinem wissenschaftlichen Umfeld um, sind es ganz bestimmt nicht 50% sondern eher 1% der Leute, die das Konzept Dunkle Materie für grundsätzlich falsch halten. Die Frage ist: Wer von uns beiden hat eine verzerrte Wahrnehmung der allgemeinen Stimmung unter den Wissenschaftler*innen?


    Auch auf die exakte Formulierung kommt es an. "Hältst du Dunkle Materie für einen guten Erklärungsansatz für die Struktur unseres Universums?" ist was anderes als "Dunkle Materie gibt es nicht."


    Im öffentlichen Verständnis kommt noch ein anderes Problem hinzu: Der Name Dunkle Materie impliziert etwas Stoffliches, Greifbares, das sich mit der Materie vergleichen läßt, die uns umgibt. Daß das schon mit "normaler" Materie nicht immer funktioniert, zeigen uns ja zum Beispiel die Neutrinos ganz hervorragend, die den menschlichen Körper ständig in immenser Anzahl durchdringen, ohne daß wir in irgendeiner Form etwas davon mitbekommen - sie entziehen sich unserer Wahrnehmung. Wie soll das dann erst mit etwas werden, von dem wir nicht wissen, wie es beschaffen ist und das sich nur durch seine Schwerkraft bemerkbar macht, ansonsten aber nicht wechselwirkt? Der Mensch tut sich naturgemäß schwer damit, komplexere Dinge nachzuvollziehen, die nicht in seine Alltagserfahrung passen. Was mir hingegen schleierhaft ist, warum das Narrativ von MOND für so viele Laien attraktiv ist.


    Viele Grüße

    Caro

  • Hallo Caro,


    interessant und für mich überraschend, dass du dieses eine Prozent erwähnst. Ein Astrophysiker, der 2019 unsere kleine Gruppe eine Astro-Woche lang in La Palma begleitet hat, war der der Meinung, in der Community fände ein Umdenken statt.

    Auch auf die exakte Formulierung kommt es an. "Hältst du Dunkle Materie für einen guten Erklärungsansatz für die Struktur unseres Universums?" ist was anderes als "Dunkle Materie gibt es nicht."

    Mich interessiert in diesem Zusammenhang, welche Phänomene das Modell Dunkle Materie nicht erklären kann. Und da scheint die Beobachtung von Satellitengalaxien zumindest Fragen aufzuwerfen.

    Auf der anderen Seite sind offenbar Details des Leistungsspektrums des Mikrowellenhintergrunds kaum anders als mit der Annahme der Dunklen Materie verträglich. Ob MONd Theorien das hergeben? Das dürfte schwierig sein. Und dann der Bullet Cluster, den alternativ zu DM zu erklären ist ebenfalls ziemlich hoffnungslos.

    Dennoch, weshalb finden wir das Teilchen nicht? Es wird langsam eng.


    Grüße

    Günter

  • Zum Glück werden wissenschaftliche Erkenntnisse nicht per Umfrage etabliert, sondern unterm Strich durch bessere Argumente und langfristig durch Experimente, wenn sie eine These nicht widerlegen können und damit bestätigen.


    Das Störgefühl mit DM und mit MOND sorgt auch zukünftig für spannende Erkenntnisse. Überzeugend wird das erst gelöst, wenn man erklären kann, warum das eine oder andere Modell bestimmte Phänomene nicht erklären kann.

  • Dennoch, weshalb finden wir das Teilchen nicht? Es wird langsam eng.

    Nichts wird eng.


    Wir finden sie nicht, weil es bislang keine Hinweise gibt, wonach wir suchen müssen. Sprich - wie sie wechselwirken.

    Wie schon geschrieben, waren Neutrinos ähnlich mysteriös, bis man Wege fand, sie dennoch dingfest zu machen. Es werden allerdings diverse Experimente aufgestellt, die dies und das und jenes versuchen auszuschliessen.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!